Pjotr Iljitsch Tschaikowski

Rokoko-Variationen für Violoncello und Orchester op. 33

Sätze

  • Moderato quasi Andante - Thema. Moderato semplice -

  • Variation I. Tempo della Thema -

  • Variation II. Tempo della Thema -

  • Variation III. Andante sostenuto -

  • Variation IV. Andante grazioso -

  • Variation V. Allegro moderato -

  • Variation VI. Andante -

  • Variation VII e Coda. Allegro vivo

Dauer

18 Min.

Entstehung

1876/77

Die Zeit der großen Virtuosen auf dem Violoncello kündigte sich erst an, als Pjotr Iljitsch Tschaikowski 1876/77 seine Variationen über ein Rokoko-Thema op. 33 schrieb. Als Alexander Glasunow 23 Jahre später «Chant du ménestrel» für Violoncello mit Begleitung des Orches-ters oder des Pianos op. 71 komponierte, hatte sich in Russland bereits eine stilistisch und spieltechnisch eigenständige Schule des Violoncellospiels etabliert. Ihre Protagonisten begegnen uns zahlreich im Freundeskreis der bedeutendsten Komponisten jener Zeit, und nicht selten – wie im Falle Tschaikowskis und Glasunows – auch als Widmungsträger ihrer Werke.

Tschaikowskis Rokoko-Variationen sind ein überraschend unbeschwerter musikalischer Ertrag aus einer Phase, in der der Komponist unter schwersten seelischen Spannungen litt. Zwar war dank einer Kompositionsprofessur in Moskau seine wirtschaftliche Exis-tenz gesichert, und in Russland wie im Ausland erfuhr er zunehmend Anerkennung. Drei Symphonien, drei Streichquartette, sein heute so berühmtes b-moll-Klavierkonzert und eine Reihe von symphonischen Dichtungen hatten seinen Ruf gefestigt, doch erlebte er auch künstlerische Misserfolge. Ein gestörtes Selbstbewusstsein war die Folge; das Verdrängen seiner Homosexualität, eine übereilt eingegangene Ehe und ihr desaströses Scheitern verursachten Depressionen und führten zu einer schweren Schaffenskrise, die Tschaikowski erst Mitte der 1880er Jahre endgültig überwinden konnte. Seiner 5. Symphonie (1888), dem eindrucksvollsten Zeugnis dieses schöpferischen Aufschwungs, gingen bedeutende Werke wie die 4. Symphonie (1877) und die Oper «Eugen Onegin» (1878) voraus, neben denen die Rokoko-Variationen auf den ersten Blick wohl so wenig spektakulär erschienen, dass sie in vielen Musikführern gar nicht erwähnt werden.Sie sind Wilhelm Fitzenhagen (1843 – 1890) gewidmet. Der Cellovirtuose, der seit 1870 als Professor am Moskauer Konservatorium wirkte und an der Aufführung der drei Streichquartette Tschaikowskis beteiligt war, hatte Tschaikowski 1876 um ein neues Werk für sein Instrument gebeten. Tschaikowski, noch beflügelt von der Erinnerung an einen Soloabend des Cellis-ten Karl Dawidow (1838 – 1889), übersandte ihm daraufhin seine Variationen über ein Rokoko-Thema. Dieses Thema ist freilich keineswegs ein Rokoko-Original, sondern Tschaikowskis Erfindung, eine Hommage an sein schöpferisches Ideal Mozart. Dennoch spiegelt es ganz unverstellt Tschaikowskis unverwechselbare musikalische Eigenart wider. Aber auch Mozart ist darin gegenwärtig: in der für ihn typischen Orchestrierung mit doppelter Holzbläserbesetzung, zwei Hörnern und Streichern – und in der Eleganz und Noblesse der Variationen, in denen sich melodische Inspiration mit einem unfehlbaren Sinn für die expressiven Möglichkeiten des Violoncellos verbinden.

Mit einer langsamen Einleitung von wenigen Takten bereitet der Komponist den Auftritt des Soloinstruments vor; die schlichte Melodie des Themas und seine gemessene tänzerische Bewegung werden in den folgenden Variationen musikalisch vielgestaltig und mit virtuoser Beweglichkeit zu figurativem Spielwerk oder lyrischer Kantilene umgeformt. Reiche Ornamentik belebt das Wechselspiel zwischen Solostimme und Orchester.

In Tschaikowskis Originalfassung folgten der Einleitung und dem Thema acht Variationen in dramaturgisch wohldurchdachter Folge: Die ersten fünf zeigten eine stetige Erweiterung und Entwicklung der Themenstruktur. In der sechsten Variation schien nochmals die ursprüngliche Gestalt des Themas auf, bevor die siebte mit einem Wechsel der Tonart und des Metrums sowie großer melodischer Entfaltung den Höhepunkt des Werkes herbeiführte. Die achte Variation schloss den Kreis zum Ausgangspunkt der Entwicklung.

Fitzenhagen, von Tschaikowski um Durchsicht des Werkes gebeten, hat noch vor der ersten Aufführung am Solopart Änderungen vorgenommen und auch in die Struktur des Werkes eingegriffen. Er änderte die Reihenfolge der Variationen drei bis sieben und strich die achte. Die Coda behielt er bei und fügte sie der ursprünglich vierten Variation, der in seiner Version siebten und letzten, an. Tschaikowski hat Fitzenhagens Änderungen später autorisiert und gegen die Drucklegung in der geänderten Fassung keine Einwände erhoben, sodass sich diese für mehr als 50 Jahre als vermeintliche Originalfassung im Konzertsaal durchsetzte. Erst eine Aufführung in Moskau im Jahre 1941 und ein 1945 veröffentlichter Forschungsbericht rückten Tschaikowskis erste Version der Rokoko-Variationen wieder ins Bewusstsein der musikalischen Öffentlichkeit.

Die Uraufführung des Werkes – in Fitzenhagens Fassung – fand am 30. November 1877 in Moskau unter der Leitung von Nikolai Rubinstein mit Fitzenhagen als Solist statt, und auch die erste Aufführung außerhalb von Russland ist mit seinem Namen verbunden: Im Juni 1879 spielte er die Variationen mit großem Erfolg in Wies-baden und übermittelte brieflich an Tschaikowski den seither viel zitierten Kommentar Franz Liszts: «Nun, das ist doch endlich wieder einmal Musik».

© Grafenegg Kulturbetriebsges.m.b.H. | Andrea Wolter

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