Die Enstehung der Tonkünstler-App Euphonya
Von der Idee zum digitalen Klangabenteuer: Was hinter den Kulissen geschah«Etwas Cooles machen, das die Kids abholt»
Die Tonkünstler veröffentlichen eine App, die zur spielerischen Entdeckung des Orchesters im 3D-Sound einlädt. Doch wie kam es dazu? Ein Making-ofAuf den ersten Blick erinnert das ein wenig an den Science-Fiction-Klassiker «Tron»: Eine App, die den Menschen in eine virtuelle Welt hineinzieht? So ähnlich beginnt auch der Kino-Hit aus dem Jahr 1982. Im Gegensatz zu dem Action-Streifen geht es in der App «Euphonya», die seit 21. Oktober 2025 kostenlos für mobile Endgeräte verfügbar ist, jedoch wesentlich friedlicher zu. Die Anwendung lädt Laien zu einem virtuellen Spaziergang auf der Orchesterbühne ein. Die Qualität kann sich dabei sehen und vor allem hören lassen. Das 3D-Klangbild rückt, je nach Position auf der virtuellen «Bühne», die nächstgelegenen Instrumente in den Vordergrund. Alles, was für das digitale Bad in den Klangfluten nötig ist: ein Smartphone und zwei Kopfhörer. Der Handy-Bildschirm zeigt die unmittelbare, reale Umgebung des Telefons an und ergänzt sie um Orchesterinstrumente, die Kopfhörer bringen diese zum Klingen. Zielgruppe dieser Neuheit? Auf der einen Seite Klassikfans, auf der anderen Seite und in erster Linie Teenager: Die App soll ihnen die Ohren für die Sinnlichkeit des Orchestersounds öffnen – und hat zu diesem Zweck noch ein paar weitere Attraktionen in petto.
Doch wie kam es eigentlich zur Entwicklung von «Euphonya»? Der ursprüngliche Plan sah anders aus, erinnert sich Dirigent Sascha Goetzel, ein Mastermind des Projekts: «Ein erster Anlass für die Überlegungen war die Covid-Zeit. Von einem Tag auf den anderen waren wir im Jahr 2020 gezwungen, darüber nachzudenken: Was tun, wenn wir nicht auf die Bühne gehen dürfen?» Die Antwort der meisten Bühnen auf diese Frage – nämlich das Internet mit Filmmitschnitten hauseigener Aufführungen zu fluten – sieht Goetzel kritisch: «Man verkaufte diese Videos als digitalen Content, obwohl es in Wahrheit analoge Inhalte waren. Mir war klar, dass dies nicht wirklich funktionieren würde. Tatsächlich sind viele Streaming-Plattformen, die damals wie Pilze aus dem Boden schossen, auch wieder verschwunden.» Deutlich anregender fand der Dirigent und Vater zweier Kinder einen Trend aus der Gaming-Branche: «Es gibt Pop-Artists, die sind in Computerspielen auf digitalen Bühnen aufgetreten und hatten dabei ein Publikum von zwei bis drei Millionen Menschen. Da habe ich mich gefragt: Wie weit sind wir mit der Technik? Könnten wir die Mitglieder eines Orchesters wie Avatare auf eine virtuelle Bühne übertragen?»
Auf der einen Seite Klassikfans, auf der anderen Seite und in erster Linie Teenager: Die App soll ihnen die Ohren für die Sinnlichkeit des Orchestersounds öffnen.
Den Geschäftsführer der Tonkünstler, Frank Druschel, beschäftigten solche Fragen ebenfalls. Ließe sich ein Klassikkonzert ins «Metaverse» verfrachten, also in jenen virtuellen 3D-Kosmos, an dessen Entwicklung seit Jahren emsig gebastelt wird? Druschel wollte es nicht unversucht lassen: «Wir haben mit dem Orchester ein Experiment auf freiwilliger Basis gestartet, die Musikerinnen und Musiker waren dafür Feuer und Flamme. Sie wurden beim Spielen gefilmt, die manuellen Feinheiten ihrer Arbeit sollten so gut wie möglich festgehalten werden.» Im Zuge dessen stellte sich auch die Frage nach dem passenden Soundformat. Klar war: Ein schlichtes Stereo-File würde den Ansprüchen nicht genügen. Ein räumlicher Sound musste her, der sich je nach Standort im virtuellen Raum ändert. Darum holte man die Wiener Firma Sonic Traces an Bord, Experte für 3D-Klanglandschaften. Im Verbund mit dem neuen Partner spielte das Orchester ein Dutzend Klassikhits von Komponisten wie Mozart, Holst und Wagner ein.
Nur leider: Wie sich herausstellte, war und ist die Zeit noch nicht reif für die ehrgeizigen Pläne. Ein ganzes Orchester ins Metaverse zu bugsieren, das ist bis heute Zukunftsmusik, erklärt Druschel. Die Tonkünstler müssen sich dahingehend noch in Geduld üben. Um die Audiofiles bereits jetzt nutzen zu können, kam dann aber die Idee zu «Euphonya» ins Spiel. Die App sollte die Sounddaten verwenden, um das imposante Klanggewimmel auf der Orchesterbühne via Handy erlebbar zu machen.
Nun ist diese App betriebsbereit – und zeigt je nach Zielgruppe zwei Gesichter. Da ist zum einen die «Euphonya»-Version für Klassikfans: Einmal geöffnet, lädt sie zum Flanieren zwischen den Orchestermitgliedern ein, während das Ensemble den «Donauwalzer» von Jahresjubilar Johann Strauss Sohn anstimmen. Wählt man den Menüpunkt «Klangspur», lassen sich während des musikalischen Spaziergangs zudem sieben rote Kugeln ansteuern. Wer sie besucht, erhält von Ö1-Journalistin Eva Teimel aufschlussreiche Erklärungen zum Walzer-Hit und dessen Entstehungsgeschichte.
Wir brauchten Game-Elemente, um die Jugendlichen zu fesseln.
Zum anderen ist da jene «Euphonya»-Variante, die unter dem Namen «Klang.Raum.Orchester» in Schulen zum Einsatz kommen soll. Die Kids sollen sie in einem einstündigen Workshop kennenlernen, abgehalten in Turnsälen oder Musikzimmern. Thomas Aichinger, Sounddesigner von Sonic Traces, hat etliche Arbeitsstunden in das Projekt gesteckt und die App fortlaufend für die Zielgruppe verbessert: «Es stellte sich im Beta-Test heraus, dass wir Game-Elemente brauchen, um die Jugendlichen zu fesseln.» Der Nachwuchs wird in dem Workshop also nicht nur zu den Klängen des «Donauwalzers» über die virtuelle Orchester-Bühne wandeln, sondern in der App auch seine Geschicklichkeit unter Beweis stellen können. Ein Spiel lädt dazu ein, während des «Radetzky-Marschs» im Takt auf das Handy zu tippen. Zudem können die Teenager in einer Art Melodie-Memory miteinander in Konkurrenz treten. «Ein Vortrag über das Thema Orchester interessiert Jugendliche nicht, die möchten mit Technik spielen», sagt Aichinger. Dafür habe man noch weitere Ideen im Köcher – Einfälle, deren Umsetzung allerdings erst künftig erfolgen soll, ebenso wie die Ausweitung der «Euphonya»-App für Klassikfans um neue Inhalte und Musikstücke. Derzeit gelte es erst einmal, das Produkt auszurollen und das Nutzungsverhalten abzuwarten.
Und wie weit ist die Zusammenarbeit mit dem Bildungsbereich gediehen? «Derzeit gibt es 15 Buchungen an Schulen, für das nächste Jahr sind 30 bis 40 Workshops in Klassen geplant», sagt Druschel. Hauptzielgruppe ist der zehn- bis fünfzehnjährige Nachwuchs in Niederösterreich, pro Workshop wird ein Mitglied des Vermittlungsteams der Tonkünstler die Jugendlichen besuchen und die nötigen Handys und Kopfhörer gleich mitbringen. «Wir wollten etwas Cooles machen, das die Kids abholt, aber dabei auch den Personaleinsatz schlank halten», sagt Druschel.
Nicht zuletzt freut ihn, dass die Tonkünstler mit der neuen App Pionierarbeit im Musikland Österreich leisten. «Wir entwickeln uns weiter, arbeiten Seite an Seite mit kreativen Impulsgebern und stehen neuen Techniken aufgeschlossen gegenüber», sagt Druschel – und liebäugelt in dieser Hinsicht auch weiterhin damit, den Tonkünstlern zu einem ersten Konzert im Metaverse zu verhelfen. Früher oder später müsste schließlich auch dafür die Zeit reif sein.
Christoph Irrgeher
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Die schönsten Eindrücke von den Drehs im Stadttheater Baden und im Harrachpark in Bruck an der LeithaMehr Informationen über die Tonkünstler-App
Euphonya testen – gratis und kinderleicht
Ein herzliches Dankeschön allen an der Entwicklung, Realisierung und Präsentation der App Beteiligten:
- Sonic Traces
- Heat Filmproduktion
- dasWeil Kreativagentur
- Eva Teimel von Radio Österreich 1
- Agatka Ivicic als Darstellerin in der App
- Sascha Goetzel und Oskar Jockel als Dirigenten der Aufnahmen
- Kolleginnen und Kollegen im Stadttheater Baden und im Festspielhaus St. Pölten
- Musizierende und Mitarbeitende des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich, insbesondere Oboistin Theresia Melichar für die Vermittlung der Geschäftskontakte, sowie
- weiteren beteiligten Personen und Institutionen