Archiv: Mozart & Ives

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Louis Schwizgebel, Klavier
  • Patrick Hahn, Dirigent

Programm

Der amerikanische Komponist Charles Ives war Versicherungsmakler, galt als Eigenbrötler und liebte es, in seinen Werken musikalische Zitate einzubauen. 1901 vollendete er die zweite seiner insgesamt sechs Symphonien, mit der die Tonkünstler und der junge österreichische Dirigent Patrick Hahn das Œuvre nun für sich und ihr Publikum neu entdecken. «Musik muss berühren, nicht beeindrucken», sagt Louis Schwizgebel, der Schubert, Mozart und Beethoven lieber spielt als Rachmaninow und Tschaikowski. Voilà: Der Schweizer debütiert bei den Tonkünstlern mit Wolfgang Amadeus Mozarts zartem A-Dur-Klavierkonzert KV 414, das in Wien entstand und zauberhafte Brücken zwischen Einfachheit und Virtuosität schlägt.

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Charles Ives

«Putnam’s Camp, Redding, Connecticut» aus «Three Places in New England»

Sätze

  • The “St. Gaudens” in Boston Common (Col. Shaw and his Colored Regiment)

  • Putnam’s Camp, Redding, Connecticut

  • The Housatonic at Stockbridge

Dauer

6 Min.

Entstehung

1911-1914/1929
Wolfgang Amadeus Mozart

Konzert für Klavier und Orchester A-Dur KV 414

Sätze

  • Allegro

  • Andante

  • Rondeau. Allegretto

Dauer

26 Min.

Nachdem sich Wolfgang Amadeus Mozart im Juni 1781 des einengenden Dienstes beim Salzburger Erzbischof entledigt hatte, war er gezwungen, sich als freischaffender Komponist und Klaviervirtuose in Wien ein Geschäftsfeld zu erschließen. Hatte er sich in seiner frühen Wiener Zeit noch mit Aufführungen seiner Salzburger Konzerte begnügen müssen, entschloss er sich im Herbst 1782 zur Komposition von drei neuen Konzerten, KV 413 bis 415, die er auf Subskriptionsbasis in Kopien veröffentlichen wollte.

In Wien herrschte großes Interesse für die relativ neue Gattung «Klavierkonzert», und Mozart schien die Gelegenheit günstig, die Festigung seines Rufes als Virtuose mit finanziellem Gewinn zu verknüpfen. In einem Brief vom 28. Dezember 1782 an seinen Vater beschreibt Mozart diese drei Konzerte: «Nun fehlen noch 2 Concerten zu den Suscriptions Concerten. – die Concerten sind eben das Mittelding zwischen zu schwer, und zu leicht – sind sehr Brillant – angenehm in die ohren – Natürlich, ohne in das leere zu fallen – hie und da – können auch kenner allein satisfaction erhalten – doch so – daß die nichtkenner damit zufrieden seyn müssen, ohne zu wissen warum.»

Im Jänner 1783 wurden die Konzerte dreimal in der Wiener Zeitung annonciert: «Musikalische Nachricht. Herr Kapellmeister Mozart macht hiemit dem hochansehnlichen Publikum die Herausgabe drey neuer erst verfertigter Klavierconzerten bekannt. Diese 3 Conzerten, welch man sowohl bey großem Orchestre mit blasenden Instrumenten, als auch nur a quattro, nämlich mit zwei Violinen, 1 Viole, und Violoncello aufführen kann, werden erst Anfangs Aprils d. J. zum Vorschein kommen, und nämlich nur denjenigen (schön copirter und von ihm selbst übersehen) zu Theile werden, die sich darauf subscribirt haben. Es dienet hiemit zur fernern Nachricht, daß bey ihm vom 20 dieß Monats angerechnet, bis letzten März, Subscriptionsbillets gegen 4 Ducaten zu haben sind.»

Aus der Annonce geht hervor, dass Mozart im Interesse seiner Kundschaft eine flexible Besetzung vorgesehen hatte. Die Bläser konnten weggelassen und somit die Konzerte auch mit Begleitung durch eine Streichquartettbesetzung aufgeführt werden. Diese reduzierte Besetzung wurde wohl von Johann Samuel Schroeters sechs Klavierkonzerten op. 3 angeregt, die Mozart sehr schätzte. Die Subskription der Konzerte begann schleppend, was wohl am hohen Stückpreis lag. Am 22. Jänner 1783 beschwerte sich Mozart über das mangelnde Echo der Subskription, und in einem Brief an Baronin Martha Elisabeth von Waldstätten vom 15. Februar 1783 musste er gestehen, dass er seine Schulden nicht bezahlen konnte, weil es «mit der Suscription seiner Conzerten so langsam hergeht». Zwei Monate später bot er die Konzerte erfolglos dem Pariser Verleger Jean-Georges Sieber an. Sie wurden schließlich erst 1785 bei Artaria & Co. in Wien veröffentlicht. Es war dies die einzige zu Mozarts Lebzeiten erschienene Druckausgabe seiner Klavierkonzerte.

Das Allegro beginnt mit einem emphatischen Thema in den ersten Geigen, während das zweite Thema sich mit Synkopen zwischen Geigen und Bratschen hin- und herbewegt. Ein Mannheimer Crescendo von erstaunlich wirkungsvoller Einfachheit bereitet den Einsatz des Klaviers vor. Die Durchführung bringt ein neues marschähnliches Thema im Klavier, das gemeinsam mit dem Orchester das thematische Material intensiv verarbeitet. Für die knappe Reprise schrieb Mozart zwei verschiedene Kadenzen. Das Anfangsthema des Andante beruht auf einer Melodie aus Johann Christian Bachs Ouvertüre zu Baldassare Galuppis Oper «La Calamita de’Cuori». Dieses Zitat ist eine Hommage an den von Mozart verehrten Londoner Bach, der am 1. Jänner 1782 gestorben war. Das abschließende Allegretto ist ein lebhaftes Rondo, dessen thematisches Material aus drei Motiven besteht. Das zweite ist unisono und kehrt häufig im imitierenden Kontrapunkt zwischen Klavier und Orchester wieder. Die zweite Hälfte des Satzes bringt ein neues Thema für den Solisten, und mit einer kurzen, aber raffinierten Kadenz endet das Konzert.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Michael Lorenz

Charles Ives

Symphonie Nr. 2

Sätze

  • Andante moderato –

  • Allegro molto (con spirito)

  • Adagio cantabile

  • Lento maestoso

  • Allegro molto vivace

Dauer

40 Min.

Entstehung

1900

«Long, long ago»: Hierzulande kennt man diese Hymne der Nostalgie mit dem Text «Lang, lang ist’s her», hält sie für ein deutsches Volkslied und erinnert sich, dass diverse Schlagersängerinnen und -sänger damit Evergreen-Erfolge feiern konnten. Der Song stammt jedoch ursprünglich vom 1839 verstorbenen Engländer Thomas Haynes Bayly, der nicht nur bei uns so gut wie vergessen ist. Seine Schöpfung jedoch wurde allgemein bekannt: In den USA ging das «Long, long ago» um die Mitte des 19. Jahrhunderts in jenes Reservoir von (Volks-)Liedern, Märschen und Kirchengesängen ein, das den Eingewanderten und ihren Nachkommen als kulturelles Gemeingut galt.

Aus diesem schöpfte dann der Komponist Charles Ives: Seine zweite Symphonie, rund um 1900 auf der Basis einer Reihe von älteren Werken entstanden, enthält in der Regel keine eigentlichen Zitate. Eher biegt Ives sich allerlei populäre Melodien zurecht, die zwischen Prärie und Saloon, Kirche und Jahrmarkt kursierten, oder er fragmentiert und setzt die Teile anders zusammen: Wer in dem Repertoire bewandert ist, kann etwa «Turkey in the Straw» heraushören, «Pig Town Fling», «Old black Joe», «Massa’s in de cold Ground», «Nettleton», «Wake Nicodemus», «Bringing in the Sheaves», «Where, o where are the Pea-green Freshmen?» und vieles mehr. Zum Verständnis nötig ist das alles ebenso wenig wie die Tatsache, dass Ives das mit Einsprengseln europäischer Kunstmusik vermischt, beispielsweise von Bach, Beethoven und Brahms. Denn es gelingt ihm, das Ganze in etwas Neues, Eigenes, Tiefes zu verwandeln. Man mag es eine vorweggenommene Postmoderne nennen; passender ist vermutlich, diesen integrativen Kunstbegriff als ein musikalisches Äquivalent zum viel zitierten Schmelztiegel USA zu begreifen. Jedenfalls lassen sich mühelos Parallelen zum Schaffen des 14 Jahre älteren Gustav Mahler ziehen, der in seine Symphonien auch die Klänge seiner Welt integriert hat: vom Naturlaut bis zu Volksliedtonfall und Wirtshaustanz, von Klezmer und Militärmusik bis zum Choral.

Aber hier wie dort verbinden sich die Elemente neu. Wenn in Ives’ zweiter Symphonie am Höhepunkt des Volksfest-Finales die Posaunen sogar noch den zuvor schon immer wieder angedeuteten Marsch «Columbia, the Gem of the Ocean» als ausführlichen Kontrapunkt schmettern, ist das für ihn in dieser Deutlichkeit eher die Ausnahme. Es führt aber, dem allgemeinen F-Dur-Feuerwerk zum Trotz, gewissermaßen logisch zum letzten Akkord, einer witzig-schrillen Dissonanz. Alle Zwölfe? Nein, nur elf – der Ton H fehlt. Systematiker wie sein Jahrgangskollege Arnold Schönberg war Ives eben nicht, zumindest nicht in der Musik. Apropos Schönberg: Der schrieb einmal in der Emigration in den USA die bewundernden Worte: «Ein großer Mann lebt in diesem Lande – ein Komponist. Er hat das Problem gelöst, wie man sich selbst treu bleiben und wie man lernen kann. Er reagiert auf Vernachlässigung mit Verachtung. Er braucht weder Lob noch Tadel zu akzeptieren. Sein Name ist Ives.»

Charles Ives gehört zu den immer noch zu wenig bekannten und erforschten, aber ungemein faszinierenden Komponistenpersönlichkeiten rund um die vorletzte Jahrhundertwende – und ist ein treffliches Beispiel dafür, dass die fanalartigen Anbrüche der Moderne sich nicht nur in den Musentempeln des alten Europas vollzogen haben, sondern fallweise auch am Schreibtisch eines US-amerikanischen Versicherungsexperten ersonnen worden und dann in der Schublade gelandet sind. Denn als solcher war der 1874 in Danbury, Connecticut, als Sohn eines Militärkapellmeisters geborene Charles Ives in seinem einträglichen Brotberuf tätig. Der unkonventionelle Musikbegriff, den sein Vater pflegte, hatte bestimmenden Einfluss: Gerne wird die Anekdote erzählt, George Ives habe seinen Sprössling auf den heimischen Kirchturm mitgenommen, während auf seine Veranlassung hin verschiedene Blasmusikgruppen durch den Ort marschierten und sich die gespielte Musik auf charakteristische Weise mischte. Polymetrik und Bi- oder Polytonalität waren vor diesem Hintergrund keine besonders modernistischen Techniken, sondern ganz natürliche Phänomene.

Der innovativen Haltung des Vaters blieb Ives auch nach dessen frühem Tod treu. In der Folge machte er die Musik zwar nicht zu seinem Beruf, jedoch zu seiner Leidenschaft. Er könne doch Frau und Kinder nicht an den eigenen Dissonanzen verhungern lassen, schrieb er als noch lediger Student kurz vor seinem Abschluss 1898. Ives ging danach ins Versicherungswesen und machte sich dort einen Namen mit seinen auf Wahrscheinlichkeitsrechnung basierenden Lebensversicherungssystemen. Als Komponist hingegen experimentierte er bis Mitte der 1920er-Jahre in seinen vielfach vorerst unbeachtet gebliebenen, zum Großteil programmatisch konzipierten Werken etwa mit Vierteltönen und der Einbeziehung des Zufalls. Dann jedoch gab er die Musik auf, nicht zuletzt aus gesundheitlichen Gründen. Erst spät erlangte Ives größere Bekanntheit: Viele seiner Ideen bildeten die Grundlage für John Cages offene Konzepte, mit denen dieser die europäische Avantgarde aufmischte. Zu den zentralen Themen in Ives’ Schaffen zählt tatsächlich das genuin Amerikanische.

Das hört man auch seiner zweiten Symphonie deutlich an, dem ersten großen Werk, das Ives nach dem Studium komponiert hat, dessen Uraufführung aber erst wesentlich später stattgefunden hat: 1951, mit dem New York Philharmonic unter Leonard Bernstein. Ives, damals im 76. Lebensjahr, war nicht zu dem Konzert angereist, das ihn und sein Schaffen aus der Obskurität holen konnte: Er begnügte sich mit der Radioübertragung, die er ebenso wortlos quittiert haben soll wie den Jubel des Publikums.

Die Symphonie umfasst fünf Sätze, wobei die ersten beiden ohne Pause aufeinanderfolgen und sich ausnehmen wie eine enorme langsame Einleitung, die vom eigentlichen, raschen ersten Satz gefolgt wird. Das eröffnende Andante moderato besitzt ernsten Charakter und steigt kontrapunktisch aus den tiefen Streichern empor. Das Geschehen verdichtet sich und lässt schon Anklänge an den «Columbia»-Marsch aufblitzen, die sich später mehren werden.

Wie eine heitere Spritztour an einem sonnigen Sonntagnachmittag beginnt dagegen das unmittelbar anschließende Allegro, das als Kontrast die liedhaft schlichten Holzbläser ins Rampenlicht bittet. Der Satz steigert sich zuletzt hymnisch und verflüchtigt sich dann mit knapper Geste. Im Adagio cantabile tauchen nicht zuletzt Fragmente von «America, the beautiful» in einer innigen, pastoralen Szenerie auf. Ins Ernste, Herbe wandelt sich dies im kurzen Lento maestoso, seinerseits eine Art von Einleitung zum letzten Satz. Der Stimmungsumschwung, den der «Columbia»-Marsch hier verheißt, tritt dann wirklich mit dem Finale ein.

In diesem brillanten Allegro molto vivace wirbeln allerlei Themen kontrapunktisch durcheinander, schon bekannte ebenso wie neue: ein wahrer Jahrmarktstrubel der Ausgelassenheit, der aber auch wunderbar lyrisch ausbalanciert wird, etwa durch das eingangs genannte «Long, long ago». Die verschiedensten Motive und Melodien scheinen miteinander zu konkurrieren und doch aufs Schönste, Ausgelassenste ineinanderzugreifen. Und der gleichfalls schon angesprochene, wild dissonante Schlussakkord versetzt den sogenannten «Bronx cheer» in den Konzertsaal: eine angeblich bei Sportveranstaltungen im New Yorker Stadtteil Bronx populär gewordene Geste für ernst oder humorvoll gemeinte Ablehnung in Form eines nachgeahmten Furzgeräuschs. Auf Leonard Bernstein geht die Tradition zurück, den eigentlich nur als Achtelnote in der Partitur verzeichneten Akkord lang auszudehnen. Was Charles Ives davon gehalten hat, ist nicht überliefert.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Walter Weidringer