Béla Bartók

Musik für Saiteninstrumente, Schlagwerk und Celesta

Sätze

  • Andante tranquillo

  • Allegro

  • Adagio

  • Allegro molto

Dauer

26 Min.

Entstehung

1936

Aus Anlass des zehnjährigen Bestehens seines Basler Kammerorchesters bestellte der Schweizer Dirigent und Mäzen Paul Sacher (er hatte die vermögende Witwe des Pharma-Unternehmers Emanuel Hoffmann geheiratet) Ende Juni 1936 ein neues, spieltechnisch nicht allzu anspruchsvolles Werk bei Béla Bartók, das sich in der Besetzung auf Streichorchester beschränken oder wenn, dann nur wenige Zusatzinstrumente verlangen sollte. Schon einen Monat später hatte Bartók die Konzeption fertig: «Und zwar denke ich», schrieb er Sacher, «an ein Werk für Saiten- und Schlaginstrumente (also außer Streichern noch Klavier, Celesta, Harfe, Xylophon und Schlagzeug); ich nehme an, daß diese Besetzung keinerlei Schwierigkeiten verursacht. Heikler ist schon die Erfüllung des Wunsches, dass das Werk nicht allzu schwierig sein soll. Technische Schwierigkeiten werde ich wohl möglichst vermeiden können; schwieriger ist aber die Vermeidung rhythmischer Schwierigkeiten. Wenn man etwas Neues schreibt, so stellt das bloß wegen der Ungewohntheit bereits Schwierigkeiten an die Ausführenden. Jedenfalls werde ich auch da trachten, leicht Spielbares zu schreiben.» Das Ergebnis, welches schon nach wenigen Wochen fertig vorlag und seine Uraufführung am 21. Jänner 1937 in Basel erlebte, entwickelte sich rasch zu einer der berühmtesten Orchesterkompositionen des 20. Jahrhunderts. «Wir konnten damals noch nicht wissen, dass uns ein wahres Meisterwerk geschenkt würde», gab Sacher später unumwunden zu. Bartók, der kurz danach wegen des sich in Europa ausbreitenden Faschismus die Aufführung seiner Werke in Deutschland und Italien untersagte und sich schließlich schweren Herzens zur Emigration entschließen sollte, da er in einem «Räuber- und Mördersystem» nicht arbeiten konnte und wollte, hatte ein grandioses Kompendium all dessen geschaffen, was seine Kunst ausmachte. «Hier», schreibt Attila Csampai über Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta, «wird sowohl die historische Tradition westeuropäischer Kunstmusik, also die Vorbilder Bachs und Beethovens, als auch die Einflüsse zeitgenössischer Komponisten, so Strauss’ ‹optimistische› Instrumentation, Debussys luzide, synkretistische Harmonik, Strawinskys barbarische Rhythmen und Schönbergs Atonalität, angereichert mit Bartóks ureigenem aus der Volks- und Bauernmusik gewonnenen musikalischen Wissen zu einem formal strengen, bekenntnishaften Credo zusammengefügt. Er hätte die Musik auch ‹Symphonie› oder ‹Sinfonia› nennen können, wäre da nicht die Einschränkung auf Streicher und Schlagzeug, denn kein weiteres Mal hat Bartók die klassische Viersätzigkeit so reflektiert gehandhabt wie in diesem Werk.»

Jeder Satz der Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta zeigt darüber hinaus ganz eigene musikalische Facetten, die durch die Doppelchörigkeit des Werks besonders reich aufgefächert erscheinen: Das Streichorchester ist in zwei Gruppen geteilt, die zu beiden Seiten des Podiums postiert sind; im Zentrum befinden sich die anderen Instrumente. Der erste Satz, ein langsam fließendes, von beständigen Taktwechseln gekennzeichnetes Andante tranquillo, beschränkt sich weitgehend auf die Streicher, nur Pauke, Becken und große Trommel bereiten den Höhepunkt vor und markieren ihn, während die Celesta in den letzten Abschnitt geheimnisvoll glitzernde Klänge mischt. Es handelt sich um einen kontrapunktisch strengen Bau: Die Bratschen eröffnen das Geschehen mit einem chromatisch klagenden, sich tastend erweiternden Thema, das mit dem Ton a beginnt und sich dabei nicht weiter als eine Quint nach oben bewegt. Die folgenden Einsätze finden jeweils abwechselnd eine Quint höher und tiefer statt (also nach a auf e, d, h, g, fis, c usw.), wodurch sich der Klangraum nach oben und unten schrittweise erweitert und sich die komplexen Verflechtungen auch dynamisch immer weiter intensivieren, bis der Höhepunkt auf dem Ton es erreicht wird, der nach dem goldenen Schnitt im Satzverlauf platziert ist. Hat sich bis hierher alles wie eine Blüte geöffnet, schließt diese sich nun langsam wieder, um zuletzt auf dem Ton a der Violinen zu verklingen. «Es ist eine Musik», stellt der Bartók-Biograf Tadeusz A. Zielinski dazu fest, «in der Tonmaterial, Motivik, Satz, Form, Klang, rhythmische Pulsation und Ausdruck eine einheitliche, untrennbare und absolut vollkommene Ganzheit bilden». Darauf folgt als zweiter Satz (Allegro) eine Art Scherzo, in dem sich rustikale Tanzgesten mit subtilem Witz und konzertanter Spiellaune vermischen. Die beiden Streichergruppen werden blockhaft gegeneinander gesetzt oder in sich aufgebrochen, Klavier und Pauke setzen Akzente, Glissandi tragen zum Klangkolorit bei, und auch die Streicher werden zu Perkussionsinstrumenten, wenn etwa die Pizzicati so stark ausgeführt werden sollen, dass die Saite auf das Griffbrett aufschlägt – ein Effekt, der als «Bartók-Pizzicato» in die Musiklehre eingegangen ist. Das Fugenthema des ersten Satzes bleibt auch hier gegenwärtig. Der tänzerische Rhythmus beginnt zwischen 2/4- und 5/8-Takt zu schweben, und die Reprise des Beginns vollzieht sich verknappt weitgehend im 3/8- statt im 2/4-Takt, bis der Satz mit dramatischer Geste endet.

Eines jener berühmten Nachtstücke aus Bartóks Feder ist das folgende Adagio, das durch die Verwendung als Soundtrack in Stanley Kubricks Stephen-King-Verfilmung «Shining» zu separater Be-rühmtheit gelangt ist. Ein Xylophon-Solo auf einem Ton, unheimliche Paukenglissandi sowie eine ungarisch rhythmisierte Melodie der Bratschen machen den Beginn. In die Wiederkehr des Fugenthemas aus dem ersten Satz schieben sich Cluster aus Violintrillern, irisierende Klangbänder spannen sich ohne jedes Bassfundament auf, Celesta, Harfe und Klavier wogen auf und ab, harsche Unisonoklänge und geheimnisvoll zarte Gespinste wechseln, bis das modifiziert wiederkehrende Material der Einleitung den Schluss bildet.

Der «freudestrahlende, vitale 4. Satz (Allegro molto) in Rondoform bildet gegenüber den vorangehenden Sätzen einen unerwarteten Kontrast, und zwar wegen seines volkstümlichen, tänzerischen Charakters und seiner tonal-harmonischen Einfachheit (die aber von höchst raffinierten klanglichen Einfällen unterbrochen wird)» (Tadeusz Zielinski). Wenn in der Coda das Fugenthema ein letztes Mal und nun zunächst in diatonischer Form wiederkehrt (lydische Tonleiter mit verminderter Septime,  geführt in parallelen kleinen Sexten), bevor sich dessen ursprüngliche Chromatik neuerlich durchsetzt und als Höhepunkt zunächst ein Ganztoncluster, schließlich die Ballung aller zwölf Halbtöne folgt, ist es ein Triumph musikalischer Konsequenz, der in einer jubelnden Stretta gefeiert wird, die in strahlendem A-Dur endet.

© Grafenegg Kulturbetriebsgesellschaft m.b.H. | Walter Weidringer

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