Maurice Ravel

«Daphnis et Chloé» Suite Nr. 2

Sätze

  • Lever du jour - Pantomime. Lent - Danse générale. Lent

Dauer

18 Min.

Entstehung

1907/1912

Maurice Ravel schrieb kurz nach der nicht allzu erfolgreichen Uraufführung des Balletts «Daphnis et Chloé» im Jahre 1912 an den Direktor der Pariser Opéra: «Es war für mich eine so ununterbrochene Tortur, dass mir vorerst jede Lust auf ein ähnliches Unternehmen vergällt ist.» Was war geschehen? Am selben Abend war auch Claude Debussys «Prélude à  l’après-midi d’un faune» erstmals tänzerisch interpretiert worden, wobei die betont erotische Verkörperung des Fauns durch Vaclav Nijinsky einen mittleren Skandal verursachte, der das öffentliche Interesse an «Daphnis» zu Unrecht in den Hintergrund drängte.

1909 hatte Sergej Diaghilew Ravel um eine Ballettmusik für seine «Ballets russes» gebeten und als Sujet den (unter anderen von Goethe bewunderten) spätantiken Liebesroman «Hirtengeschichten von Daphnis und Chloé» des Longos von Lesbos (2./3. Jahrhundert) vorgeschlagen, der von zwei bei Hirten heranwachsenden Findelkindern handelt, die Schritt für Schritt gemeinsam die Liebe entdecken. Michail Fokine fokussierte dessen Handlung geschickt auf Chloés Entführung durch Piraten, die kein Geringerer als der Gott Pan in die Flucht schlägt und so die Liebenden wieder vereint.

Allerdings machte Fokines komplexe Choreografie zu Ravels ohnehin schon vertrackter Komposition (die abschließende «Danse générale» etwa steht im für damalige Ballett-Gepflogenheiten ganz ungewöhnlichen 5/4-Takt) den Tänzern der Uraufführung arg zu schaffen. So scheint es kaum verwunderlich, dass Ravels außerordentliche Partitur ihren Siegeszug zunächst in Form zweier Suiten auf den Konzertpodien antrat, wo deren ganz individuelle Meisterschaft umso deutlicher hörbar wurde, bevor das Werk auch auf der Bühne volle Rehabilitierung erfuhr.

Die zweite Suite, 1913 veröffentlicht, umfasst den letzten Teil der Komposition: «Lever du jour» malt im Licht der aufgehenden Sonne eine prächtige Morgenlandschaft. Das Lied von der Nymphe Syrinx (mit Flötensolo) bildet die Überleitung zur «Pantomime», in der Daphnis mit Chloé vereint wird, bevor die «Danse générale» einen orgiastischen Schlusstaumel entfacht.

Ein «großes musikalisches Freskogemälde» hatte Ravel laut eigener Aussage mit «Daphnis et Chloé» im Sinn, «weniger auf Archaik bedacht als auf Treue zu dem Griechenland meiner Träume» – keine Konstruktion eines vorgeblichen Naturalismus also, sondern die ästhetisch idealisierte Überhöhung der Wirklichkeit. Das schließt ein Element ein, auf das der Untertitel des Balletts («Symphonie chorégraphique») verweist: «Das Werk ist symphonisch gebaut, nach einem sehr strengen Plan und mittels einer kleinen Anzahl von Motiven, deren Durchführung die symphonische Einheit sichern.» Dadurch bändigt Ravel die enorme Farbenpracht seines fast ins Monumentale gewendeten Schäferspiels, in der auch die menschliche Stimme textlos in die Palette des großen Orchesters integriert wird. Dennoch bleiben die Valeurs stets «rein», sollen sich nicht in pauschaler Mischung ineinander verlieren, sondern durch klare, scharfe Konturen voneinander abgesetzt sein: Erst das bringt die Partitur zum schönsten Irisieren.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer

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