Richard Strauss

«Vier letzte Lieder» für Sopran und Orchester

Sätze

  • Frühling

  • September

  • Beim Schlafengehen

  • Im Abendrot

Dauer

23 Min.

Entstehung

1948

Richard Strauss verbrachte seinen vorletzten Frühling und Sommer in der Schweiz. Der Mai am Genfer See regte ihn in Montreux zur Vertonung eines Gedichts von dem romantischsten aller romantischen Dichter, Joseph von Eichendorff, an. Feierlich-sakral hebt eine Orchester-Introduktion im Lied «Abendrot» an, die Blechbläser inklusive Tuba geben mit weichen Akkorden den Figuren der Holzbläser und hohen Streicher Stütze. Der Sopran, die hohe Frauenstimme, die Strauss in so vielen Facetten in seinen Opern zur Gefühlsentfaltung brachte, wird zur inneren Stimme, die lyrisch nach außen dringt.

Mit Eichendorff schaut Strauss auf den Lebensweg zurück, um dann in die dunkelnden Täler hinabzugehen, aus denen mit Flötentrillern zwei Lerchen auffliegen. «Ist das etwa der Tod?» Milder wurde diese Frage in der Musik nicht gestellt. In D-Dur steigt über langsamen, gebundenen Streicher- und Holzbläser-Bewegungen das Horn mit dem «Erlösungsmotiv» aus Strauss’ früher Tondichtung «Tod und Verklärung» auf, auf dem Wort Tod erfolgt die Transzendenz mit einem berückenden, sanft schimmernden Ces-Dur-Akkord, der lange liegen bleibt. Noch einmal erhebt sich das Horn, nun begleitet von Klarinette und Bratschen. «Sehr langsam» moduliert die Musik in die Ausgangstonart Es-Dur, in der das «Abendrot» mild verlischt.

Der 84jährige Komponist, 1948 auf ein Leben der künstlerischen Erfüllung zurückblickend, aber auch auf ein zerstörtes Europa schauend, in dem die Opernhäuser seiner einstigen Triumphe in Trümmern lagen, hatte offenbar schon etwas von den irdischen Wirrnissen losgelassen. Das «Abendrot» bildet den Abschluss jener Lieder, die nach Richard Strauss’ Tod als «Vier letzte Lieder» herausgegeben wurden und in denen neben dem Eichendorff-Gedicht Strauss erstmals Verse von Hermann Hesse vertonte. In Pontresina im Engadin nahe St. Moritz, während des Hochsommers 1948, spürte der Komponist noch einmal dem «Frühling» nach, ließ sein melodisches Füllhorn in einer nicht enden wollenden kantablen Linie verströmen, die über dem langsam wärmer werdenden Boden zu schweben scheint. Dann wieder Montreux, tatsächlich im «September». Der Sommer stirbt, die (Klang-)Farben sind so schön wie nie und glänzen in dunklem Gold: ein gelöstes, entspanntes «Lied von der Erde», Glück in sich tragend und auf die Umwelt übertragend. Am Ende auch ein Hornsolo, ein tröstlicher Nachgesang auf den Sommer, der langsam die Augen geschlossen hat.

«Beim Schlafengehn» scheint der Komponist noch einmal Melodien aus der gefühlsintensiven Jugendzeit zu hören. Ein gleichzeitig zufriedener und wehmütiger Rückblick auf eine Vergangenheit, in der sich Melodien noch mit viel mehr Energie und Leidenschaft aufbäumten und aufschwangen. Doch nun senken sie sich zum Schlummer, der von einem sanften Violinsolo versüßt wird. Strauss komponiert zart das Motiv der Erlösung aus. Die Seele steigt über zwei Oktaven in den Bassinstrumenten dem Zauberkreis der Nacht und «tausendfachem» Leben entgegen.Schöner lässt sich nicht Abschied nehmen. Gelassenheit und im selben musikalischen Atemzug Gefühlswärme sprechen aus den «Vier letzten Liedern». Keine Angst, kein Schrecken, keine Trauer – nur ein bisschen Traurigkeit im Bewusstsein des letzten Er-Lebens. Im groß besetzten, aber nie über ein klanglich weich eingebettetes Forte hinausgehenden Orchestersatz schwingt Strauss’ eigene musikalische Vergangenheit mit, in der Ferne sind die Gefühlstänze des «Rosenkavalier» und die Mystik der «Frau ohne Schatten» zu hören. Fast ein halbes Jahrhundert und zwei Weltkriege später kommen noch einmal der Klang und die Illusionen von einst zurück in die Musik. Strauss nahm Abschied von seiner Welt, die eine andere war und die er sich anders erträumte, als sie geworden ist. Aber im Schweizer Seenfrühling und Bergsommer erwachten noch einmal die Erinnerungen an die Illusionen und gingen in die Gegenwart des Abschiednehmens über, in einer geläuterten Klangsprache und einer von der Melodik in berückende Regionen gelenkten Harmonik. Eine versöhnliche Endzeit-Stimmung in der Mitte des Jahrhunderts.

© Rainer Lepuschitz | NÖ Tonkünstler Betriebsges. m. b. H.  

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