Sergej Prokofjew

Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 D-Dur op. 19

Sätze

  • Andantino

  • Scherzo. Vivacissimo

  • Finale. Moderato

Dauer

23 Min.

Entstehung

1916/17

Sergej Prokofjew war ein großer Melodiker, wenn auch seine melodischen Gestalten oft weite Tonräume durchschreiten. Dadurch verstand er sich sowohl von den Melodie-Meistern der ferneren Vergangenheit als auch seiner Gegenwart deutlich abzugrenzen. In seiner Autobiografie skizziert der Komponist im Jahr 1941, also inmitten des Krieges, vier Hauptrichtungen seines Schaffens: den Neoklassizismus; die Suche nach neuen Klängen, in der Hauptsache harmonischer Natur; das motorische, virtuose Element (das er selbst damals als «minder wertvoll» ansah); und das Lyrische, die Melodie. Eine fünfte Richtung, nämlich das sogenannte «Groteske», das bis heute gern in seiner Musik gesehen wird, wollte Prokofjew selbst nicht gelten lassen: «In der Anwendung auf meine Musik möchte ich es lieber durch den Ausdruck ‹Scherzhaftigkeit› ersetzt wissen oder, wenn man will, durch die seine drei Steigerungen wiedergebenden Worte: Scherz, Lachen, Spott.» Diese stilistischen Stränge verflechten sich auf vielfältige Weise in seinem Œuvre. So finden sich auch in seinem ersten Violinkonzert neben den melodisch-lyrischen Qualitäten zahlreiche andere Stimmungen.

Im Umfeld seiner bald populären «Symphonie classique» arbeitete Prokofjew auch an seinem ersten Violinkonzert, das ursprünglich als «Concertino», also «kleines Konzert» geplant war. Eine erste Idee dazu kam ihm bereits 1915 in den Sinn: «Ich habe es später oft bedauert, dass mich andere Arbeiten daran hinderten, zu dem ‹träumerischen Anfang des Violinconcertinos› zurückzukehren. Doch allmählich wurde die Musik zum Sommer 1917 fertig, das Concertino hatte sich zum Konzert ausgewachsen, und die Partitur wurde abgeschlossen.» Die spezifischen Aufgabenstellungen der Symphonie finden im Violinkonzert kaum einen Niederschlag – oder höchstens darin, dass sich die filigranen, zarten Themen des recht romantisierenden Konzerts so kräftig unterscheiden von der lichten, kaum von Mollwendungen getrübten Symphonie nach dem Modell Haydns.

Die Wirren der russischen Revolution verhinderten eine baldige Uraufführung, erst 1923 fand sich in Paris – Prokofjew war soeben in die französische Metropole übersiedelt – der Dirigent Serge Koussewitzky bereit, das Werk herauszubringen. Manch große Violinvirtuosen hingegen (wie Bronislaw Huberman) wollten sich erst nicht so recht anfreunden mit dem Stück, lehnten die Uraufführung sogar brüsk ab. Schließlich war es an dem Konzertmeister Marcel Darrieux, das Solo zu spielen. Dabei war der polnische Violinvirtuose Pawel Kochan´ski Prokofjew während der Ausarbeitung der Violinstimme beratend zur Seite gestanden, doch hatten sich die beiden inzwischen aus den Augen verloren. Wenig später entdeckten Joseph Szigeti und der junge David Oistrach das Konzert für sich: Beide blieben ihm zeitlebens treue und kundige Interpreten. Die Pariser Uraufführungskritiken waren verhalten bis ablehnend, zu altmodisch empfanden die dortigen Kritiker das neue Werk. Wie so oft revidierte die Geschichte frühe Verurteilung: Längst zählt Prokofjews erstes Violinkonzert zur virtuosen Grundausstattung großer Geigerinnen und Geiger. Anderswo, etwa in Russland, fand das Konzert schon beim ersten Kennenlernen großen Zuspruch bei Publikum und Kritik. Übrigens spielten nur drei Tage nach der Pariser Uraufführung mit Orchester in Moskau zwei junge Musiker mit Geige und Klavier das Konzert erstmals öffentlich: Nathan Milstein und Vladimir Horowitz.

Das Hauptthema des ersten Satzes (Andantino) entspinnt sich über zartem Tremolo der Violen im Pianissimo, «sognando» (träumerisch), erst verhalten, sodann weiter ausschwingend. Es wird genauso vom Solisten eingeführt wie das in großem Kontrast dazu stehende zweite Thema, welches «narrante» (erzählend) klingen soll. David Oistrach soll Prokofjew als Erläuterung dazu gesagt haben, er solle dieses Thema so spielen, als ob er jemanden von irgendetwas überzeugen müsse. Passiert das zuerst noch etwas zögerlich, zart springend, steigert sich die Solo-Violine in ihrer «Überzeugungsarbeit» in einen regelrechten Furor hinein, aus dessen Beruhigung die kurze Reprise des Hauptthemas entsteht, die den Satz beschließt: Die Flöte zaubert nun, umspielt von Harfe und Solo-Violine sowie Tremolo der Violen, langsamer als zu Beginn die zarten Lyrismen bekräftigend hin.

An zweiter Stelle folgt freilich kein langsamer Satz, sondern ein flirrendes Scherzo (Vivacissimo). «Mendelssohnismen» wurden dem Konzert nach der Uraufführung vorgeworfen – und bezieht man diese als Vorwurf gedachte Beobachtung nicht auf den Melodienreichtum der Ecksätze sondern auf den Mittelsatz, so wandelt er sich in ein großes Kompliment um, zählen doch die Scherzo-Sätze Mendelssohns zu den erstaunlichsten Schöpfungen dieser Form. Die Violine rast durch den knappen Satz, dessen formale Klarheit im Einklang mit der extrem fein ziselierten Instrumentierung steht. Zwei Mal wird der Spuk durch sich aufschaukelnde, «motorische» Themen neu beleuchtet; das scherzhafte Element, dessen «groteske» Züge Prokofjew so vehement ablehnte, blitzt hier besonders hell auf.

Der dritte Satz (Moderato) entpuppt sich als Reminiszenz an Vergangenes, als ruhige Nachschau in die Welt der ersten beiden Sätze. Immer wieder taucht auf beinahe verschmitzte Weise die Erinnerung an das zuvor Gehörte auf. Den schönsten Effekt erreicht Prokofjew mit der abschließenden Wiederkehr des Anfangsthemas des ersten Satzes (ein Kunstgriff, den er etwa auch im Finale seines ersten Klavierkonzerts anwendete), dem die Holzbläser in knappen Soloeinwürfen den nötigen Kontrast beigeben: Das «Lyrische» und das «Motorische» finden in schönster Eintracht zueinander.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Markus Hennerfeind

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