Bruno Mantovani

«Allegro Barbaro» Konzert für Schlagwerk und Orchester

Dauer

19 Min.

Entstehung

2020

Gewiss, jedes physische menschliche Opfer wiegt schwerer als die Einschränkungen im Kulturbetrieb, und doch wirbelte die viel zitierte Pandemie der vergangenen beiden Jahre diesen weltweit durcheinander – mit Folgen, die teils bis heute nicht absehbar sind. Zu den unzähligen geplanten Präsentationen, die oft in letzter Minute abgesagt werden mussten, gehörte auch Bruno Mantovanis «Allegro Barbaro», das am 2. April 2020 uraufgeführt werden sollte. Stattdessen kam das Werk mit fast auf den Tag genau zweijähriger Verspätung erst in diesem Frühjahr zur Weltpremiere, der nun die österreichische Erstaufführung folgt. Der Auftrag war gemeinsam vom Orchestre Philharmonique de Radio France und dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich ergangen, die Widmung erfolgte an den Schlagzeug-Virtuosen Colin Currie.

Mit Currie und Mantovani fand sich eine geradezu ideale Kombination, ist doch der Komponist selbst ausgebildeter Schlagwerker, der mit Leidenschaft für diese Instrumentengruppe zu schreiben weiß. Currie wiederum ist einer der profiliertesten Interpreten zeitgenössischer Musik für Schlagzeug, der eine Vielzahl an Werken von Komponisten aus aller Welt in enger Zusammenarbeit mit diesen erarbeitete und erfolgreich aus der Taufe hob. So war er es auch, der Mantovani um ein entsprechendes Werk bat. Seine Beweggründe stellte er wie folgt dar: «Ich war schon immer äußerst fasziniert von Brunos schwirrender, widerborstiger Instrumentierung. Im Stammbaum der Musik für Schlagzeug ist er natürlich bereits tief verwurzelt, da er vielleicht unser großartigstes virtuoses Marimba-Solo überhaupt in der Gestalt von ‹Moi, jeu…› geschrieben hat, das ich seit Jahren spiele und an dem ich fortwährend übe!»

Nach Erhalt der fertigen Komposition bezeichnete Currie das «Allegro Barbaro» spontan als eines der bedeutendsten und außergewöhnlichsten Schlagzeugkonzerte innerhalb seines bereits wahrlich nicht kleinen Repertoires: «[…] eine monumentale Partitur von großer Farbigkeit und voller Energie, mit einem Aspekt der Wildheit und stürmischer Dramatik.» Es war sicher nicht nur Zweckoptimismus, sondern die weise Voraussicht des Routiniers, Praktikers und künstlerischen Visionärs, die Currie nach monatelanger Einstudierung anlässlich der coronabedingt geplatzten Premiere vor zwei Jahren zu der fast trotzig klingenden Ansage veranlasste: «Leider ist die Uraufführung des Schlagzeugkonzerts von Bruno Mantovani bei Radio France ein weiteres kulturelles Opfer der gegenwärtigen Ereignisse. Die einzige Priorität besteht derzeit darin, dass wir alle an einem Strang ziehen, um diese entsetzliche Entwicklung in den Griff zu bekommen. […] Ein Orchesterwerk dieser Kraft kann nicht vollständig zum Erliegen gebracht werden, und ich genieße es, es zu einem späteren Zeitpunkt in die Tat umzusetzen. Macht euch bereit!» Dieser Zeitpunkt ist nun mit den Aufführungen in Monaco, Frankreich und Österreich gekommen. Man ist bereit.

Bei dem rund 20-minütigen «Allegro Barbaro» handelt es sich bereits um Bruno Mantovanis dritte Arbeit, die das Schlagzeug in einen konzertanten Kontext stellt, allerdings die erste, in der es mit einem großen Symphonieorchester konfrontiert wird. Er entschied sich, für sein Stück aus der ungemein reichhaltigen Familie des Schlagwerks größtenteils mit Haut bzw. Membranen bespannte Instrumente zu verwenden, sogenannte Fellklinger oder Membranophone – im Gegensatz zur Gruppe der Selbstklinger oder Idiophone. Diese Besetzung erinnerte Mantovani an einige zentrale Konzertwerke von Iannis Xenakis ebenso, wie sie ihm aus den Schlagzeugsoli der Popmusik und dem Jazz vertraut ist. Der Komponist: «Alle Klänge, die der Solist aussendet, haben eine unbestimmte Tonhöhe. Ich wollte meine Aufmerksamkeit auf die Energie, auf die Dynamik und auf den Rhythmus richten; abwechselnd melodisch (am Anfang des Werks), hartnäckig (durch die häufige Verwendung von Tonwiederholungen), repetitiv (etwa im Tempelblock-Abschnitt), martialisch (in einem Solo der Kleinen Trommel am Ende des Werks). Das Material ist in ständiger Bewegung. Das Orchester fungiert als klangliche Erweiterung der Hauptstimme. Tatsächlich wird die Harmonik neutralisiert, das Verhältnis zwischen Solist und Orchester beruht auf Vertikalität.»

Solist Colin Currie über die Spezifika der Schlagzeugverwendung in diesem Konzert: «Die Percussion-Besetzung ist einzigartig im Repertoire, da sie zur Gänze aus ungestimmten [in der Tonhöhe freien, Anm.] Instrumenten besteht – es gibt also keine Keyboards oder Melodien im traditionellen Sinn. Das gesamte verwendete Material und die musikalischen Linien sind sehr geschickt über die Trommeln, Becken und Holzblöcke verteilt. Dann gibt es da auch großartige Momente der Erregtheit, die auf die kleine Trommel fokussiert sind – vielleicht der übersprudelndste Effekt im Instrumenten-Arsenal. Viele Schlagzeuggesten werden vom Orchester verdoppelt, etwa wenn die Blechbläser einen Tom-Tom-Wirbel oder die Kontrabässe ein Grollen der Großen Trommel stützen.»

Der Titel «Allegro Barbaro» lässt nicht nur Pianisten an das gleichnamige Klavierstück von Béla Bartók denken, dessen Wildheit und Dissonanzenreichtum zur Entstehungszeit 1911 als radikal gelten mussten – eine folgerichtige Assoziation, die Mantovani ganz bewusst wählte, um damit auf den Bezug des Charakters seiner eigenen Komposition zum – wie er meint – rohen («art brut») oder gar brutalen («art brutal») Aspekt des Bartók-Werks zu verweisen. Musikalisch-inhaltliche Verbindungen zwischen den beiden Stücken gibt es hingegen nicht.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Christian Heindl

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