Johannes Brahms

Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77

Sätze

  • Allegro non troppo

  • Adagio

  • Allegro giocoso, ma non troppo vivace

Dauer

36 Min.

Entstehung

1878/79

Johannes Brahms verband sein Komponistenleben lang eine künstlerische und auch private Freundschaft mit einem der bedeutendsten Geiger des 19. Jahrhunderts, Joseph Joachim. Im burgenländischen Kittsee geboren, eroberte Joachim als Wunderkind die Konzertsäle Europas. Besonders geschätzt wurde seine Interpretation von Beethovens Violinkonzert (die auch der noch halbwüchsige Brahms hörte). Später prägte Joachim als Konzertmeister verschiedener Orchester, mit seinen Konzertauftritten als Solist und mit seinem Streichquartett, als Dirigent und als Pädagoge maßgeblich das Musikleben besonders im deutschsprachigen Raum.

Brahms und Joachim hatten einander 1853 in Hannover, wo Joachim als Leiter der Königlichen Kapelle wirkte, kennen gelernt und schlossen im Kreis um Robert Schumann eine jugendliche Künstlerfreundschaft. Der junge Brahms komponierte gemeinsam mit Schumann und Albert Dietrich die FAE-Sonate für Joseph Joachim, frei nach dessen Lebensmotto: «Frei, aber einsam». Später zog Brahms bei allen seinen kompositorischen Unternehmungen in Zusammenhang mit der Violine und mit Kammermusik Joachim zu Rate.

So ist auch das Violinkonzert D-Dur op. 77 von Brahms in direktem Zusammenhang mit Joachim zu bewerten. Schon lange war dem Freund ein Solokonzert für sein Instrument versprochen, doch der für Brahms so übermächtige Schatten des «Riesen Beethoven» fiel auch auf seine Pläne bezüglich dieses Genres. 1874, als Brahms mit seiner ersten Symphonie grandios aus diesem Schatten getreten war, begannen in ihm konkretere Pläne für ein Violinkonzert zu reifen, das er aus dem symphonischen Geist heraus konzipierte. Die viersätzige Anlage wurde allerdings wieder verworfen, als sich Brahms 1878 während des Sommeraufenthalts in Pörtschach an die endgültige Komposition des Werkes machte. Der Solopart der Violine entstand in einem angeregten brieflichen Hin und Her mit Joachim, der auf die spieltechnischen Aspekte des Werkes entscheidenden Einfluss nahm und die kompositorische Entwicklung faktisch Takt für Takt mitverfolgen und begutachten konnte. Das Werk enthält eine Fülle überaus schwieriger instrumentaler Passagen, die dem damals neuesten Stand des Violinspiels entsprechen.

Wie so oft stützte Brahms auch im Fall des Violinkonzerts die Entstehung mit Parallelwerken ab, mit denen er kompositorische Sicherheit gewann. So befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Violinkonzert die erste Violinsonate op. 78. In gleichem Maße spielte aber auch die ein Jahr zuvor in Pörtschach entstandene Symphonie Nr. 2 in derselben Tonart D-Dur eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung und Formung des Violinkonzerts. So ist der Kopfsatz (Allegro non troppo) aus einem der Symphonie ähnlichen fließenden Gedanken im ungeraden Dreiermetrum entwickelt, der vorwiegend lyrische Qualitäten in sich trägt und nur selten zu wuchtiger Größe anwächst. Das sanft-schwärmerische Seitenthema unterstreicht den Charakter dieses Eröffnungssatzes, der erst durch ein zackiges rhythmisches Motiv (mit Doppelgriffen für das Soloinstrument verbunden) als Schlussgedanke der Exposition geballte Energien bekommt. Doch wie in der zweiten Symphonie wachsen auch im Violinkonzert weiterhin alle Steigerungen aus einem schönen pastoralen Umfeld heraus. Bezeichnend für die entwickelnde Kompositionsweise Brahms’ ist, dass sich die Solovioline bei ihrem ersten Einsatz erst über Figurationen dem Hauptthema annähert, das sie dann in Zartheit aussingt.

Aus dem ausgebreiteten thematischen Material gewinnt Brahms in dem formal in symphonischer Großflächigkeit angelegten Satz ein bewegendes Wechselspiel aus dramatischeren Momenten und lyrischen Linien. Manchmal kommt es – wie etwa bei einer Reminiszenz an die dunkle d-Moll-Welt des ersten Klavierkonzerts – zu heftigen Ausbrüchen, die sich aber, so schnell sie gekommen sind, wieder in ruhigen Stimmungen auflösen. Die Kadenz behielt Brahms Joachim vor, dessen Version bis heute von den meisten Solisten übernommen wird. Dafür bereitet Brahms dem Solisten am Ende der Kadenz eine wunderbare Rückkehr in das orchestrale Umfeld: Im Piano kann die Solovioline über einem samtenen Streicher-Untergrund mit warmer Horn-Füllung noch einmal das Hauptthema verströmen. Ein Mirakel ist es dann auch, wie Brahms aus dieser der Zeit enthobenen Passage mit wenigen Akkorden und Skalen die Solovioline und das Orchester in einen glanzvollen Fortissimo-Ausklang des Satzes bringt.

Der zweite Satz, Adagio, hebt mit einem herzzerreißend schönen Lied der Solo-Oboe an, der bereits im Kopfsatz so manche berührende Melodie vorbehalten war. In Hinblick auf dieses Adagio-Solo ätzte der Brahms-Zeitgenosse und Violinvirtuose Pablo de Sarasate, er sehe keine Veranlassung, dieses Violinkonzert zu spielen, denn warum solle er mit der Geige in der Hand zuhören, wie die Oboe die einzige Melodie des Stückes blase. Doch mit der weiteren Entwicklung des Satzes wird Sarasate Lügen gestraft, denn Brahms lässt die Solovioline das Oboenthema mit einer Fülle herrlicher Skalen, Figurationen und Umspielungen weiterspinnen. Hier kann jeder Solist seine Fähigkeiten einer feinen Tongebung und eines innigen Ausdrucks entfalten. Die Melodik ist in einen reichhaltigen, harmonisch reizvollen kammermusikalischen Orchestersatz eingebunden.

Im Rondothema des Finalsatzes (Allegro giocoso, ma non troppo vivace) vermeint man, wie in so vielen anderen Fällen bei Brahms auch, einen ungarischen Einschlag vernehmen zu können. Eine direkte Verbindung zur magyarischen Musik und zu einer ihrer Melodien lässt sich nicht nachweisen, aber die Würze des von der Solovioline in Terzen doppelgriffig ausgespielten und von verzückten, trillerdurchsetzten Bewegungen des Orchesters im Stil eines Verbunkotanzes begleiteten Motivs ist nicht zu verachten (familiäre Wurzeln Joachims verlaufen übrigens ins Ungarische, vielleicht hat auch dies in Brahms’ Themenerfindung mitgespielt). In das pulsierende Treiben im Zweivierteltakt baut Brahms zwei kontrastierende Couplets – eines davon im Dreivierteltakt – ein. Das konzertierende Moment gewinnt in diesem Satz deutlich die Oberhand über das noch im ersten Satz vorherrschende symphonische Prinzip. Im Rondo darf der Solist auch losgelöst vom Orchester brillieren. In der Coda erhöht Brahms die Rasanz noch erheblich, indem er das Zweiermetrum in eine motorische Sechsachtel-Variante des Themas umwandelt.

Der Komponist hat das Violinkonzert seinem Paten Joseph Joachim zugeeignet, der das Werk am 1. Jänner 1879 in Leipzig als Solist unter der Leitung des Komponisten auch aus der Taufe hob.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz

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