Archiv: Festival-Konzert | Peter Ruzicka, R. Strauss & Brahms

Grafenegg Wolkenturm Wolkenturm

Interpreten

  • Genia Kühmeier, Sopran
  • Peter Ruzicka, Dirigent

Programm

Peter Ruzicka
«Furioso» für Orchester (Uraufführung)
- Pause -

Richard Strauss´ «Vier letzte Lieder» sind ein persönliches Bekenntnis und gelten als sein künstlerisches Vermächtnis. Die österreichische Sopranistin Genia Kühmeier wird den Zyklus in die Nacht von Grafenegg tragen. Sinnlichkeit und Klugheit vereinte auch Johannes Brahms in seiner vierten Symphonie. Als Eduard Hanslick sie auf zwei Klavieren hörte, rief er: «Ich hatte die Empfindung, als ob ich von zwei schrecklich geistvollen Leuten durchgeprügelt würde.» Heute gehört die Symphonie zu den meistgespielten Orchesterwerken überhaupt. Peter Ruzicka wird im Rahmen seiner ersten Zusammenarbeit mit den Tonkünstlern ein neues eigenes Werk vorstellen. Neue Werke präsentiert auch das Prélude als Abschlusskonzert des diesjährigen Composer-Conductor-Workshops «Ink still wet».

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Richard Strauss

«Vier letzte Lieder» für Sopran und Orchester

Sätze

  • Frühling

  • September

  • Beim Schlafengehen

  • Im Abendrot

Dauer

23 Min.

Entstehung

1948

Richard Strauss verbrachte seinen vorletzten Frühling und Sommer in der Schweiz. Der Mai am Genfer See regte ihn in Montreux zur Vertonung eines Gedichts von dem romantischsten aller romantischen Dichter, Joseph von Eichendorff, an. Feierlich-sakral hebt eine Orchester-Introduktion im Lied «Abendrot» an, die Blechbläser inklusive Tuba geben mit weichen Akkorden den Figuren der Holzbläser und hohen Streicher Stütze. Der Sopran, die hohe Frauenstimme, die Strauss in so vielen Facetten in seinen Opern zur Gefühlsentfaltung brachte, wird zur inneren Stimme, die lyrisch nach außen dringt.

Mit Eichendorff schaut Strauss auf den Lebensweg zurück, um dann in die dunkelnden Täler hinabzugehen, aus denen mit Flötentrillern zwei Lerchen auffliegen. «Ist das etwa der Tod?» Milder wurde diese Frage in der Musik nicht gestellt. In D-Dur steigt über langsamen, gebundenen Streicher- und Holzbläser-Bewegungen das Horn mit dem «Erlösungsmotiv» aus Strauss’ früher Tondichtung «Tod und Verklärung» auf, auf dem Wort Tod erfolgt die Transzendenz mit einem berückenden, sanft schimmernden Ces-Dur-Akkord, der lange liegen bleibt. Noch einmal erhebt sich das Horn, nun begleitet von Klarinette und Bratschen. «Sehr langsam» moduliert die Musik in die Ausgangstonart Es-Dur, in der das «Abendrot» mild verlischt.

Der 84jährige Komponist, 1948 auf ein Leben der künstlerischen Erfüllung zurückblickend, aber auch auf ein zerstörtes Europa schauend, in dem die Opernhäuser seiner einstigen Triumphe in Trümmern lagen, hatte offenbar schon etwas von den irdischen Wirrnissen losgelassen. Das «Abendrot» bildet den Abschluss jener Lieder, die nach Richard Strauss’ Tod als «Vier letzte Lieder» herausgegeben wurden und in denen neben dem Eichendorff-Gedicht Strauss erstmals Verse von Hermann Hesse vertonte. In Pontresina im Engadin nahe St. Moritz, während des Hochsommers 1948, spürte der Komponist noch einmal dem «Frühling» nach, ließ sein melodisches Füllhorn in einer nicht enden wollenden kantablen Linie verströmen, die über dem langsam wärmer werdenden Boden zu schweben scheint. Dann wieder Montreux, tatsächlich im «September». Der Sommer stirbt, die (Klang-)Farben sind so schön wie nie und glänzen in dunklem Gold: ein gelöstes, entspanntes «Lied von der Erde», Glück in sich tragend und auf die Umwelt übertragend. Am Ende auch ein Hornsolo, ein tröstlicher Nachgesang auf den Sommer, der langsam die Augen geschlossen hat.

«Beim Schlafengehn» scheint der Komponist noch einmal Melodien aus der gefühlsintensiven Jugendzeit zu hören. Ein gleichzeitig zufriedener und wehmütiger Rückblick auf eine Vergangenheit, in der sich Melodien noch mit viel mehr Energie und Leidenschaft aufbäumten und aufschwangen. Doch nun senken sie sich zum Schlummer, der von einem sanften Violinsolo versüßt wird. Strauss komponiert zart das Motiv der Erlösung aus. Die Seele steigt über zwei Oktaven in den Bassinstrumenten dem Zauberkreis der Nacht und «tausendfachem» Leben entgegen.Schöner lässt sich nicht Abschied nehmen. Gelassenheit und im selben musikalischen Atemzug Gefühlswärme sprechen aus den «Vier letzten Liedern». Keine Angst, kein Schrecken, keine Trauer – nur ein bisschen Traurigkeit im Bewusstsein des letzten Er-Lebens. Im groß besetzten, aber nie über ein klanglich weich eingebettetes Forte hinausgehenden Orchestersatz schwingt Strauss’ eigene musikalische Vergangenheit mit, in der Ferne sind die Gefühlstänze des «Rosenkavalier» und die Mystik der «Frau ohne Schatten» zu hören. Fast ein halbes Jahrhundert und zwei Weltkriege später kommen noch einmal der Klang und die Illusionen von einst zurück in die Musik. Strauss nahm Abschied von seiner Welt, die eine andere war und die er sich anders erträumte, als sie geworden ist. Aber im Schweizer Seenfrühling und Bergsommer erwachten noch einmal die Erinnerungen an die Illusionen und gingen in die Gegenwart des Abschiednehmens über, in einer geläuterten Klangsprache und einer von der Melodik in berückende Regionen gelenkten Harmonik. Eine versöhnliche Endzeit-Stimmung in der Mitte des Jahrhunderts.

© Rainer Lepuschitz | NÖ Tonkünstler Betriebsges. m. b. H.  

Johannes Brahms

Symphonie Nr. 4 e-Moll op. 98

Sätze

  • Allegro non troppo

  • Andante moderato

  • Allegro giocoso

  • Allegro energico e passionato - Più allegro

Dauer

45 Min.

Entstehung

1884/85

Johannes Brahms scheute sich lange Zeit davor, Symphonien zu komponieren. An den befreundeten Hermann Levi schrieb er in einem Brief: «Ich werde nie eine Symphonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zumute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört.» Mit dem Riesen war Beethoven gemeint, dessen kompositorische und vor allem symphonische Hinterlassenschaft Brahms als übermächtig empfand. Er umging lange Zeit die Symphonie, wich ihr aus, obwohl es ihn zu ihr drängte. Die Monumentalität des 1. Klavierkonzertes ist darauf zurückzuführen, dass Brahms mit dem musikalischen Material ursprünglich symphonische Pläne hatte. Und als der junge Komponist für das Orchester in Detmold komponierte, verbarg er seine symphonischen Ambitionen hinter der Bezeichnung Serenade, auch wenn das Werk großteils als veritable Symphonie daherkommt.

Dort, wo er sich sicher fühlte, in der Komposition von Variationen, bahnte sich Brahms dann mit den für Orchester instrumentierten Haydn-Variationen den Weg zur Symphonie. Den schon sehr weit gediehenen Entwürfen zum Kopfsatz seiner ersten Symphonie c-moll folgten allerdings noch einmal eineinhalb Jahrzehnte Wartezeit, ehe es Brahms wagte, die Symphonie zu vollenden und 1876 der Öffentlichkeit zu präsentieren. Das war der Durchbruch, dem nun in kurzen Abständen zahlreiche symphonische Werke folgten: In den folgenden elf Jahren drei weitere Symphonien (D-Dur, F-Dur,  e-moll), zwei Ouvertüren («Tragische» und «Akademische»), das Violinkonzert D-Dur, das 2. Klavierkonzert ­B-Dur und das Doppelkonzert für Violine und Violoncello a-moll.

Die Symphonie Nr. 4 e-moll op. 98 komponierte Brahms während der Sommermonate 1884 und 1885 in Mürzzuschlag in der Steiermark, er selbst dirigierte die Uraufführung am 25. Oktober 1885 in Meiningen mit der berühmten Hofkapelle. Auf einer Tournee des Orchesters durch Deutschland und die Niederlande fand die Symphonie schnelle und große Verbreitung. Die berühmt gewordenen ersten vier Töne des Werks mit ihrer abfallenden großen Terz und aufsteigenden kleinen Sext sind eine Art Leitmotiv; Details daraus erlangen in verschiedenen Formen in der gesamten Symphonie Bedeutung, vor allem die fallende Terz, die in mehreren Folgen wieder auftritt, aber auch die Quint zwischen erstem und drittem Ton, die den Umfang der Hauptthemen aller drei folgenden Sätze festlegt. Im Aufbau der Symphonie fällt auf, dass die klassische Sonatenhauptsatzform in allen vier Sätzen durchschimmert, aber nirgends in der traditionellen Art erhalten ist.

Der Kopfsatz (Allegro non troppo) verbindet die Sonatensatz-Disposition (Hauptthema, Seitenthema und Schlussgruppe in einer Exposition, Durchführung, Reprise der Exposition und Coda) mit mehreren Variationsreihen, wobei das viertönige Hauptmotiv eine Vielzahl von Metamorphosen erlebt. Die herkömmliche Festsetzung von thematischem Material in der Exposition reicht Brahms nicht mehr aus, eigentlich beginnt das Variieren schon mit dem zweiten, veränderten Auftreten des Hauptmotivs. Dieses doppelgleisige Verfahren bewirkt den ungemein dichten, verschlungenen und verwobenen Charakter der Musik.

Der zweite Satz (Andante moderato) wird von einem ernsten, feierlichen The­ma in den Bläsern eingeleitet und bringt dann, wie in einem Sonatensatz, ein Seitenthema. In der Folge baut Brahms auf dem Terzintervall unruhigere Episoden auf, ehe nunmehr die Streicher in einem lan­gen, choralhaften Abschnitt das ernste Bläserthema in eine tröstliche Stimmung umwandeln. In diesem Satz fällt durch gele­gentliche Färbungen in der phrygischen Kirchentonart schon ein sakraler An­klang auf, der dann im Finale seine Bestätigung findet.

Als dritten Satz (Allegro giocoso) komponierte Brahms eine Art Burleske. Die grundlegende C-Dur-Fröhlichkeit des Satzes wird durch rhythmische Akzente und dynamische Kontraste mitunter ins Übertriebene gesteigert. In der klanglichen Gestaltung wird das Instrumentarium gegenüber den sonstigen Sätzen um Piccoloflöte, Kontrafagott, eine dritte Pauke und Triangel erweitert. Brahms verbindet Elemente der Sonatenhauptsatzform mit dem Rondo. Seitensatzgruppen erfüllen die Funktion der Couplets, während das Hauptthema in verschiedenen Abstufungen vom strahlenden Jubel bis zu graziler Bewegung aufscheint.

Im Finalsatz (Allegro energico e passionato) baut Brahms auf einem Thema aus der Bach-Kantate «Nach Dir, Herr, verlanget mich» (BWV 150) eine grandiose Passacaglia auf, die mit ihrem Charakter des unentwegt Fortschreitenden offenbar die Unendlichkeit des Todes gegenüber der Vergänglichkeit des Lebens darstellt. Blechblasinstrumente, die zuvor nicht zum Einsatz kamen, exponieren die sakralmusikalischen Themen: Posaunen, die schon seit dem 17. Jahrhundert und später etwa auch in der Salzburger Kirchenmusikpraxis der Mozart-Zeit ein besonderes Klangsymbol religiöser Musik waren. Das Passacaglia-Thema erlebt 30 Variationen, Brahms kehrt also auch in seinem letzten Symphoniesatz zu der von ihm so geschätzten Form der Variation zurück. Die Bläser führen – wie im zweiten Satz – das Thema ein. Die Form eines Sonatensatzes erzielt Brahms hier über den Umweg von differenzierter Gestaltung des einzigen Themas in den klanglichen, dynamischen, harmonischen und rhythmischen Bereichen. Der Satz erlangt in der Flötenvariation und der folgenden Variation von Oboe, Klarinette und Celli eine innige und tieftraurige Phase, aus der die Bläsergruppe mit der Wiederkehr der entschiedenen Gestalt des Satzbeginns herausführen. Bis zu den markanten Schlussvariationen und zum letzten Akkord behält Brahms aber eine dunkle Stimmung bei.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz