Archiv: Mendelssohn & Nielsen

Baden Congress Center Festsaal Congress Center | Festsaal

Interpreten

  • Benny Tseng, Violine
  • Vincenzo Milletarì, Dirigent

Programm

Endlich wieder einmal das Violinkonzert von Felix Mendelssohn! Eine großartige Gelegenheit für den jungen taiwanesischen Geiger Yu-Chien «Benny» Tseng, Preisträger des Tschaikowski-Wettbewerbs, sein Publikum mit sprühender Virtuosität und reizvollen Kantilenen zu verzaubern. Gemeinsam mit Vincenzo Milletarì, der am Pult der Tonkünstler debütiert, zeichnen die Musikerinnen und Musiker dann Carl Nielsens «Die vier Temperamente» nach: Die bildhaften Charakterstudien über den Choleriker, Phlegmatiker, Melancholiker und den Sanguiniker entdeckte der Komponist in einer dänischen Dorfschenke – und darin die Idee für seine zweite Symphonie.

Aufgrund der geltenden Verordnungen zur Covid-19-Prävention sind auch unsere Konzertprogramme Änderungen unterworfen. Das für diesen Abend ursprünglich als Eröffnungsstück vorgesehene «Preludio sinfonico» von Giacomo Puccini muss leider entfallen.

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Felix Mendelssohn Bartholdy

Konzert für Violine und Orchester e-Moll op. 64

Sätze

  • Allegro molto appassionato -

  • Andante -

  • Allegretto non troppo - Allegro molto vivace

Dauer

26 Min.

Entstehung

1838/44

Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert e-moll op. 64 ist das Ergebnis einer Freundschaft, die in Kindertagen begann: Mendelssohn und Ferdinand David, im Abstand von einem Jahr im selben Haus in Hamburg geboren, wuchsen gemeinsam auf. Mendelssohns Vater wurde der Vormund Davids, der seine Eltern früh verlor. In den Berliner Jahren Mendelssohns, in denen der junge Musiker im Salon der Eltern mit seinen frühreifen Kompositionen Mittelpunkt von Hauskonzerten war, wirkte auch David oft mit. Ein Jahrzehnt später, als Mendelssohn 1835 die Leitung der berühmten Leipziger Gewandhauskonzerte übernahm, holte er David als Konzertmeister zum da-mals wohl besten Klangkörper Europas, dem Gewandhausorchester. David behielt diese Stellung bis weit über Mendelssohns frühen Tod hinaus.

Im Sommer 1839 erhielt David einen Brief von seinem Freund Mendelssohn, in dem ihm dieser die «allergrößte Lust» auf die Komposition eines Violinkonzertes mitteilte: «… Ein paar gutgelaunte Tage, so bringe ich Dir etwas der Art mit. Aber leicht ist die Aufgabe freilich nicht; brillant willst Du’s haben, und wie fängt unsereins das an? Das ganze erste Solo soll aus dem hohen E bestehen.» Aus den «paar gutgelaunten Tagen» wurden schließlich mehrere Jahre, die Mendelssohn für die Ausarbeitung seines Violinkonzertes benötigte. Er hatte eine schwierige Situation zu überwinden: Mit Beethovens Konzert stand ein grandios ausgereiftes Werk dieser Gattung vor den Musikern der Romantik, und von Mozart existierten ebenfalls schon mehrere wie vom Himmel gefallene Violinkonzerte, die den Konzertrahmen ideal ausfüllten. Um den riesigen Vorbildern aus dem Weg zu gehen, orientierte sich Mendelssohn an der reichen Violinkonzertmusik Louis Spohrs. Richtung Beethoven verbeugte sich Mendelssohn nur einmal im ersten Satz am Beginn der Coda mit den für Beethovens Violinkonzert so signifikanten Paukenschlägen. In Hinblick auf die Spieltechnik und die Gestaltungsmöglichkeiten der Violine zog Mendelssohn natürlich auch seinen Freund Ferdinand David zu Rate. Allein die Tatsache, dass die im Brief für den Werkanfang angekündigten «hohen E» im Violinkonzert dann tatsächlich erst auf den Höhepunkten des Satzes im Durchführungsteil erstmals vorkommen, zeigt, dass David durchaus Einfluss auf die Komposition nahm. Mendelssohn legte schließlich ein vollendet geschliffenes Werk vor und überraschte die musikalische Welt mit einigen Neuerungen:

Das Hauptthema des ersten Satzes (Allegro molto appassionato) stellt nicht etwa das Orchester vor, sondern es wird sofort von der Solovioline angestimmt und auch vollständig ausgeführt, ehe es vom Tutti des Orchesters bestätigt wird. Die Kadenz platziert Mendelssohn im ersten Satz nicht etwa an der üblichen Stelle vor der Coda, vielmehr macht er sie zum integrativen Bestandteil der Durchführung. Und während die Solovioline noch die letzten Figurationen der Kadenz ausspielt, setzt das Orchester bereits mit der Reprise des Satzes ein.

Fließende Übergänge fallen auch im weiteren Verlauf des Werkes auf: Direkt aus dem ersten Satz und einem liegen bleibenden Ton des Fagotts heraus lässt Mendelssohn den zweiten Satz (Andante) anheben, ­während der Finalsatz mit einer Überleitung aus dem Material des Seitenthemas des langsamen Satzes beginnt, ehe erst nach 15 Takten tatsächlich das Rondo einsetzt. Und dort webt Mendelssohn in ­Wiederholungen des Rondothemas eine neue Nebenmelodie ein, die einen ziemlich nachhaltigen Eindruck hinterlässt.

Auch im Ausdruck ging Mendelssohn eigene Wege. Seiner ­lyrischen Natur lief ein kämpferisches konzertantes Treiben wohl zuwider, und so legte er schon das Hauptthema des ersten Satzes als eine strömende Kantilene an, die auf den gesamten Charakter des Werkes abfärbt. Alle Steigerungen und Tuttipassagen behalten immer eine gewisse Leichtfüßigkeit und sind duftig instrumentiert, selbst die marschartigen Anklänge im Finalrondo. Zum bewegenden emotionalen und auch dynamischen Höhepunkt gerät somit nicht zufällig der Mittelteil des langsamen Satzes mit einer mollgefärbten Melodik, die sich dramatisch entwickelt und von schmerzhafter ­Harmonik erfüllt ist. Umgeben ist dieses Herzstück von einem der schönen Mendelssohnschen Lieder ohne Worte, das in den Eckteilen des Mittelsatzes «gesungen» wird.

Im ersten Satz folgt auf den melodienseligen Einleitungsteil ein von drehender Bewegung ausgelöster Überleitungsgedanke, ehe die Holzbläser ein berührendes, von leiser Wehmut durchzogenes Seitenthema einführen, das von der Solovioline melodiös ausgekostet wird. In der Durchführung treibt Mendelssohn das Hauptthema in höchste Höhen, dann erfolgt der überraschende Eintritt der Kadenz.

Das Rondo des Finales (Allegro molto vivace) eröffnen, nach der noch im langsamen Satz verhafteten Einleitung, die Bläser und Pauken mit einer Marschfigur, bevor aus den Figurationen der Solovioline das quicklebendige Rondothema hervorhüpft. Wer hier Gestalten aus dem Sommernachtstraum mithüpfen hört, liegt nicht so falsch, denn zweifellos knüpft Mendelssohn mit diesem Rondo an den Charakter seiner Bühnenmusik zu Shakespeares Komödie an. Die zwischendurch einfließende Nebenmelodie ruft noch einmal die schwärmerischen Passagen der ersten beiden Sätze in Erinnerung. Das zweite Thema des Finalsatzes hingegen löst mit seiner rhythmisch markanten Gestalt etwas von dem anfangs angedeuteten Marsch ein und bekommt dann auch die maßgebliche Rolle in der Coda und im Werkausklang zugeteilt.

Ferdinand David spielte am 13. März 1845 die Uraufführung des Violinkonzertes im Leipziger Gewandhaus, Dirigent war Niels W.Gade.   

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz

Carl Nielsen

Symphonie Nr. 2 op. 16 «Die vier Temperamente»

Sätze

  • Allegro collerico

  • Allegro comodo e flemmatico

  • Andante malincolico

  • Allegro sanguineo

Dauer

30 Min.

Entstehung

1902

Als Hippokrates rund 400 v. Chr. seine Lehre von den vier Temperamenten verfasste, schuf er die erste Grundlage für eine psychologische Charakterisierung des Menschen. Es sind vier Grundtypen, die sich anekdotisch rasch darstellen lassen: Der Choleriker findet eine Fliege in seiner Suppe. Er beschwert sich lautstark beim Kellner und zieht aufgebraust von dannen. Die Fliege in der gleichen Suppe wird dem Sanguiniker Freude machen, denn er hat ja eine kostenlose Fleischeinlage bekommen. Dem Phlegmatiker ist die Fliege egal, er fischt das Insekt aus dem Teller und widmet sich danach der Suppe. Wenn die Suppe mit Fliege dem Melancholiker serviert wird, meint der resignierend: «Es war ja klar, dass so etwas ausgerechnet mir passiert.»

Die vier Temperamente – wir tragen sie alle in uns, und wenn sie annähernd gleich stark sind, gilt der Mensch als ausgeglichen. Die Temperamente bieten allein in ihrer Typisierung reichlich Stoff für künstlerische Auseinandersetzungen, sodass man sich beim Hören von Carl Nielsens zweiter Symphonie fragen kann, warum ein solches Werk nicht schon früher entstanden war. Nielsens Inspiration war ein Holzschnitt, den der Komponist in einer Dorfkneipe entdeckte. Er sah eine Gruppe von amüsanten Bildern, «in denen die ‹Temperamente› dargestellt […] waren. Der Choleriker saß zu Pferde; er hatte ein langes Schwert in der Hand, mit dem er wild durch die Luft schwenkte, die Augen quollen ihm aus dem Kopf, die Haare flatterten wild um sein Gesicht, das dermaßen durch Wut und teuflischen Hass verzerrt war, dass ich unwillkürlich in Lachen ausbrach. Die anderen drei Bilder waren im selben Stil, und meine Freunde und ich amüsierten uns köstlich […]. Aber wie seltsam die Dinge sich manchmal entwickeln! Ich, der laut und verächtlich […] gelacht hatte, dachte immer wieder an sie zurück, und eines schönen Tages fiel mir auf, dass diese abgeschmackten Bilder doch eine Art Kern oder Idee enthielten und […] außerdem auch eine musikalische Basis!»

Gesagt, komponiert. Wahrscheinlich im Herbst 1901 machte sich Nielsen an die Arbeit und entwarf den ersten Satz, Allegro collerico, dem Choleriker gewidmet: Aufstampfend schmettert die Musik los, wie eine streitlustige Fanfare stellt sich das marsch artige Thema vor, schon bald erwidert von einem anfänglich sanften Seitenthema, das von unruhigen Stößen aufgemischt wird. Der Choleriker ist weder mit der Welt noch mit sich im Reinen. Im Bauplan einer gestandenen Symphonie ergibt das für die nun einsetzende Durchführung viele Varianten, in denen die Ideen miteinander kombiniert werden. Gegen Ende verleiht ein Anflug von grimmigem Humor dem Satz noch mehr Würze, bevor er in der gleichen resoluten Art endet, mit der er begann.

Der Phlegmatiker im zweiten Satz, Allegro comodo e flemmatico, könnte einer Opernszene entnommen sein, in der jemand schüchtern dem Balltreiben im Walzertakt zuschaut – aber selbst keinesfalls tanzen wird. Nielsen selbst lieferte zu diesem Satz eine Geschichte über einen jungen Burschen, an dem die Welt vorbeizieht: «War er lustig oder ernst, lebhaft oder langsam in seinen Bewegungen? Weder noch! Sein Wesen war dort, wo die Vögel singen, […] wo die Sonne wärmt und der Wind einem sanft durch die Haare streicht.» Im folgenden Andante malincolico nimmt uns die Musik in das Innerste der menschlichen Seele mit, die grübelnd mit sich selbst beschäftigt ist. Es sind lange und verwobene Gedanken, in denen sich Streicher und Holzbläser umeinander ranken – ein auswegloses Labyrinth der Gefühle. Carl Nielsen sagte, sein Wille als Komponist habe «weniger Bedeutung als das, was die Töne aus sich selbst, aus dem innersten Wesen der Musik heraus, verlangen und aus drücken».

Den Begriff des «Rausschmeißers» mag man da und dort einem symphonischen Finale zuordnen; im Fall von Nielsens Zweiter ist es das einzig denkbare Wort. Das abschließende Allegro sanguineo lässt an Märchenszenen denken, in denen ein «Hans im Glück» durch die Welt hüpft. Ein Abenteuer jagt dem anderen nach, nur eine nachdenkliche Episode gegen Ende scheint die Laune zu trüben. All das verfliegt bald und wird vom Blech mit geschwollenem Kamm in einen jauchzenden Schlussmarsch geführt. Die vier Temperamente – und mit ihnen eine formvollendete Symphonie – sind erschaffen.

Nielsens musikalischer Stil lässt sich nur schwer einordnen. Mit seinen Zeitgenossen aus der quasi letzten romantischen Generation, darunter Gustav Mahler, Richard Strauss und Claude Debussy, hat er nur wenig gemeinsam. Der Däne war weder interessiert an (skandinavischer) Folklore noch an den existenziellen Auseinandersetzungen des Fin de Siecle. Seine Musiksprache ist erfrischend klar, als Inspirationen dienten ihm häufig philosophische Ideen, denen er mit großer Konsequenz nachspürte. Mit Recht gilt er neben Sibelius als bedeutendster Symphoniker Nordeuropas. Am 1. Dezember 1902 dirigierte er selbst die erfolgreiche Uraufführung seiner Zweiten in Kopenhagen. Sein Freund Ferruccio Busoni ermöglichte im Jahr darauf eine Einstudierung durch die Berliner Philharmoniker. Nielsens symphonische Charakterstudie über die «Vier Temperamente» wurde zu seinem populärsten Orchesterwerk.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Alexander Moore