Archiv: Beethoven & Schumann

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • George Li, Klavier
  • Yutaka Sado, Dirigent

Programm

Was für ein Wurf! Ludwig van Beethoven klopft mit seinem G-Dur-Konzert für Klavier und Orchester, interpretiert vom chinesisch-amerikanischen Pianisten George Li, bereits an die Tür zur Romantik: Orchester und Soloinstrument verschmelzen zu einem großen Ganzen. Für Robert Schumann war dieses vierte Klavierkonzert «Beethovens vielleicht größtes». Von ihm selbst steht die zweite Symphonie auf dem Programm, in der Chefdirigent Yutaka Sado der inneren Zerrissenheit des Komponisten nachhorchen lässt – ein zutiefst persönliches Werk, mit dem Schumann Heilung von seinen Depressionen suchte.

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Wolfgang Amadeus Mozart

Ouvertüre zur Oper «Die Zauberflöte» KV 620

Dauer

8 Min.

Entstehung

ca. 1791

Wolfgang Amadeus Mozart griff nochmals zur Feder und komponierte die letzten beiden fehlenden Nummern seiner «Teutschen Oper» wenige Tage vor der Uraufführung, als die Einstudierung der Gesangsteile schon längst begonnen hatte: Mit der Fertigstellung von Priestermarsch und Ouvertüre war die Arbeit an der «Zauberflöte» am 28. September 1791 endlich abgeschlossen. In diesem Werk, das zwei Tage später im Theater auf der Wieden «mit so vielen beifall» erstmals über die Bühne ging, zeigt sich nochmals die ganze Doppelbödigkeit von Mozarts Theaterverständnis: Ein schlichtes Märchenspiel für die Vorstadt, durchaus gemeinsam mit dem befreundeten Impresario Emanuel Schikaneder aus allerlei gerade in Mode stehender ägyptisch-exotischer Symbolik zusammengezimmert, deutliche Anleihen bei «Lulu oder Die Zauberflöte» sowie «Die drei Knaben» (beides aus Christoph Martin Wielands Märchen-Anthologie «Dschinnistan» von 1786/89), dem Roman «Sethos» des Abbé Terrasson und anderen Vorlagen nicht verschmähend – und doch auch ein tiefsinniges, archetypische Konstellationen aufgreifendes Drama rund um die Ideen der Aufklärung, eine von jenen «Dichtungen, die ebenso ein Kind entzücken wie den Erfahrensten der Menschen zu Tränen rühren, den Weisesten erheben können, und nur dem lediglich Gebildeten oder dem reinen Barbaren sagen sie nichts» (Alfred Einstein).

Es-Dur: der «Ton der Liebe, der Andacht, des traulichen Gesprächs mit Gott; durch seine drei B die heilige Trias ausdrückend» – so fasst Christian Friedrich Daniel Schubart in seinen «Ideen zur Ästhetik der Tonkunst» (1806) den Charakter der Zentraltonart der «Zauberflöte» in Worte. Dreimal schallt eben jener Es-Dur-Dreiklang feierlich zu Beginn der Ouvertüre in sonorem Klang, und dreifach dreimal werden diese Akkorde zu Beginn der Durchführung wiederkehren. Posaunen, sonst üblicherweise als Chorstütze der Kirchenmusik vorbehalten und von Mozart mit dramatischem Effekt bereits im «Don Giovanni» verwendet, unterstreichen die würdevoll-sakralen Obertöne der Thematik ebenso wie das Allegro-Fugato, das auf die Adagio-Einleitung folgt. Die Strenge der alten Form wird aber flugs aufgelockert, mit wonniglich-reizvollen Holzbläserfarben, aber auch geheimnisvollen Streichereinwürfen, bis sich schließlich festliche Fanfarenklänge durchsetzen. Wenn man so will, die Versöhnung von gelehrtem und populärem Stil, die Überwindung musikalischer Grenzen, die Vereinigung von Jung und Alt – im Geiste eines Staunen und Rührung erregenden Theatererlebnisses.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer

Ludwig van Beethoven

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58

Sätze

  • Allegro moderato

  • Andante con moto

  • Rondo. Vivace

Dauer

34 Min.

Entstehung

1805/06

Das Klavierkonzert Nr. 4 in G-Dur op. 58 von Ludwig van Beethoven entstand in den Jahren 1805 bis 1806. Es wurde im März 1807 in Wien bei einem vom Komponisten veranstalteten Subskriptionskonzert im Palais Lobkowitz mit Beethoven als Solisten aus der Taufe gehoben. Am gleichen Abend erklangen auch erstmals die Coriolan-Ouvertüre und die vierte Symphonie. Die «offizielle» Uraufführung fand am 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien statt, ebenfalls mit Beethoven am Klavier. – Gern wird über das vierte Klavierkonzert gesagt, es sei in einer ruhigeren, ja lyrischen Phase Beethovens entstanden, während die beinahe gleichzeitig geschriebene Appassionata sowie die zuvor entstandene Eroica als größere Kraftanstrengung des Komponisten zu lesen seien. Betrachtet man das vierte Klavierkonzert jedoch insgesamt, so stellt sich heraus, dass sich die Bezeichnung «lyrisch» vor allem aus dem Charakter des Kopfsatzes ergibt und damit eine starke Verkürzung, wenn nicht gar ein Klischee darstellt. Fest steht jedenfalls, dass Beethoven sein viertes Klavierkonzert seinem Gönner und langjährigen Klavierschüler Erzherzog Rudolph von Österreich widmete. Fest steht auch, dass Beethoven mit diesem Werk ein gewaltiger Vorstoß im Vergleich zu seinen drei früher entstandenen Klavierkonzerten gelang. Die in der Musikwissenschaft so oft diskutierte Verschmelzung zwischen Symphonie und Klavierkonzert zum sogenannten symphonischen Klavierkonzert findet hier einen Anfang. Vor allem aber war das Konzert ein Befreiungsschlag vom großen Vorbild Mozart, zu dem Beethoven bereits mit dem dritten Klavierkonzert angesetzt hatte.

Dieser Befreiungsschlag setzt gleich mit dem Beginn des Kopfsatzes ein – allerdings nicht als ein Schlag, sondern im Gegenteil: völlig allein und als erster intoniert der Solist in kontemplativer Ruhe das Hauptthema. Die ersten Akkorde erklingen piano und dolce, gewissermaßen in versonnener Stimmung, auf die die Bezeichnung «lyrisch» in der Tat zutrifft. Ein Konzertanfang also, der ohne Beispiel ist: kein lärmendes Orchestertutti, in das der Virtuose triumphal hineindonnert, sondern vielmehr der Beginn eines mit höchster Feinheit konzipierten «Gesprächs» zwischen dem Klavier und den anderen Instrumenten. Bereits hier kann gesagt werden, dass Beethoven in diesem Werk das konzertante Prinzip neu gefasst hat. In den Rahmensätzen des vierten Klavierkonzerts hebt er den Gegensatz von Solo und Tutti auf, vielmehr wächst wie selbstverständlich eines aus dem anderen heraus. Statt eines Gegeneinanders hört man also im ersten Satz ein «Gespräch unter vernünftigen Leuten» im Goethe’schen Sinne.

Erst nach der beschriebenen lyrischen Einleitung setzt das Orchester zur Tutti-Exposition an, wendet das Thema überraschend nach H-Dur, entwickelt es weiter und moduliert es zurück in die Ausgangstonart G-Dur. Das folgende zweite Thema wirkt ein wenig geheimnisvoll und ist von schwebendem Charakter.  Es wird zunächst in a-moll vorgetragen, erklingt anschließend jedoch sieghaft gesteigert in C-Dur. Der Solist kann im Verlauf der Durchführung und der leicht veränderten Reprise seine gesamte Virtuosität darbieten. Doch steht diese nie als Effekt im Vordergrund, sondern ordnet sich völlig in den Gesamtklang ein. Zwei Kadenzen schrieb Beethoven für dieses Konzert: die erste, von Beethoven selbst bevorzugte Kadenz ist themenbezogener und entwickelt ihre Virtuosität bis zum Ende hin. Die zweite, «Triolenkadenz» genannt, wird heute von den meisten Pianisten bevorzugt. Der Kadenz folgt ein letzter lyrischer Teil mit einem Zitat des Hauptthemas, bevor der gewaltige Satz einen glanzvollen Abschluss durch das Orchester findet.

Noch bemerkenswerter als der erste ist sicherlich der zweite Satz, Andante con moto. Er hat zwar die Kürze, aber nicht den Charakter eines Intermezzos; man könnte ihn mit dem Begriff «Dialog», vielleicht auch «ernstes Gespräch» beschreiben. Zwei zu Beginn völlig gegensätzlich erscheinende Partner nähern sich im Satzverlauf einander an; der ursprünglich stärker erscheinende (das Orchester) überlässt am Ende dem introvertierten Klavier das Feld. Schroff beginnt die «Auseinandersetzung» mit einem punktierten Streicher-Unisono, dem das Klavier beinahe choralartig mit melancholisch flehender Kantilene antwortet. Die erneute Entgegnung des Orchesters ist nun noch entschiedener und am Ende beinahe drohend auffahrend, das Klavier hingegen bleibt ganz verhalten und in sich gekehrt. Nun verkürzen sich die Dialogabschnitte deutlich, bis nur noch kurze Auftaktfiguren des Orchesters übrig bleiben, die sich in den Klaviergesang mischen und die Streicher sich ganz ins piano zurückziehen. Übrig bleibt das Klavier, dessen Figurationen in eine quasi improvisierte Kadenz auslaufen. Der Satz ist ohne formales Schema wie eine Opernszene aufgebaut und die poetisierenden Hinweise, es handele sich um eine Darstellung des die Furien besänftigenden Orpheus, sind nicht von der Hand zu weisen.

Waren im Andante alle Bläser ausgespart, so erklingt im Finale nun der festliche Glanz der vollen Orchesterbesetzung (mit Trompeten und Pauken) und bietet dem Solisten reiche Entfaltungsmöglichkeiten seines virtuosen Könnens. Obwohl die Haupttonart dieses Satzes G-Dur ist, steht sein erstes Thema in C-Dur, was im unmittelbaren Anschluss an das vorangegangene e-moll des Andante von pikanter Wirkung ist. Die einzelnen Gruppen sind breit und phantasievoll ausgebaut. Formal ist das Rondo einer Sonatensatzform ohne Durchführung angenähert, da es nur aus der Hauptgruppe sowie einer Zwischengruppe und deren Reprisen gestaltet ist. Zweifellos schlägt Beethoven mit seinem G-Dur-Konzert Brücken zur nachfolgenden Epoche der Romantik. Auch wenn es nicht so populär wurde wie andere Werke des Meisters, beeinflusste es nachfolgende Künstler in bedeutendem Maße: Schumann, Mendelssohn und Chopin sind diesem neuen Stil der atmosphärischen Dichte spürbar verpflichtet. Nicht umsonst nannte Schumann dieses Werk Beethovens «vielleicht größtes Klavierkonzert».

© NÖ Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Karin Martensen

Robert Schumann

Symphonie Nr. 2 C-Dur op. 61

Sätze

  • Sostenuto assai - Un poco più vivace - Allegro ma non troppo

  • Scherzo. Allegro vivace - Trio

  • Adagio espressivo

  • Allegro molto vivace

Dauer

38 Min.

Entstehung

1845/46

Robert Schumanns Symphonie Nr. 2 ist die Bewältigung einer schöpferischen, seelischen und gesundheitlichen Krise. Als der Komponist in einem Brief an seinen Freund Felix Mendelssohn Bartholdy im Frühherbst 1845 die Idee zu einem neuen Werk mit den Worten «In mir paukt und trompetet es seit einigen Tagen sehr (Trombe in C)» ankündigte, lag eine Zeit schwerer psychischer und physischer Probleme hinter ihm. Seine Therapie war zu­nächst: Bach. Schumann beschäftigte sich intensiv mit der Musik des Barockmeisters und betrieb viele Monate hindurch intensive Kontrapunktstudien. Ende des Jahres 1845 begann er dann mit der neuen Symphonie, die, so vertraute er es seinem späteren Bio­graphen Wasiliewski an, «gleichsam der Widerstand des Geistes» war, «der hier sichtbar influiert hat und durch den ich meinen Zustand zu bekämpfen versuchte.»

Angesichts der schwierigen Ausgangslage, unter denen Schumann die Symphonie dann endgültig im Herbst 1846 zu Papier brachte, erscheint es umso erstaunlicher, dass der Kompo­nist in ihr zu einer lichtvollen Tonsprache mit der bestimmenden «Sieges»-Tonart C-Dur fähig war und zudem die Energie aufbrachte, zu einer völlig neuen formalen und thematischen Gestaltungs­weise zu finden, die das klassische Symphonie-Modell, wie es von Beethoven so beeindruckend für die Nachgeborenen festgeschrieben war, entscheidend weiter entwickelte. In den Formabschnitten der Exposition, Durchführung, Reprise und Koda folgt Schumann nicht mehr der herkömmlichen Entwicklung und Verarbeitung eines kontrastierenden Themenbestands, sondern er macht sie zu Schauplätzen ständiger Transformationen eines Motiv-Ma­terials, das weitgehend schon in der dem Werk vorangestellten Einleitung aufgeworfen wird: Ein markantes Fanfarenmotiv in den Blech­bläsern mit aufsteigendem Quintsprung, eine Streicher-Prozes­sion aus besonnen auf- und absteigenden kleinen Intervall­schrit­ten und ein zunächst getragenes Motiv in den Holz­bläsern, das dann in verkürzter Form mit punktierten Ak­zenten direkt zum folgenden Hauptthema des Allegro-Haupt­satzes überleitet. Dem energiegeladenen Allegro-Beginn folgen ein Seitensatz und eine Schlussgruppe, aus denen Ein­lei­tungs­material herausklingt. In der so genannten Durch­führung setzen, zunächst in den Celli, seufzende Tonfolgen in abwärts führenden Halbtonschritten ein. Diese chromatische Sequenz transformiert einen Motivteil aus der Schlussgruppe. Dann führt eine große Steigerung zur Reprise und ausgeweiteten Koda, in der die Motive zunehmend miteinander verflochten und ständig kontrapunktisch verarbeitet werden – Folge von Schumanns intensiver Bach-Beschäftigung.

In dem nervös flackernden Scherzo sind zwei Trios eingebaut, erst ein in Triolen lieblich hüpfendes, dann ein choralartig feierliches, das an das Streicher-Motiv der Introduktion anknüpft und sich gleichzeitig auch schon für eine weitere Verwendung im kommenden Finale vorbereitet.

In die traumhaft schöne, nahe gehende Melodie des langsamen Satzes ließ Schumann, wohl als Erinnerung an seinen «Therapeuten» Bach, den Beginn der Triosonate aus dessen «Musi­kalischem Opfer» einfließen. Wie wichtig Schumann diese Reminiszenz ist, zeigt sich im Finale, in dem das Adagio-Thema zweimal über lange Strecken in transformierter Gestalt als Sei­tensatz ausgesponnen wird – lyrischer Kontrast zum signalhaft punktierten Hauptthema. Immer mehr wachsen dann einzelne Motivpartikel ineinander, werden verschmolzen und bereiten die Einführung eines völlig neuen Themas vor: die Melodie aus Beethovens Lied «Nimm sie denn hin, diese Lieder» aus dem Zyklus «An die ferne Geliebte» – ist eine Reverenz an das zweite große Vorbild, das auf die Gestaltung dieser Symphonie einwirkte. In diesem Zitat klingt aber auch das zweite Trio wieder an. In einem feierlichen Streicher-Choral führt dann das Beethoven-Thema hin zur Fanfare des Symphonie-Beginns, die nun endgültig den Durchbruch zum Licht bringt.

© NÖ Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Rainer Lepuschitz