Archiv: Tschaikowski 5

Grafenegg Auditorium Auditorium

Interpreten

  • Colin Currie, Schlagwerk
  • Yutaka Sado, Dirigent

Programm

«Die Fünfte Symphonie wurde geschrieben, zum Trotz jener schlimmen Angst, die den Alternden lähmen wollte mit ihrem Flüstern: Du bist ausgesungen, vertrocknet, von dir kommt nichts mehr. Und siehe da: Die Symphonie wurde groß, und sie wurde gut»: So feierte einst Klaus Mann Pjotr Iljtsch Tschaikowskis mitreißendes Werk, die mittlere seiner drei großen «Schicksalssymphonien» mit den Nummern vier bis sechs. Dem orchestralen Glanzstück stellt Tonkünstler-Chef Yutaka Sado ein fulminantes neues Schlagzeugkonzert zur Seite: In Bruno Mantovanis dramatisch-explosivem «Allegro barbaro» brilliert Solist Colin Currie ausschließlich auf einem Arsenal von Instrumenten unbestimmbarer Tonhöhe, aber in schillernden Farben.

Bruno Mantovanis Konzert für Schlagwerk und Orchester «Allegro Barbaro» ist ein Auftragswerk des Orchestre Philharmonique de Radio France und des Tonkünstler-Orchesters und wird als Österreichische Erstaufführung präsentiert.

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Steve Reich

«Music for pieces of wood» für gestimmte Klanghölzer

Dauer

8 Min.

Entstehung

1973

Den Namen des 1936 geborenen New Yorkers Steve Reich assoziiert man unmittelbar mit einer spezifischen musikalischen Stilrichtung: Gemeinsam mit Landsleuten wie Philip Glass, Terry Riley, La Monte Young und John Adams gilt er seit Jahrzehnten als einer der prominentesten Vertreter der Minimal Music. Kurz gefasst geht es dabei um die permanente Wiederholung rhythmischer, melodischer oder anderer Elemente, die sich in sogenannten Phasen oft nur langsam, manchmal auch abrupt ändern. Für diese Technik findet Reich, der auch Pianist und Schlagzeuger ist, vor allem im ungemein reichen Instrumentarium und den Anwendungsmöglichkeiten des Schlagwerks in der Volks- und Kunstmusik aus aller Welt eine schier unerschöpfliche Inspirationsquelle.

Einen Sommeraufenthalt 1970 in Ghana nutzte er dazu, sich auf diesem Gebiet zusätzliche Kenntnisse anzueignen, vor allem hinsichtlich polyrhythmischer Elemente, was sich unter anderem in dem international bekannt gewordenen Titel «Drumming» von 1970/71 und der heute zu hörenden «Music for Pieces of Wood» niederschlug. Hier zeigt sich auch immer wieder Reichs Leidenschaft für das Unerwartete, die zu ungewöhnlichen Klangerlebnissen führt. So kann man die «Music for Pieces of Wood», ein Stück für fünf Schlaghölzer, auch Klanghölzer oder Claves genannt, als eine direkte Fortsetzung der Gedankenwelt der ein Jahr zuvor entstandenen «Clapping Music» ansehen, die ausschließlich durch Händeklatschen interpretiert wird und ursprünglich das Klatschen und die Hölzer in einer Komposition gemeinsam einsetzen sollte.

Beiden Werken liegt der Anspruch zugrunde, Musik aus der Verwendung der einfachsten Mittel heraus zu erschaffen, abseits der menschlichen Stimme. Sowohl das Klatschen mit den Händen als auch das Zusammenschlagen von Hölzern kamen in frühen Zeiten und kommen heute noch vielfältig in außereuropäischer Kommunikationskultur, aber auch bei uns bereits bei kleinen Kindern als Signal oder zur Formung musikalischer Stücke zum Einsatz. Wer nun denkt, Steve Reich habe für seine Stücke lediglich in wenigen Minuten improvisationsartig Gedanken zu Papier gebracht, erhält mit «Music for Pieces of Wood» im Gegenteil ein Beispiel gereifter Konstruktion. So arbeitete er neun Monate hindurch immer wieder an der Ausarbeitung der rhythmischen Patterns, also der Muster und Strukturen dieser Musik. Reich selbst geht auf das Ergebnis dieses Prozesses wie folgt ein: «‹Music for Pieces of Wood› erwuchs aus denselben Wurzeln wie ‹Clapping Music›: der Sehnsucht, Musik mit den am einfachsten denkbaren Instrumenten zu erzeugen. Die verwendeten Claves oder zylindrischen Hartholzstäbe wurden aufgrund ihrer speziellen Tonhöhen […] und ihrer volltönenden Klangfarbe ausgewählt. Das Stück ist eines der lautesten, die ich je komponiert habe, verwendet allerdings keinerlei Verstärker. Die rhythmische Struktur basiert gänzlich auf dem Prozess des Aufbaus rhythmischer Schichtungen oder dem Ersetzen von Schlägen durch Pausen.»

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Christian Heindl

Bruno Mantovani

«Allegro Barbaro» Konzert für Schlagwerk und Orchester

Dauer

19 Min.

Entstehung

2020

Gewiss, jedes physische menschliche Opfer wiegt schwerer als die Einschränkungen im Kulturbetrieb, und doch wirbelte die viel zitierte Pandemie der vergangenen beiden Jahre diesen weltweit durcheinander – mit Folgen, die teils bis heute nicht absehbar sind. Zu den unzähligen geplanten Präsentationen, die oft in letzter Minute abgesagt werden mussten, gehörte auch Bruno Mantovanis «Allegro Barbaro», das am 2. April 2020 uraufgeführt werden sollte. Stattdessen kam das Werk mit fast auf den Tag genau zweijähriger Verspätung erst in diesem Frühjahr zur Weltpremiere, der nun die österreichische Erstaufführung folgt. Der Auftrag war gemeinsam vom Orchestre Philharmonique de Radio France und dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich ergangen, die Widmung erfolgte an den Schlagzeug-Virtuosen Colin Currie.

Mit Currie und Mantovani fand sich eine geradezu ideale Kombination, ist doch der Komponist selbst ausgebildeter Schlagwerker, der mit Leidenschaft für diese Instrumentengruppe zu schreiben weiß. Currie wiederum ist einer der profiliertesten Interpreten zeitgenössischer Musik für Schlagzeug, der eine Vielzahl an Werken von Komponisten aus aller Welt in enger Zusammenarbeit mit diesen erarbeitete und erfolgreich aus der Taufe hob. So war er es auch, der Mantovani um ein entsprechendes Werk bat. Seine Beweggründe stellte er wie folgt dar: «Ich war schon immer äußerst fasziniert von Brunos schwirrender, widerborstiger Instrumentierung. Im Stammbaum der Musik für Schlagzeug ist er natürlich bereits tief verwurzelt, da er vielleicht unser großartigstes virtuoses Marimba-Solo überhaupt in der Gestalt von ‹Moi, jeu…› geschrieben hat, das ich seit Jahren spiele und an dem ich fortwährend übe!»

Nach Erhalt der fertigen Komposition bezeichnete Currie das «Allegro Barbaro» spontan als eines der bedeutendsten und außergewöhnlichsten Schlagzeugkonzerte innerhalb seines bereits wahrlich nicht kleinen Repertoires: «[…] eine monumentale Partitur von großer Farbigkeit und voller Energie, mit einem Aspekt der Wildheit und stürmischer Dramatik.» Es war sicher nicht nur Zweckoptimismus, sondern die weise Voraussicht des Routiniers, Praktikers und künstlerischen Visionärs, die Currie nach monatelanger Einstudierung anlässlich der coronabedingt geplatzten Premiere vor zwei Jahren zu der fast trotzig klingenden Ansage veranlasste: «Leider ist die Uraufführung des Schlagzeugkonzerts von Bruno Mantovani bei Radio France ein weiteres kulturelles Opfer der gegenwärtigen Ereignisse. Die einzige Priorität besteht derzeit darin, dass wir alle an einem Strang ziehen, um diese entsetzliche Entwicklung in den Griff zu bekommen. […] Ein Orchesterwerk dieser Kraft kann nicht vollständig zum Erliegen gebracht werden, und ich genieße es, es zu einem späteren Zeitpunkt in die Tat umzusetzen. Macht euch bereit!» Dieser Zeitpunkt ist nun mit den Aufführungen in Monaco, Frankreich und Österreich gekommen. Man ist bereit.

Bei dem rund 20-minütigen «Allegro Barbaro» handelt es sich bereits um Bruno Mantovanis dritte Arbeit, die das Schlagzeug in einen konzertanten Kontext stellt, allerdings die erste, in der es mit einem großen Symphonieorchester konfrontiert wird. Er entschied sich, für sein Stück aus der ungemein reichhaltigen Familie des Schlagwerks größtenteils mit Haut bzw. Membranen bespannte Instrumente zu verwenden, sogenannte Fellklinger oder Membranophone – im Gegensatz zur Gruppe der Selbstklinger oder Idiophone. Diese Besetzung erinnerte Mantovani an einige zentrale Konzertwerke von Iannis Xenakis ebenso, wie sie ihm aus den Schlagzeugsoli der Popmusik und dem Jazz vertraut ist. Der Komponist: «Alle Klänge, die der Solist aussendet, haben eine unbestimmte Tonhöhe. Ich wollte meine Aufmerksamkeit auf die Energie, auf die Dynamik und auf den Rhythmus richten; abwechselnd melodisch (am Anfang des Werks), hartnäckig (durch die häufige Verwendung von Tonwiederholungen), repetitiv (etwa im Tempelblock-Abschnitt), martialisch (in einem Solo der Kleinen Trommel am Ende des Werks). Das Material ist in ständiger Bewegung. Das Orchester fungiert als klangliche Erweiterung der Hauptstimme. Tatsächlich wird die Harmonik neutralisiert, das Verhältnis zwischen Solist und Orchester beruht auf Vertikalität.»

Solist Colin Currie über die Spezifika der Schlagzeugverwendung in diesem Konzert: «Die Percussion-Besetzung ist einzigartig im Repertoire, da sie zur Gänze aus ungestimmten [in der Tonhöhe freien, Anm.] Instrumenten besteht – es gibt also keine Keyboards oder Melodien im traditionellen Sinn. Das gesamte verwendete Material und die musikalischen Linien sind sehr geschickt über die Trommeln, Becken und Holzblöcke verteilt. Dann gibt es da auch großartige Momente der Erregtheit, die auf die kleine Trommel fokussiert sind – vielleicht der übersprudelndste Effekt im Instrumenten-Arsenal. Viele Schlagzeuggesten werden vom Orchester verdoppelt, etwa wenn die Blechbläser einen Tom-Tom-Wirbel oder die Kontrabässe ein Grollen der Großen Trommel stützen.»

Der Titel «Allegro Barbaro» lässt nicht nur Pianisten an das gleichnamige Klavierstück von Béla Bartók denken, dessen Wildheit und Dissonanzenreichtum zur Entstehungszeit 1911 als radikal gelten mussten – eine folgerichtige Assoziation, die Mantovani ganz bewusst wählte, um damit auf den Bezug des Charakters seiner eigenen Komposition zum – wie er meint – rohen («art brut») oder gar brutalen («art brutal») Aspekt des Bartók-Werks zu verweisen. Musikalisch-inhaltliche Verbindungen zwischen den beiden Stücken gibt es hingegen nicht.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Christian Heindl

Pjotr Iljitsch Tschaikowski

Symphonie Nr. 5 e-Moll op. 64

Sätze

  • Andante - Allegro con anima

  • Andante cantabile, con alcuna licenza

  • Valse. Allegro moderato

  • Finale. Andante maestoso - Allegro vivace

Dauer

55 Min.

Entstehung

1888

Pjotr iljitsch Tschaikowski unternahm 1888 seine erste große Konzertreise in die Musikzentren Europas – nach Leipzig, Hamburg, Berlin, Prag, Paris und London. Überall dort hatte er nicht nur mit ansehnlichem Erfolg seine Musik aufgeführt, sondern auch Kollegen wie Johannes Brahms, Gustav Mahler, Antonín Dvorák, Charles Gounod, Jules Massenet, Gabriel Fauré, Edvard Grieg oder Richard Strauss wieder getroffen oder überhaupt erst kennengelernt. Doch trotz der künstlerisch anregenden neuen Bekanntschaften fand sich Tschaikowski am Ende der Reise in unglücklicher Stimmung wieder, wie ein Tagebucheintrag vom 27. März 1888 im Wiener Hotel «Ungarische Krone» zeigt: «Nach Hause. Packen. Es steht eine Reise nach Russland bevor. Schreiben für wen? Weiterschreiben? Lohnt kaum. Wahrscheinlich schließe ich damit für immer mein Tagebuch ab. Das Alter klopft an, vielleicht ist auch der Tod nicht mehr fern. Lohnt sich denn dann alles noch?»

Wieder nach Hause zurückgekehrt nahm Tschaikowski als erstes einen Umzug vor: Er zog sich auf sein Landgut Frolowskoje nahe der russischen Stadt Klin zurück und gewann dort seinen Lebensmut und seine schöpferische Kraft wieder. Seine Jahrbücher führte er zwar erst ein knappes Jahr später wieder weiter, doch schon im Mai 1888 begann er mit der Arbeit an seiner fünften Symphonie; nur drei Monate später war sie vollendet. Nach elf Jahren also (1877 war die Vierte entstanden) bezwang er erneut die Form der Symphonie, wobei Tschaikowski in den Jahren davor durchaus Symphonisches geschrieben hatte, wie das Capriccio italien, die Ouvertüre 1812, die Streicherserenade oder die programmatische Manfred-Symphonie belegen. Freilich, ganz friktionsfrei gestaltete sich auch diese Arbeit nicht, wie ein Brief an seine Freundin Nadesha von Meck verrät: «Ich will jetzt tüchtig arbeiten, um mir selbst, aber auch den anderen zu beweisen, dass ich mich noch nicht ausgeschrieben habe. Oft überkommen mich Zweifel, und ich stelle mir die Frage: Ist es nicht an der Zeit, aufzuhören? Habe ich meine Phantasie nicht überanstrengt? Ist die Quelle vielleicht schon versiegt?» Gleichzeitig mit der Fünften entstand auch die Hamlet-Ouvertüre, beide Werke stellte Tschaikowski, selbst am Pult, am 17. November 1888 dem Publikum in St. Petersburg vor. Gewidmet ist die Symphonie dem Hamburger Musikkritiker und Musikschriftsteller Johann Theodor Friedrich Avé-Lallemant, den Tschaikowski auf der Konzertreise 1888 kennengelernt hatte. Übrigens schon während seiner Rückreise von dieser ersten Tournee zog es ihn erneut in die Ferne, wie er Nadesha von Meck brieflich gestand: «Ist es nicht merkwürdig, dass ich nach einer ermüdenden dreimonatigen Wanderung durch die Fremde schon wieder an neue Reisen denke? So aber ist der Mensch, kaum ist meine als höchstes Glück ersehnte Rückkehr nach Russland zur Tatsache geworden, da wünsche ich mir bereits eine neue Reise im kommenden Jahr!» Gleich Anfang 1889 schloss sich diese weitere ersehnte Reise an; dabei dirigierte Tschaikowski auch seine fünfte Symphonie, die in Hamburg der dortige Musikkritiker Josef Sittard als eine der «bedeutendsten musikalischen Erscheinungen der letzten Zeit» bezeichnete. Vom selbstkritischen Komponisten gibt es durchaus wenig schmeichelhafte Anmerkungen zu seiner eigenen Fünften, die überall sonst auf immer größere öffentliche Anerkennung stieß: «Nach jeder Aufführung empfinde ich immer stärker, dass dieses Werk mir misslungen ist. Die Symphonie erscheint mir zu bunt, zu massiv, zu künstlich, zu lang, überhaupt unsympathisch.» Wie so oft sind die Schöpfer ihrer Werke die strengsten Kritiker ihrer selbst und oft gar nicht dazu auserkoren, das eigene Werk richtig zu beurteilen. Klaus Manns schrieb zur Fünften in seiner Tschaikowski-Biographie: «… geschrieben, zum Trotz jener schlimmen Angst, die den Alternden lähmen wollte mit ihrem Flüstern: Du bist ausgesungen, vertrocknet, von dir kommt nichts mehr. Und siehe da: Die Symphonie wurde groß, und sie wurde gut. Sie hatte Schwermut und Glanz und dazwischen eine ganz entrückte Leichtigkeit und am Ende den stolzen und heftigen Überschwang dessen, der sich höchst tapfer wehrt.»

Am ohrenfälligsten an der fünften Symphonie ist der thematische Zusammenhang, ein Bogen, der sich mittels eines einprägsamen Leitmotivs über alle vier Sätze spannt. Während etwa der vierten Symphonie ein ausführliches Programm zugrunde liegt, sind zur fünften nur wenige Notizen aus Tschaikowskis Feder überliefert. Das Hauptthema, mit dem der erste Satz (Andante – Allegro con anima) der Symphonie anhebt, charakterisiert er folgendermaßen: «Introduktion. Völlige Ergebung in das Schicksal oder, was dasselbe ist, in den unergründlichen Ratschluss der Vorsehung.» Die Klarinette stellt das Thema vor, etwas später gesellt sich das Fagott hinzu; das Allegro, zu dem Tschaikowski die Wörter «Murren, Zweifel, Klagen, Vorwürfe» notiert hat, stimmen dann beide Instrumente gemeinsam an. Nicht zu leugnen ist die oft zitierte Verwandtschaft des Hauptthemas mit dem Mittelteil der Es-Dur-Polonaise op. 26/2 von Frédéric Chopin. Trotz der formalen Gabel durch das in allen Sätzen auftretende Hauptmotiv bleibt Tschaikowski formal innerhalb der üblichen symphonischen Parameter. Das D-Dur-Seitenthema hebt sich deutlich vom düsteren Hauptgedanken ab und in der Durchführung ist es schließlich das punktierte Motiv am Beginn des Hauptthemas, das den dramatischen Aufbau und Höhepunkt bestimmt. Die Coda schließlich verklingt nach nochmaligem energischen Ausbruch, langsam ausfasernd im dreifachen Piano.

Der zweite Satz (Andante cantabile) zählt gewiss zu den größten Errungenschaften des Melodikers Tschaikowski, als welchen ihn etwa Igor Strawinski außerordentlich schätzte. Diese «sehr seltene und kostbare Begabung» (Strawinski) bestimmt das herrliche Andante cantabile, zu dem der Komponist notierte: «Soll ich mich dem Glauben in die Arme werfen?» Diese Frage mag man nun aus den choralartigen Einleitungstakten heraushören, oder auch in dem vom Solo-Horn vorgetragenen Hauptthema erkennen, dem «Lichtstrahl» (Tschaikowski) der Symphonie. In der Mitte des Satzes schleicht sich, beinahe unmerklich, das Leitmotiv ein, bis es schließlich im dreifachen Forte zum Ausbruch kommt. Der Einbruch des Schicksals in kräftigen Blechklängen scheint von nur kurzem Bestand, nochmals baut sich das hymnische Thema auf, doch wieder schlägt das Schicksal drein: Dauerhaft soll sich die ungetrübte Harmonie (noch) nicht durchsetzen, und so findet der Satz ein vorsichtiges Ende, wieder im dreifachen Piano.

Die zarte, salonartige Valse lässt den Gedanken an das Leitmotiv und seine Bewandtnis beinahe vergessen. Ein wenig erregter nimmt sich das einkomponierte Trio mit all seinen flirrenden Sechzehntelfiguren aus. Erst gegen Ende meldet sich ganz zart das Schicksals-Motiv in Klarinette und Fagott zu Wort, bevor dieser zarte Satz plötzlich und unerwartet im Fortissimo endet.

Das inzwischen wohl bekannte Leitmotiv erklingt, jetzt umgedeutet nach E-Dur, in der Einleitung des Finales (Andante maestoso – Allegro vivace), welches nicht nur formal zwischen Sonatensatz und Rondo steht, sondern auch beispielhaft die Doppelgesichtigkeit der Symphonie charakterisiert. Frank Reinisch fasste diesen Umstand vielleicht am Besten in Worte: «Verrät der Kontrast zwischen dem kammermusikalischen düsteren Beginn der Symphonie und der triumphierenden Finalwirkung des Schicksalsthemas nicht die ungeheuren Spannungen, unter denen Tschaikowski litt und die ihn schließlich zur Komposition dieser ‹molto maestoso›-Apotheose zwangen? Auf der einen Seite steht die öffentliche Anerkennung allerorten, auf der anderen Seite bohrende Selbstzweifel, wie sie Tschaikowski übrigens bald darauf auch an seiner 5. Symphonie kurz nach den ersten Aufführungen geäußert hat, und die heimliche Skepsis gegenüber den Mitmenschen.» Die Final-Coda bringt schließlich das Leitmotiv, nach dramatischen Auseinandersetzungen in der Durchführung und der Reprise, in glänzendem E-Dur: erst noch breit aussingend, dann im Presto im Eilschritt, und zuletzt kraftvoll triumphierend, als nachdrückliche Bestätigung, das Schicksal doch bezwingen zu können – zumindest in der Musik.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Markus Hennerfeind