Franz Schubert

Symphonie Nr. 8 C-Dur D 944 «Große C-Dur-Symphonie»

Sätze

  • Andante - Allegro ma non troppo

  • Andante con moto

  • Scherzo. Allegro vivace - Trio

  • Allegro vivace

Dauer

60 Min.

Entstehung

1825

Franz Schubert befand sich wandernd auf der Suche. Auf der Suche nach einem neuen symphonischen Weg, den er nach Haydn und Mozart und abweichend von Beethoven einschlagen wollte. Nach den sechs Symphonien der früheren Schaffenszeit, in denen Schubert noch dem klassischen Modell verhaftet war, wenngleich er auch darin schon oft einen unverwechselbaren eigenen Ton fand, machte er sich ab 1820 zu neuen symphonischen Gefilden auf, hielt dabei aber immer wieder inne, getraute sich nicht, weiterzugehen. Skizzen zu drei Symphonien, zwei in D-Dur, eine in E-Dur, sind erhalten, manche nur im Klavierentwurf, manche auch schon orchestriert. Schubert brach aber alles ab, ehe er 1822 zu einer Symphonie in h-moll ansetzte. Auch diese Symphonie hat er, legt man den traditionellen symphonischen Maßstab der Viersätzigkeit an, nicht beendet. Aber er hat zwei Sätze ausgeführt, in denen er sein Ziel einer neuen symphonischen Sprache in beeindruckender Weise erreichte. Wegen der fehlenden Sätze drei – den heftigen Scherzoentwurf brach Schubert nach wenigen Takten ab – und vier bekam die Symphonie den berühmten Beinamen «Die Unvollendete». Die Frage, warum Schubert die h-moll-Symphonie in den verbleibenden sechs Jahren seines Lebens nicht weiterkomponierte, kann auch in der Antwort münden, dass er sie in ihrer Zweisätzigkeit als abgeschlossen betrachtete.

Aber er strebte weiter danach, «sich den Weg zur großen Symphonie zu bahnen», wie er in einem Brief an seinen Freund Leopold Kupelwieser vom Frühjahr 1824 in Hinblick auf mehrere Kompositionspläne berichtete. «Die große Symphonie», damit wollte Schubert einerseits einem Format entsprechen, das von Beethovens Symphonien mit philosophischem, gesellschaftlichem, weltumfassendem Anspruch gefüllt worden war, andererseits seine eigenen Vorstellungen einer im Aufbau und im Ausdruck weiträumigen musikalischen Gestalt umsetzen. Schuberts Denken lief nicht so sehr auf den aufklärerischen Appell hinaus, mit dem sich Beethoven symphonisch an die Menschheit wandte, vielmehr sah er, beeinflusst durch die Lektüre der Schriften Schlegels, in der Kraft und in den Geheimnissen der Natur die menschliche Existenz und ihre Verbindung zu einem Schöpfer begründet. So ist es sicher kein Zufall, dass die C-Dur-Symphonie D 944, mit der Schubert sein nächstes Unternehmen in dieser herausfordernden Gattung startete, in weiten Teilen auf seiner Österreich-Reise von Steyr und Gmunden nach Gastein entstand, verbunden mit dem Erlebnis der beeindruckenden Naturschönheiten der Salzkammergutseen und der Bergwelt im Salzburger Pongau.

Die Reise fand im Frühjahr und Sommer 1825 statt. Untersuchungen an den Wasserzeichen des Papiers, auf denen Schubert das Werk entwarf, und die Quittungen für Kopisten, die das Werk für eine probeweise Aufführung durch das Konservatoriumsorchester der Gesellschaft der Musikfreunde in Orchesterstimmen schrieben, ergaben für die Schubert-Forschung die eindeutige Datierung der  C-Dur-Symphonie in die Jahre 1825 und 1826, und nicht, wie lange angenommen, in Schuberts Sterbejahr 1828. Im Oktober 1826 übergab Schubert die Partitur den Wiener Musikfreunden mit einem Schreiben «an den Ausschuss des österreichischen Musik-Vereins», dass er es wage, «als ein vaterländischer Künstler, diese meine Symphonie (...) seinem Schutz höflichst anzuempfehlen». Nach der Probeaufführung wurde das Werk als zu lang und schwierig eingestuft und «zurückgelegt». Es dürfte zu Lebzeiten Schuberts keine öffentliche Aufführung gegeben haben.

Im Jahr nach Schuberts Tod fand in einem Konzert in Wien die Aufführung einer Schubert-Symphonie statt – trug die Forschung lange Zeit die einmal aufgestellte Annahme weiter, dass es sich dabei um die Symphonie Nr. 6, also die so genannte «Kleine C-Dur-Symphonie», gehandelt habe, so konnte der Archivdirektor der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Dr. Otto Biba, im Schubert-Gedenkjahr 1997 (200. Geburtstag) einen Brief finden, aus dem eindeutig hervorgeht, dass in diesem «Concert spirituel» am 12. März 1829 die «Große C-Dur-Symphonie» aufgeführt wurde. Ein Jahrzehnt später wurde Robert Schumann von Schuberts Bruder Ferdinand auf eine Abschrift der «Großen C-Dur-Symphonie» aufmerksam gemacht. Schumann nahm die Abschrift von seinem Wien-Besuch im Jahre 1838 mit zurück nach Deutschland. Am 21. März 1839 dirigierte Felix Mendelssohn Bartholdy eine Aufführung im Leipziger Gewandhaus, wonach die Symphonie ihren Platz im Repertoire fand. Schumann war es auch, der anlässlich dieser Aufführung die «völlige Unabhängigkeit, in der die Symphonie zu denen Beethovens steht», erkannte und der die durchaus positiv gemeinte Charakterisierung ihrer «himmlischen Längen» formulierte. Ihre Erschließung für die Musikwelt durch zwei der bedeutendsten romantischen Komponisten ist kein Zufall: Schuberts C-Dur-Werk ist die erste große romantische Symphonie.

Schubert musste sich freilich an bereits bestehendem Symphonischem aus seiner Feder festhalten, um mit dieser Symphonie den großen (Ent-)Wurf zu schaffen. Die ersten drei Noten des ersten Satzes im aufsteigenden Abstand von der Sekund standen auch am Beginn der «Unvollendeten», dort allerdings noch in moll, nun nach Dur gewandelt. Romantischer als das C-Dur-Werk könnte eine Symphonie nicht beginnen: Wie aus der Ferne erklingt der von punktierten Signalrhythmen durchzogene Themenruf der Einleitung zunächst in den Hörnern, bleibt auch in den Streichern und Holzbläsern noch im Verborgenen, ehe er plötzlich in strahlender Größe des vollen Orchesters auftaucht. Durch das deutliche Hervortreten der Posaunen bekommt die Naturerscheinung eine feierliche Stimmung – der Mensch ist es, der überwältigt die Kraft der Natur wahrnimmt und zelebriert.

Ein Mysterium ist der folgende Übergang von der Einleitung auf das Allegro, die Tempofrage beschäftigt bis heute die Interpreten und sorgt für einen besonders heiklen Moment der Ausführung. Aus der Naturprozession der Introduktion schreitet Schubert in ein forsches, zielstrebiges Allegro-Thema. Auch hier ist ein Vorbild in einer früheren Symphonie feststellbar: In Rhythmus und Verlauf gleicht das Hauptthema der C-Dur-Symphonie dem Allegro-Thema der 3. Symphonie, in den ersten Skizzen sogar auch noch in ihrem tonalen Verlauf, den Schubert aber in der endgültigen Version noch markant veränderte. Man erkennt nun auch eine Verwandtschaft mit dem Einleitungsthema, das sich im weiteren Verlauf der Symphonie als melodische wie rhythmische Urzelle herausstellt. Die Oboen stellen dann das tänzerische, gesangliche Seitenthema vor. Auf einem harmonisch weit führenden Streifzug gelangt Schubert in völlig neue symphonische Regionen: Er führt ein drittes Thema – in den Posaunen – ein und bereitet damit den symphonischen Sonatensatzaufbau vor, wie er Jahrzehnte später von Bruckner und Mahler übernommen wurde.

In diesem Posaunenmotiv klingt eine geheimnisvolle Energie mit, die eine beeindruckende Steigerung zum Abschluss der Exposition antreibt. In der Durchführung und der Reprise erfüllt Schubert die angerissenen symphonischen Dimensionen, ja er erweitert sie sogar noch und verstrickt die Themen in große harmonische Abenteuer. Mit strettahaftem Schwung, beinahe wie in einem Opernfinale, steuert Schubert schließlich auf eine monumentale Darstellung des Einleitungsthemas zu, die den Satz beeindruckend abschließt. Der Rhythmus, der Pulsschlag der Natur, von dem nicht nur der erste Satz, sondern auch der schon Bruckners Scherzi vorausspürende dritte Satz und das im stürmischen Galopp dahinjagende Finale erfüllt sind, wird im langsamen zweiten Satz von der Dominanz der Melodie abgelöst. Schubert singt darin ein weitgespanntes Lied ohne Worte. Er berührt damit alle Gefühlslagen von Wehmut bis Heiterkeit, von Ängstlichkeit bis Zuversicht. Und letztlich kann er seine emotionale Betroffenheit, wie in den langsamen Sätzen des Oktetts, des Streichquintetts und der späten Streichquartette, auch hier nur in einem erschütternden, krisenhaften Höhepunkt münden lassen, aus dem er erst langsam wieder in trostvollere melodiöse Bereiche zurückfindet. In diesen Momenten der Symphonie steht der Atem der Natur still und hört man die menschliche Seele in ihrem Innersten pochen – ehe der Taktschlag der Natur im Scherzo und im Finale alles und alle mitreißt.

Noch ein Wort zur Reihung der Symphonie. Lange Zeit wurde die «Große C-Dur-Symphonie» im Schubert-Werkverzeichnis als Symphonie Nr. 7 geführt. Vor gut einem Vierteljahrhundert setzte sich aber die Reihung als Nummer 9 durch, also richtigerweise ihrer Entstehungszeit entsprechend NACH der «Unvollendeten», die weiterhin die Nummer 8 behielt. Die Nummer 7 wurde an ein verschollen geglaubtes, mitunter auch als «Gasteiner Symphonie» bezeichnetes Werk vergeben. Diese Symphonie war aber eine Schimäre, wie man schließlich feststellte, außerdem wurde herausgefunden, dass die «Große C-Dur-Symphonie» jene Symphonie war, die Schubert auf seiner großen Österreich-Reise, die ihn auch nach Gastein führte, konzipierte. Die Nummer 7 in der symphonischen Schubert-Reihung wurde also wieder frei. Nunmehr wurde aber in der Reihung auf die Chronologie der Entstehung der Symphonien Rücksicht genommen:

Die Symphonie Nr. 7 ist nun die 1822 entstandene h-moll-Symphonie D 759, die «Unvollendete», die nach der Symphonie Nr. 6 D 589, der «Kleinen C-Symphonie», entstand.

Die Symphonie Nr. 8 ist nun die in den Jahren 1825/26 nach der «Unvollendeten» entstandene «Große C-Dur-Symphonie»  D 944, Schuberts letzte Symphonie.

© Rainer Lepuschitz | Tonkünstler

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