Archiv: Bartók & Dvorák

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Alena Baeva, Violine
  • Tomas Netopil, Dirigent

Programm

Liebe und Leidenschaft, Licht und Schatten liegen eng zusammen in diesem Programm, das den tschechischen Dirigenten Tomáš Netopil und die Geigerin Alena Baeva zu den Tonkünstlern zurückbringt: In Leoš Janáčeks Oper «Jenůfa» geht es um tragische Verflechtungen von Liebe, Moral und Schuld in einem mährischen Dorf. Der junge Béla Bartók hatte soeben ein Violinkonzert vollendet, als die geliebte Geigerin seinen Heiratsantrag ablehnte – worauf das Werk 50 Jahre in einer dunklen Schublade verbrachte. Sonnigste Klänge durchfluten dagegen die prachtvolle Brahms-Hommage von Antonín Dvořáks sechster Symphonie: Musik zum Verlieben.

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Leos Janácek

Suite aus der Oper «Jenufa» (Bearbeitung: Manfred Honeck und Tomas Ille)

Dauer

22 Min.

Entstehung

1894-1903/1915/2013

Lange Zeit wurde der Name Leoš Janácek vorwiegend mit nur einem Werk verbunden: mit der Oper «Jenufa», die seinen Ruhm begründete. Das hat sich geändert, und man begegnet im Konzert- und Opernleben nun doch einer ganzen Reihe von Werken dieses sehr eigenständigen Vertreters tschechischer Musik im 20. Jahrhundert, etwa den Opern «Katja Kabanowa» und «Das schlaue Füchslein», der wirkungsvollen «Sinfonietta» und der «Glagolitischen Messe». Was ist das Charakteristische in der Tonsprache Janáceks? Er ist «modern», aber nicht in einem doktrinären Sinne; seine Musik ruht auf tonalem Fundament, weitet dieses aber im Sinne dramatischer Expressivität stark aus, und immer bleibt die spezifische «Färbung» durch das heimatliche Idiom spürbar.

In «Jenufa» steht ein Dorfmädchen im Mittelpunkt eines Geschehens, das von Tragik und gesellschaftlichen Zwängen bestimmt ist: Jenufa, die als Ziehtochter der Küsterin des Ortes aufwächst, erwartet ein Kind von ihrem Geliebten Števa; dieser weigert sich jedoch, sie zu heiraten. An seine Stelle tritt sein Stiefbruder Laca und erklärt der Küsterin seine Liebe zu Jenufa. Um dieser die Heirat zu ermöglichen, tötet die Küsterin das Kind, das Jenu°fa heimlich zur Welt gebracht hat – während der Hochzeit wird die Tat offenbar, und vor der Dorfgemeinschaft bekennt die Küsterin sich schuldig. Jenu°fa verzeiht ihr und verbindet sich mit Laca, dessen Liebe über alle Tragik siegt. Die Oper, die mit ihrem tragisch-realistischen Sujet durchaus dem zeitüblichen «Verismo» entspricht, wird am 21. Jänner 1904 im Tschechischen Nationaltheater in Brünn uraufgeführt; ihre Breitenwirkung beginnt jedoch erst mit der Prager Aufführung am 26. Mai 1916, der 1918 die deutschsprachige Erstaufführung
an der Wiener Hofoper mit Maria Jeritza in der Titelpartie folgt – nun ist der Weg auf die Bühnen der Welt frei.

Die Musik zu «Jenufa» führt uns eine Welt der Gegensätze vor Augen: Hier die Not, das Leid und die Hoffnungen Jenufas, dort das ausgelassene Treiben der «Außenwelt», eindrucksvoll verkörpert in Tänzen, die die Atmosphäre eines mährischen Dorfes erlebbar machen. Um diese Musik auch konzertant erklingen zu lassen, wurden charakteristische Teile zu Orchestersuiten zusammengefasst – nicht vom Komponisten selbst, sondern von Dirigenten der Folgezeit. Die hier präsentierte Suite basiert auf einer Konzeption von Manfred Honeck und wurde vom tschechischen Komponisten TomᚠIlle arrangiert. Sie schildert in abwechslungsreichen Bildern das tragische Schicksal Jenufas, beginnend mit dem gleichförmigen Tönen der Mühle, in der das Mädchen aufwächst – nur die vagierenden Harmonien verraten
uns, dass nicht alles «in Ordnung» ist. Dieser verinnerlichten Gefühlswelt stehen wilde, ausgelassene Tanzszenen gegenüber: Števa, der Kindesvater, feiert mit Freunden, weil es ihm gelungen ist, der Einberufung zum Militär zu entgehen. Mehrmals treffen diese musikalischen Gegensatzpaare aufeinander, verbunden durch ein Ostinato-Thema im Xylophon, das bereits am Beginn erscheint und die gesamte Suite gleich einem Leitmotiv durchzieht. Zwei markante Szenen bilden den Abschluss: eine Sturmszene, symbolisch für den gewaltsamen Tod von Jenufas Kindstehend, gefolgt von einem versöhnlichen Ausklang. Die Instrumentierung entspricht weitgehend der Originalversion Janáceks, womit all jenen, die «Jenufa» nicht kennen, ein authentischer Blick in die farbenreiche musikalische Welt dieser Oper gewährt wird.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Thomas Leibnitz

Béla Bartók

Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 op. posth.

Sätze

  • Andante sostenuto

  • Allegro giocoso

Dauer

21 Min.

Ein Konzert, das aus Liebe geschrieben wird und dann «verschwindet»? Ein merkwürdiges Schicksal, doch in der Musikgeschichte passiert auch Ungewöhnliches und Skurriles, und die Geschichte von Béla Bartóks frühem Violinkonzert gehört zweifellos dazu.

Im Frühjahr 1907 lernt Béla Bartók, ein junger, erfolgversprechender und dem Neuen zugewandter Komponist, die Geigerin Stefi Geyer kennen. Sie ist 19 Jahre alt und eine gute Musikerin – man findet sich, und es entwickelt sich eine Liebesbeziehung. Zeugnis davon gibt der Briefwechsel aus dieser Zeit; Bartók ist in Ungarn auf Reisen und sammelt Material für seine volksmusikalischen Studien. Die Harmonie scheint ungetrübt, bis auf einen Punkt: Bartók ist Atheist, sie eine fromme Katholikin.

Im Sommer 1907 beginnt Bartók mit der Komposition eines Violinkonzertes, das Stefi zugedacht ist und ihre Liebe besiegeln soll. «Das ist dein Leitmotiv», schreibt er ihr im September; gemeint ist der Beginn des ersten Satzes, eine Kette von aufsteigenden Terzen. Intensiv lässt er sie an seinen Ideen zu den zwei Sätzen des Konzerts teilhaben, an denen er eben arbeitet – auch ein dritter ist geplant, wird aber nicht entstehen. Im Februar 1908 erhält er einen Brief, mit dem Stefi Geyer die Beziehung beendet. Der Bruch trifft ihn tief; einer Bagatelle für Klavier, die er eben schreibt, gibt er die Bezeichnung «Lento funebre» und den Untertitel «Elle est morte». Die zwei vollendeten Sätze des Konzerts bleiben im Besitz der jungen Geigerin, die dieses «Vermächtnis einer Liebe» zwar wohl verwahrt, aber niemals aufführt. Bartók verwendet die Musik des ersten Satzes in seiner Komposition «Porträt», die 1911 in Budapest aufgeführt wird, aber das Violinkonzert bleibt in seinem Schaffen anonym; in den Werkverzeichnissen, die zu seinen Lebzeiten erscheinen, wird es nicht erwähnt.

Erst nach Stefi Geyers Tod im Dezember 1956 erhält die Musikwelt Kunde von einem bislang unbekannten Werk Béla Bartóks. Die Uraufführung in der Originalgestalt findet am 30. Mai 1958 in Basel statt; Solist ist Hansheinz Schneeberger, Dirigent Paul Sacher.

In den zwei Sätzen des Konzerts tritt Bartóks Vorliebe für kontrastierende Paare zutage; die beiden musikalischen Porträts beziehen sich auf die geliebte Frau, streichen aber jeweils eine andere Seite ihres Wesens heraus. Der «himmlischen» Erscheinung Stefis ist der erste, Andante sostenuto überschriebene Satz zugedacht: Er wird aus dem «Leitmotiv» der aufsteigenden Terzen entwickelt und verkörpert strömende Leidenschaft; in Bartóks Manuskript wird immer wieder «großes Gefühl» verlangt, recht uncharakteristisch für Bartók-Partituren. Der zweite Satz, ein Allegro giocoso, hingegen soll die «liebenswürdige, witzige, amüsante» Seite der Geliebten zeichnen. Er beginnt mit kadenzartigen Figuren der Violine, die charakteristisch für den bewegt-kapriziösen Charakter des Satzes sind. Trotz zahlreicher «moderner» Elemente wird deutlich, dass wir uns hier noch in der Frühphase des Komponisten befinden – es ist ein Werk der «großen Gefühle» im Gewand der Spätromantik, ein Werk im Gefolge der Vorbilder Franz Liszt und Richard Strauss.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Thomas Leibnitz

Antonín Dvorák

Symphonie Nr. 6 D-Dur op. 60

Sätze

  • Allegro non tanto

  • Adagio

  • Scherzo (Furiant). Presto - Trio. Poco meno mosso

  • Finale. Allegro con spirito - Presto

Dauer

40 Min.

Entstehung

1880

Der Weg Antonín Dvoráks zum weltweit gefeierten tschechischen Nationalkomponisten war langwierig und schwierig. Seinen frühzeitig gefassten Wunsch, Komponist zu werden, konnte Dvořák nicht sofort durchsetzen. Sein Vater František Dvořák betrieb eine Gaststätte und einen Metzgerladen und bestand darauf, dass sein ältester Sohn ebenfalls Metzger werden müsse. Die Mutter des Komponisten arbeitete bis zu ihrer Verheiratung als Dienstmagd auf dem Lobkowitzschen Schloss. Während seiner Lehrzeit in dem Städtchen Zlonice konnte Dvořák aber immerhin Unterricht in Klavier, Orgel und Musiktheorie nehmen und sein Lehrer Antonín Liehmann war es auch, der den Vater überreden konnte, dass der Junge eine professionelle Musikausbildung erhalten sollte. 1857 begann Dvořák eine Ausbildung an der Orgelschule in Prag. Da dieses Institut auf die Ausbildung kommender Organisten und Kantoren ausgerichtet war, lernte Dvořák dort zwar das unabdingbare Handwerkszeug in harmonischer und kontrapunktischer Satztechnik, Kompositionsunterricht im eigentlichen Sinn gab es dort jedoch nicht. Die eigentliche musikalische Lehrzeit Dvořáks waren daher seine Anfängerjahre im Orchester der Prager Cäcilienvereinigung und die zehnjährige Tätigkeit als Bratscher im Orchester des Interimstheaters in Prag. 1874 begann Dvořák außerdem an einer privaten Musikschule zu unterrichten, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. In dieser ganzen, finanziell sicherlich sehr kargen Zeit war er zwar mit kleineren Komposition an die Öffentlichkeit getreten, doch fanden diese kaum Interesse.

Sein steiler Aufstieg zu Weltruhm begann, als ihm 1875 zum ersten Mal ein Künstlerstipendium verliehen wurde. Mitglied der begutachtenden Kommission war Eduard Hanslick, später auch Johannes Brahms. Dieser verhalf ihm 1877 schließlich zu seinem endgültigen Durchbruch, indem er seinem Verleger Fritz Simrock die Veröffentlichung der Klänge aus Mähren, einer Sammlung von Duetten, empfahl. Simrock war begeistert und bestellte bei Dvořák eine Reihe weiterer Kompositionen, u.a. den Zyklus Slawische Tänze. Gleichzeitig war dies der Beginn einer lebenslangen Freundschaft zwischen Dvořák und Brahms. Letzterer setzte sich ferner dafür ein, dass Dvořáks Werke durch namhafte Interpreten wie Joseph Joachim und Hans von Bülow aufgeführt wurden. Das Interesse für Dvořáks Musik breitete sich in der folgenden Zeit auch im Ausland rasant aus. Er unternahm mehrere überaus erfolgreiche Konzertreisen, wurde zum Kompositi-onslehrer an das Prager Konservatorium berufen und wirkte von 1892 bis 1895 in den USA. Danach kehrte Dvořák an das Prager Konservatorium zurück, dessen Leitung er bis zu seinem Tod innehatte.

Als «Böhmischer Brahms» wurde Antonín Dvořák noch zu Lebzeiten gerühmt. Diesen Ehrentitel hatte ihm die geglückte Verbindung der musikästhetischen Ideale absoluter Musik mit slawischer Folklore in weiten Teilen seines Œuvres eingetragen. Zunächst übten auf Dvořáks symphonische Gestaltung lange Zeit die Werke der großen Meister (Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Liszt und Wagner) einen dominierenden Einfluss aus. Mit zunehmender Reife entwickelte Dvořák durch die Verbindung dieser Einwirkungen mit Elementen der heimatlichen Volksmusik einen stark profilierten Eigenstil. Auf diese Weise ist er, der nach seinen eigenen Worten zeitlebens «ein schlichter tschechische Musikant» geblieben ist, neben Smetana zum Begründer der national-tschechischen Kunstmusik geworden.Gelegentlich der Aufführung seiner dritten Rhapsodie in Wien (November 1879) war Dvořák mit dem Dirigenten Hans Richter in Kontakt gekommen. Dieser gab ihm die Anregung, für die Wiener Philharmoniker eine Symphonie zu schreiben. Im darauffolgenden Jahr kam Dvořák Richters Wunsch nach und schrieb die Symphonie – seine Sechste – in der Zeit vom 7. August  bis 15. Oktober 1880. Hans Richter, einem der treuesten Vorkämpfer Dvořáks, war das Werk denn auch gewidmet. Richter war tief gerührt und schrieb an den Komponisten: «Mein lieber edler Freund! Von London zurückgekehrt finde ich Ihr herrliches Werk, dessen Widmung mich wahrlich stolz macht. Mit Worten kann ich meinen Dank nicht genügend ausdrücken: eine Aufführung, wie sie dieses edlen Werkes würdig ist, soll ihnen beweisen, dass ich den Wert desselben und die Ehre der Widmung zu schätzen weiß».

Die Symphonie Nr. 6 op. 60 gehört zu den Werken Dvořáks, bei denen die tschechische Folklore am stärksten ausgeprägt erscheint. Die einheitliche Ausstattung mit einer Thematik, die der heimatlichen Volksmusik entwachsen ist, sowie die Bezogenheit mancher Themen aufeinander bewirken trotz der Vielfalt der musikalischen Gedanken die organische Geschlossenheit der Symphonie. Hörbar wird dies bereits im ersten Satz, dessen Hauptthema auf einer böhmischen Volksliedmelodie basiert. In Gestalt eines markanten Quartenmotivs bleibt diese Melodie den ganzen Satz über präsent. Zwei Seitenthemen werden vorgestellt, diese tauchen aber in der Durchführung nicht mehr auf. Stattdessen werden die Überleitungen mit dem Kernthema verwoben. Johannes Brahms und seine Orchesterierungskunst standen hier unüberhörbar Pate. Auch der anschließende zweite Satz, ein Adagio in B-Dur, zitiert das Hauptthema aus dem ersten Satz noch zwei Mal. Gleichzeitig schafft dieser Satz mit seiner gefühlswarmen Melodik einen wirkungsvollen Gegensatz zu den heiter-beschwingten Ecksätzen. Dem Stilcharakter des Slawischen ist am meisten das folgende Scherzo angenähert, das in Form eines temperamentvollen Furiant gestaltet ist. Dieser Furiant, ein böhmischer Nationaltanz in schnellem Tempo, mit scharfen Akzenten und in wechselnder Taktart, gewinnt seinen besonderen Schwung aus der Spannung zwischen Zweier- und Dreier-Rhythmus. Er wird hier zum ersten Mal in einer Symphonie verwandt. Das Finale ist wiederum eng mit Johannes Brahms verwandt, in diesem Falle mit dem letzten Satz aus dessen zweiter Sinfonie D-Dur op. 73. Tempo, Taktart und Tonart dieser beiden Werke stimmen überein, und auch die Hauptthemen dieser Kompositionen haben deutliche Bezüge untereinander.

Die für Dezember 1880 unter Hans Richter in Wien angesetzte Uraufführung fand aufgrund politischer Spannungen nicht statt. Einige Mitglieder der Wiener Philharmoniker lehnten schon nach der ersten Probe die Darbietung des Werks eines Slawen rundheraus ab. Daher erfolgte die Uraufführung am 25. März 1881 durch das Orchester des Tschechischen Nationaltheaters unter der Leitung von Adolf Čech in einem Konzert des Akademischen Lesevereins in Prag. Der Erfolg war so groß, dass der dritte Satz sogar wiederholt werden musste. Hans Richter brachte die Symphonie, ebenfalls unter großem Beifall, schließlich am 15. Mai 1882 in London zur Aufführung, nachdem das Werk dort bereits einige Wochen vorher, am 22. April 1882, unter der Leitung von August Manns im Kristallpalast erklungen war. Auch Dvořák selbst dirigierte die Symphonie später mehrmals in England.

© NÖ Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Karin Martensen