Kurt Weill

Symphonie Nr. 2

Sätze

  • Sostenuto - Allegro molto

  • Largo

  • Allegro vivace - Alla marcia

Dauer

28 Min.

Entstehung

1934

«Ich bin überzeugt, daß die große Kunst aller Zeiten in diesem Sinne aktuell war: sie war nicht für die Ewigkeit bestimmt, sondern für die Zeit, in der sie entstand, oder mindestens für die nahe Zukunft, an deren Aufbau sie mitzuarbeiten bestimmt war. Das gilt auch für uns. In einer Zeit gewaltiger sozialer Umwälzungen haben wir genug zu tun, um die Existenzberechtigung, die ‹Nützlichkeit› unserer Arbeit nachzuweisen. Das können wir nur tun, wenn wir den Ideen unserer Zeit, zu denen wir uns bekennen, eine unanfechtbare künstlerische Form geben. Soll die Kunst ebenso nützlich sein wie die Wissenschaft, die Presse, die Politik, so muß sie ihre eigenen Mittel einwandfrei beherrschen. Sie muß aber in ihren Ausdrucksmitteln ebenso ‹aktuell› sein wie in ihren Inhalten. Wir können die Ideen dieser Zeit nicht mit derselben Sprache, derselben Musik, derselben Bühnenform ausdrücken wie etwa die Ideen der imperialistischen Zeit vor fünfzig Jahren, nicht nur, weil wir zu einem anderen Publikum sprechen, sondern auch weil wir eine andere Wirkung auf unser Publikum erwarten.»

So schrieb Kurt Weill 1929 in seinem Aufsatz «Aktuelles Theater». Eine Kunst auf der Höhe der Zeit, inhaltlich ebenso aktuell wie in ihren Mitteln, eine Kunst, die deshalb auf «nützliche» Weise direkt zum Publikum spricht: Weills gemeinsam mit Bertolt Brecht errungenen Bühnenerfolge wie die «Dreigroschenoper» von 1928 oder «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny» aus dem Jahr 1930 gaben ihm mit diesem Konzept Recht und tun es bis heute. Und später, als er vor den Nazis in die USA geflüchtet war und sich der Emigrant am Broadway eine zweite Existenz erschaffen konnte, hat er nur seine Strategien adaptiert, um letztlich dieselben Ziele zu verfolgen. Doch auch abseits der Bühne ist es Weill gelungen, seine Zeit in expressiver Weise einzufangen und damit dauerhaft relevante, wertvolle Kunst zu schaffen – zum Beispiel in seiner zweiten Symphonie.

Weill, 1900 in Dessau in Sachsen-Anhalt geboren, war der Sohn eines jüdischen Kantors und durchlief eine streng religiöse, von klein auf musikalisch fundierte Erziehung. In Berlin studierte er zunächst beim Wagner-Schüler Engelbert Humperdinck, dem Schöpfer der Märchenoper «Hänsel und Gretel», doch arbeitete Weill parallel immer wieder an verschiedenen Theatern, als Korrepetitor und später Kapellmeister, auch um seine Familie zu unterstützen. 1920 ging er erneut nach Berlin, um dort Meisterschüler von Ferruccio Busoni zu werden. Busoni war neben Arnold Schönberg und Igor Strawinski eine der zentralen Figuren in der Musik jener Zeit und wurde ein wichtiger Mentor für ihn: «Es war ein Gedankenaustausch im höchsten Sinne, ohne Meinungszwang, ohne Selbstherrlichkeit, ohne die Spur von Neid oder Böswilligkeit, und die Anerkennung jedes Schaffens, das Begabung und Können verriet, war rückhaltlos und enthusiastisch», schrieb Weill im Rückblick. Wohl nicht ganz zufällig hat er sich während des Unterrichts bei Busoni – und nach einem vernichteten Erstversuch – neuerlich der Symphonie zugewendet: nach Schönbergs Vorbild kammermusikalisch, mit Motivzellen, die transformiert werden und in einer großen Einsätzigkeit symphonische Satztypen durchlaufen.

Busonis wohlmeinend-strenge Kritik an dieser ersten Symphonie veranlasste Weill jedoch, sie in der Schublade zu belassen. Aber schon dieses Werk zeigt ein Sensorium für die politischen Strömungen nach dem Ersten Weltkrieg: Direkt oder indirekt war sie beeinflusst von einem im Untertitel «revolutionäres Kampfdrama» genannten Theaterstück namens «Arbeiter, Bauern, Soldaten. Der Aufbruch eines Volkes zu Gott» aus der Feder von Johannes R. Becher, dem späteren Textdichter der DDR-Hymne. Das setzt sich unweigerlich auch in jener zweiten Symphonie fort, die heute auf dem Programm steht und die schon allein durch Zeit und Ort ihrer Entstehung schicksalshaft mit Weills persönlicher Geschichte und den Zeitläuften im Allgemeinen verknüpft ist: Sie entstand in den Jahren 1933–34, wurde noch in Berlin begonnen, aber in Frankreich vollendet. Von den Nazis als «jüdischer Kulturbolschewist» verunglimpft und mit Aufführungsverbot belegt, hatte Weill gottlob rechtzeitig die Konsequenzen gezogen und war ins Exil gegangen. «Man muss gelegentlich von seinem gewohnten Weg abweichen, in solchen Momenten schreibe ich symphonische Musik», hat er einmal fest gehalten – ein reichlich ironisch wirkendes Statement vor dem polithistorischen Hintergrund.

Die Symphonie ist ein Nachtstück, oder besser gesagt: Sie besteht aus drei Nachtstücken, aus düster umtriebigen Notturni, in denen die Lichter der Großstadt blinken; tänzerisch-ironische, rastlose Musik, in der das Spöttische und das Laszive zusammenfallen. Die dreisätzige Anlage mit langsamer Einleitung – Sostenuto – plus raschem Hauptsatz, Allegro molto, mit langsamem Satz – Largo – und Rondo-Finale – Allegro vivace – entspricht frühklassischen Vorbildern, die Weill freilich mit seinem eigenen Tonfall neu legitimiert – und das in einer erweiterten Tonalität, die mit der Zwölftontechnik der Wiener Schule nichts gemein hat.

Die Uraufführung dirigierte kein Geringerer als Bruno Walter 1934 in Amsterdam – und hatte sich offenbar einen griffigeren, bildhafteren Titel gewünscht. Weill kam ihm, durchaus widerwillig, mit «Symphonische Fantasie» bzw. «Fantaisie symphonique» entgegen (so lautet der Titel auf der Partitur beim Verlag Schott): Offenbar wollte er, der Mann des Musiktheaters, hier bewusst auf die Autonomie des Werks pochen. Die ausgeklügelte, nach allen Regeln der Satzkunst angewendete motivische Arbeit, die Farbigkeit und Flexibilität der Erfindung: Es scheint fast, als wollte sich Weill der klassischen Kompositionsmethoden versichern, sie gleichsam mit in seinen Koffer packen, als er gezwungen war, die fremd und feindselig gewordene Heimat zu verlassen. Die wahren Schrecken, die da kommen sollten, konnte er wohl noch nicht ahnen – aber der Trauermarsch des langsamen Satzes und die «gellenden Trompeten- und Paukengewitter im Finale» (Markus Schwering) zeigen deutlich, dass Weill die Nacht einfallen spürte über Deutschland.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Walter Weidringer

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