Franz Schubert

Symphonie Nr. 4 c-Moll D 417 «Tragische»

Sätze

  • Adagio molto - Allegro vivace

  • Andante

  • Menuetto. Allegro vivace - Trio

  • Allegro

Dauer

30 Min.

Entstehung

1816

Franz Schubert  hat viele seiner Werke nie hören können. Als der Tod 1828 in ihm nicht nur «einen reichen Besitz» begrub, sondern gar «noch schönere Hoffnungen», wie es Grillparzer in seiner Grabrede formulierte, konnte niemand ahnen, dass der so jung Verstorbene nicht nur ein Meister des Liedes und der Kammermusik gewesen war, sondern einige seiner bedeutendsten Werke vorerst (und zum Teil noch jahrzehntelang) ungesehen und so auch ungehört zwischen Stößen vermeintlich wertlosen Papiers vergilben sollten.

Seine erste Symphonie schrieb der 16-Jährige noch für die «Orchester-Exercitien», die zur umfassenden theoretischen wie praktischen Ausbildung der Sängerknaben im k. k. Stadtkonvikt gehörten – doch kamen diesen im Wesentlichen nur interne Bedeutung zu. Die Knaben lernten auf diesem Wege das heute «klassische» Repertoire nicht nur von Mozart und Haydn kennen, sondern auch schon die aktuellen Werke Beethovens – gewichtige Eindrücke, die sich zwangsläufig in Schuberts früher Symphonik niederschlugen. Und so galten lange Zeit die insgesamt sechs Symphonien, die in fast regelmäßigem Jahresabstand bis 1818 entstanden waren, als vergleichsweise inferiore, epigonale Versuche, einen eigenen symphonischen Stil erst zu finden; ein Vorurteil, das ihnen in abgeschwächter Form bis heute anhaftet. Zu Unrecht. Mit etwas herablassendem Lächeln «kommen wir dem Konflikt des Symphonikers Schubert», wie Bernhard Rzehulka ausführt, «um keinen Deut näher. Denn neben Beethoven, noch dazu in derselben Stadt, Symphonien zu komponieren, stellte mehr als nur ein Wagnis dar. Zudem taumelte das musikalische Wien im Rossini-Fieber. […] Noch lähmender aber war das öffentliche Leben im Metternichschen Zwangssystem.

Die kleinen Leute – und Schubert gehörte zeit seines Lebens einer unterprivilegierten Schicht an – zogen sich in die halbprivate Sphäre des Wirtshauses zurück; weiß Gott, kein dynamischer Ausgangspunkt für einen jungen Symphoniker. Denn Symphonie – das bedeutete Öffentlichkeit, und diese wiederum war ohne den einflußreichen Adel nicht herstellbar. Schuberts symphonische Werke aber bezeichnen den Aufbruch aus dem niederen Wirtshaus hin zum aufgeklärten Bürgertum. […] Es ist nicht zu hoch gegriffen, Schuberts symphonische Werke als musikalisches wie soziologisches Politikum zu bezeichnen.»

Die Symphonie Nr. 4 c-moll D 417 mit dem, wie Schumann vermutete, gar nicht vom Komponisten selbst stammenden, jedenfalls nachträglich hinzugefügten, Beinamen «Die Tragische» schlägt unter den Jugendsymphonien Franz Schuberts gewiss die düstersten Töne an, zumal nach der sonnigen Heiterkeit der vorangegangenen Dritten. Trotzdem ist sie aber insgesamt weniger dramatisch-schicksalhaft, sondern vielmehr, besonders in den Ecksätzen, von nervöser, fast manischer Energie durchpulst. Sie wegen der gleichen Tonart etwa an Beethovens Fünfter zu messen, tut dem Werk des 19-Jährigen insofern Gewalt an, als es seine Eigenart verleugnet und über einen ganz unpassenden Leisten schert. Viel mehr als an Beethovens «Per aspera ad astra»-Schema orientierte sich Schubert hier nämlich am Vorbild Joseph Haydns, an dessen «Sturm und Drang»-Symphonien ebenso wie am Spätstil des Oratoriums «Die Schöpfung». Das kommt, man kann es nicht oft genug betonen, keineswegs einem Rückschritt gleich, stellt doch die vermeintliche lineare Entwicklung der Musikgeschichte von Haydn zu Beethoven und weiter in die Romantik ein Konstrukt des späteren 19. Jahrhunderts dar.

Der Stirnsatz hebt mit einer langsamen Einleitung an, welche an Haydns «Vorstellung des Chaos» denken lässt, und die Antonín Dvorák mit den Worten rühmte: «Es setzt einen in Verwunderung, daß ein so junger Mensch die Kraft hatte, sich mit solch tiefem Pathos auszudrücken. In dem Adagio finden sich Akkorde, die einen entschieden an den angstvollen Ausdruck der Aussagen Tristans gemahnen.» Das Allegro vivace etabliert dann mit seinem schmerzlichen Hauptthema über der rastlos pochenden Achtelbegleitung den Eindruck eines dunklen Perpetuum mobile, welches auch unter dem empfindsam sich windenden, Aufhellung bringenden Seitenthema dahin eilt und überhaupt den ganzen Satz bestimmt, der nach der überraschend in g-moll stehenden Reprise dennoch in C-Dur endet. Im Andante kontrastiert Schubert ein innig-gesangliches As-Dur-Thema zweimal mit einem herben, von energischen Sechzehntel­figuren grundierten Trauermarsch in f-moll, wobei sich die unruhigen Sechzehntel dann als Begleitung auch ins Gesangsthema ausdehnen. Das Menuett entpuppt sich sogleich als rhythmisch pointiertes Scherzo, dessen widerborstige Akzente den 3/4-Takt leugnen und einen 2/4-Takt vorgeben, bevor das Finale an den Perpetuum-mobile-Gestus anschließt: Licht und Schatten wechseln ständig, zwischen Bläsern und Streichern entspinnt sich ein exquisites Frage-Antwort-Spiel – und schon mit der Reprise ist jenes helle C-Dur erreicht, in welchem Schubert durch typische harmonische Wendungen, die bereits an die so genannte «Große» C-Dur-Symphonie D 944 erinnern, den Schluss des Werks zu pathetischer Größe führt.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer

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