Archiv: Beethoven & Nielsen

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Augustin Hadelich, Violine
  • John Storgårds, Dirigent

Programm

Ludwig van Beethovens einziges Violinkonzert ist der große klassische Prüfstein für jede Geigerin und jeden Geiger. Der 1984 geborene Augustin Hadelich hat dabei einen exzellenten und sozusagen von Haus aus einfühlsamen Pultpartner zur Seite, denn John Storgårds ist sowohl Dirigent als auch Violinsolist. Aus seiner Heimat Finnland bringt Storgårds ein Werk der Komponistin Outi Tarkiainen* mit: Musik über die Mitternachtssonne, Himmelsfarben und die Geburt ihres Sohnes. Dazu passt die rätselhaft-geheimnisvolle fünfte Symphonie des Dänen Carl Nielsen, in der die widerstreitenden Kräfte von Beharrung und Veränderung auf packende Weise Klang werden.

*Österreichische Erstaufführung am 15. Dezember 2023 im Musikverein Wien

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Outi Tarkiainen

«Midnight Sun Variations» für Orchester

Dauer

11 Min.

Entstehung

2019

Mag man in der Regel mit Kaija Saariaho nach wie vor nur eine einzige finnische Komponistin zu benennen, die dem für Moderne aufgeschlossenen Musikpublikum in aller Welt ein Begriff ist, so relativiert sich diese Einengung freilich, wenn man sich eingesteht, dass man mancherorts hartnäckig nach wie vor ausschließlich Jean Sibelius als Vertreter der finnischen Musikgeschichte im Allgemeinen kennt. Betrachtet man aktuelle finnische Konzertprogramme, so wird man es dort jedenfalls nicht als etwas Außergewöhnliches empfinden, weibliche und männliche Namen ohne Fragen nach Gleichberechtigung, sondern selbstverständlich nebeneinander zu lesen.

Mit Outi Tarkiainen steht diesmal in den Tonkünstler-Abonnementkonzerten eine der interessantesten finnischen Komponistinnen der jüngeren Generation auf dem Programm. Einen wahren Erfolgslauf hat ihr knapp zehnminütiges Orchesterwerk «Midnight Sun Variations» («Variationen der Mitternachtssonne», das in den kaum mehr als zwei Jahren seit seiner Premiere nun bald die 20. Aufführung anpeilt - dies noch dazu vor dem Hintergrund, dass genau in diesem Zeitraum die Pandemiemaßnahmen viele Konzertsäle geschlossen hielten. Sowohl in der Farbigkeit ihrer Tonsprache als auch in der illustrativen Herangehensweise, die unmittelbar vor den Hintergrund der nordischen Gegebenheiten führt, hat Tarkiainen in organischer Selbstverständlichkeit die Stafette der Tradition ihres Landes übernommen: Auf zeitlose und doch zugleich heutige Weise führt sie fort, was während der vergangenen 120 Jahre Komponisten wie Sibelius, Uuno Klami, Einar Englund, Einojuhani Rautavaara und Kalevi Aho mit ihrem auf je individuelle Weise finnisch geprägten Schaffen vorgaben.

Outi Tarkiainen sagt über ihr vom BBC Philharmonic und dem National Arts Centre Orchestra Ottawa gemeinsam in Auftrag gegebenes Werk: «'Midnight Sun Variations' ist ein Orchesterwerk über das Licht der nördlichen Sommernacht. Am Himmel der Arktis über dem Polarkreis reflektieren sich in Sommernächten schier unendlich nuancierte Farbspektren, die, sobald der Herbst hereinbricht, allmählich von Schatten verhüllt werden, bis sie in Dunkelheit versinken und die Sonne nicht mehr über dem Horizont aufgeht. [...] Das Orchester erstrahlt und schwillt an, es zieht spielerisch seine Runde und kehrt wieder zum Anfang zurück. Einsam schwebende Bläsersoli verkünden, von Seufzern eines Horns beantwortet, den Frieden der Sommernacht. Aus den Streichern entsteht ein Neuanfang: ein mit rauer Urgewalt zuschlagender Akkord, der den Raum mit seiner Wärme erfüllt. Dies setzt einen Puls sich ständig neu vermengender Akkorde in Gang, der letztendlich das ganze Orchester erfasst, bis sich die Streicher lösen, in die Höhe steigen und die vielleicht wichtigste Botschaft vermitteln. Mein erstes Kind wurde in dieser Nacht geboren, als der letzte warme Tag des Sommers einer vom Herbstnebel eingehüllten Dämmerung Platz machte. 'Variationen der Mitternachtssonne' beschreibt auch den Vorgang des Gebärens: die Öffnung des weiblichen Körpers für ein neues Leben, die Trennung zweier ineinander verschachtelter Körper bei der Geburt und die Wiedervereinigung des eigenen Ichs mit dem Licht, das im Herbst verblasst.»

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Christian Heindl

Ludwig van Beethoven

Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61

Sätze

  • Allegro ma non troppo

  • Larghetto -

  • Rondo

Dauer

42 Min.

Entstehung

1806

Ludwig van Beethovens Violinkonzert D-Dur op. 61 wurde am 23. Dezember 1806 in Wien mit Franz Clement als Solisten uraufgeführt. Es blieb für lange Zeit die einzige Aufführung. Erst nach Beethovens Tod schenkten Geiger vereinzelt dem Werk wieder Beachtung, so auch Henri Vieuxtemps 1833 in Wien. Als Meisterwerk entdeckt und erkannt wurde das Konzert aber erst 1844 in London, wo es der damals 13jährige Joseph Joachim, der spätere enge künstlerische Wegbegleiter von Johannes Brahms, unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy spielte. In der romantischen Epoche erkannte man die außergewöhnlich lyrischen, ja poetischen Qualitäten dieses Werkes, die allerdings ganz eng mit dem Interpreten der Uraufführung zusammenhingen. Franz Clement wurde von seinen Zeitgenossen insbesondere wegen der «unbeschreiblichen Zierlichkeit» seines Spiels und der «äußerst lieblichen Zartheit» seines Tons gerühmt. Beethoven arbeitete im Frühjahr 1806 anlässlich der Aufführung der Oper «Fidelio» mit Clement, dem Konzertmeister im Theater an der Wien, zusammen. Dies dürfte der äußere Anlass für Beethoven gewesen sein, ein Violinkonzert «par clemenza pour Clement» («aus Gnade für Clement») zu schreiben, wie auf dem Titelblatt der autographen Partitur vermerkt ist. Clement hat sich zweifellos intensiv mit Beethoven und dessen Konzert auseinandergesetzt, denn der Komponist arbeitete die Solostimme nach der Uraufführung noch zweimal um.

Das Konzert erhielt aber auch noch eine andere Gestalt. Denn einige Monate nach der Uraufführung hätte Beethoven bei einer neuerlichen «gnadenvollen» Zueignung für einen Solisten auf der Titelseite nur ein «i» hinter Clement anfügen müssen. Der Pianist, Komponist und Verleger Muzio Clementi regte während eines Wien-Aufenthalts 1807 Beethoven an, das Violinkonzert für eine Drucklegung in ein Klavierkonzert umzuwandeln, was dieser auch tat, einerseits sicher wegen des lukrativen finanziellen Angebots, andererseits wohl auch, weil ihm an der Musik des Werkes besonders viel gelegen war. Zweifellos schmerzte Beethoven die geringe Resonanz auf das Violinkonzert.

Für die Zeitgenossen mussten die großräumige Konzeption des Werkes und sein besonderer Ausdrucksgehalt irritierend wirken. Bedeuteten schon Mozarts ein Vierteljahrhundert zuvor entstandenen Violinkonzerte einen enormen Entwicklungsschub für diese Gattung, weg von der barocken Concerto-Tradition der Italiener, so tat Beethoven noch einmal einen Riesenschritt, indem er mit einer ausgeweiteten motivischen Verarbeitung und einer symphonischen Anlage die Form des Violinkonzertes für das 19. und das beginnende 20. Jahrhundert prägte. Im rückblickenden Vergleich ist dieses Werk den viele Jahrzehnte später entstandenen Violinkonzerten von Brahms, Tschaikowski und Sibelius viel näher als den Gattungsgenossen des späten 18. Jahrhunderts.

In Beethovens Werk findet sich zwar das mit Figurationen und konzertierenden Elementen durchsetzte Muster des Violinkonzertes, wie er es von den Zeitgenossen Rodolphe Kreutzer und G. B. Viotti kannte, doch es wird überlagert von einer epischen Melodik und der Konzentration auf die kantablen Vorzüge der Violine. Beethovens Musik bringt das Instrument tatsächlich zum Singen, unterstützt und solistisch begleitet von den «atmenden» Holzbläsern, insbesondere dem Fagott (in allen drei Sätzen), aber auch der Oboe und Klarinette.

Die Holzbläser sind es auch, die im ersten Satz das erste Thema vorstellen. Von einem Hauptthema kann man nicht sprechen, denn Beethoven reiht mehrere miteinander verwandte Themen aneinander, die entweder einen ausgeprägten «sanglichen» Charakter haben oder symphonisch-wuchtig in Erscheinung treten. Auch ein Seitenthema im traditionellen Sinn gibt es nicht, denn wenn es der formalen Gesetzmäßigkeit entsprechend auftritt, entpuppt es sich als Weiterentwicklung der vorangegangenen Thematik. Damit entfällt auch der Kontrast zwischen den Themengruppen. Vielmehr tragen die einzelnen Themensegmente gleichzeitig Innigkeit und Erhabenheit in sich.

Spannung erzeugt Beethoven vielmehr durch ein Motiv, mit dem das Werk eröffnet wird und das mehr als fünfzig Mal wiederkehrt: fünf gleiche pochende Töne, zunächst von der Pauke intoniert. Das ruft die Stimmung eines fernen Marsches hervor, der immer wieder geheimnisvoll, drohend, aber mitunter auch zielführend im kantablen Geschehen durchklingt. Die symbolische Bedeutung dieses Motivs strich Beethoven in der Klavierfassung des Werkes noch hervor, indem er die Paukenschläge in die Kadenz einbaute (Kadenzen für das Violinkonzert hat Beethoven keine hinterlassen).

Der Solist braucht in diesem Violinkonzert, besonders im ersten Satz, einen enorm langen Atem. Nach der umfassenden und fesselnden Exposition des Orchesters steigt aus dessen Tiefen die Solovioline hervor und schwingt sich in höchste Lagen auf. Die einzelnen Themensegmente erklingen nun immer wieder in einsamen Höhen als zarter, ja manchmal fragiler Gesang. Zwischendurch verbindet das Orchester die Thematik wieder mit der Erde und setzt imposante symphonische Zeichen. Das Soloinstrument hält sich in diesen Phasen mit Figurationen und Trillerketten in Bewegung, um dann wieder seinen Gesang anzustimmen. Am Ende des Satzes hat sich die Gewissheit durchgesetzt, dass auch Sanftheit Stärke entfalten kann.

Im langsamen Mittelsatz schlägt Beethoven jenen berührenden Ton an, den man aus seinen beiden Romanzen für Violine und Orchester kennt. Die Erfüllung einer formalen Ordnung tritt hier vollkommen in den Hintergrund. Das affirmative Thema besitzt so viel Ausdruckskraft, dass es, umsungen von der Solovioline, alleine durch den ganzen Satz hindurch getragen werden kann, verändert nur durch unterschiedliche Klangfärbungen. Sein punktierter Auftaktrhythmus mündet am Ende des Satzes in eine imposante Streicherpassage, an die unmittelbar das Finalrondo anschließt. Das einfache, aus Dreiklangszerlegungen gebildete Rondothema im 6/8-Takt, von der Solovioline eingeführt, löst sich aus der bisherigen lyrischen Stimmung des Werkes und schlägt einen flotten und heiteren Ton an. Dem Gesang folgt nun der Tanz, der mitunter zur Motorik wird. Das traditionelle konzertierende Moment wird als zuhöchst unterhaltsames Frage- und Antwortspiel zwischen Soloinstrument und Orchester abgehandelt. Dabei wird die Violine am Ende sogar keck – ein Wesenszug, den man ihr nach den ersten beiden Sätzen überhaupt nicht zugetraut hätte. Das Orchester treibt den Satz mit dramatischem Brio an und beschließt ihn markant mit einer Achtel- und einer Viertelnote, der bestimmenden Grundkombination des Rondothemas.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz

Carl Nielsen

Symphonie Nr. 5 op. 50

Sätze

  • Tempo giusto - Adagio

  • Allegro - Presto - Andante poco tranquillo

Dauer

38 Min.

Carl Nielsens Symphonie Nr. 5 entstand zwischen 1920 und 1922. Die erste Hälfte schrieb Nielsen in dem Haus Højbo in Tibberup, das ihm seine Freunde, der Fabrikant Carl Johan Michaelsen und seine Frau Vera, zur Verfügung gestellt hatten; ihnen wurde das Werk zum Dank später gewidmet. Am 30. März 1921 war der erste Satz beendet, doch dann geriet Nielsen in eine Schreibblockade. Er machte sich zunächst an eine Auftragskomposition, die Kantate «Fynsk Foraar» (Frühling auf Fünen). Erst im Herbst ging er wieder an die Symphonie und vollendete sie am 15. Jänner 1922. Nielsen selbst gab nur zehn Tage später, am 24. Jänner, mit dem Orchester der Musikvereinigung in Kopenhagen die Uraufführung, die ein lebhaftes Echo fand. Nielsen hat den meisten seiner Symphonien Untertitel beigegeben, nicht jedoch der Fünften, über die er sich am 24. Januar 1922 in der Zeitung Politiken wie folgt äußerte: «Auch meine erste Symphonie bekam keinen Namen. Dann kamen ‹Die vier Temperamente›, die ‹Espansiva› und ‹Das Unauslöschliche›, doch sind dies eigentlich nur unterschiedliche Namen für stets das Gleiche, für das Einzige, das Musik auszudrücken vermag, wenn alles gesagt und getan ist: Die Kraft der Ruhe gegenüber der Kraft des Aktiven. Wenn ich für meine Fünfte einen Namen finden müßte, würde er etwas Ähnliches ausdrücken. Es ist mir jedoch nicht gelungen, das eine Wort zu finden, das gleichermaßen charakteristisch und nicht zu prätentiös dafür wäre – so habe ich es gelassen.» Die dem Werk zugrundeliegende Idee beschrieb er so: «Ich rolle einen Felsen einen Hügel hinauf, benutze meine Kraft, um den Stein auf den Gipfel zu bringen. Dort ruht der Fels still. Die Energie ist darin gebunden, bis ich ihn anstoße, die Energie wird wieder freigesetzt und der Stein rollt herab. Doch das ist kein ‹Programm›! Solche Erklärungen und Anleitungen des ‹Gehalts› können nur schlecht sein, führen den Hörer in die Irre und verderben die Allgemeingültigkeit des Werkes.» In der Tat findet sich auf der Rückseite der Entwurfpartitur Nielsens Vermerk: «Dunkle, ruhende Kräfte / erwachte Kräfte.» Zudem enthält der Höhepunkt des ersten Satzes die kuriose Anweisung für den Trommler, er möge «auf eine Art und Weise improvisieren, als ob er um jeden Preis den Fortschritt des Orchesters aufhalten möchte». Doch auch ohne solche Erklärungsversuche spürt der Hörer, dass in dieser zweiteilig gehaltenen Symphonie elementare Kräfte am Werke sind.

Der erste Satz beginnt mit einem Streicher-Teppich, über den sich ein ausgedehntes Thema spannt, ähnlich wie in Bruckners Siebenter, mehr noch der ersten Symphonie von Tschaikowski, zunächst von den Fagotten vorgestellt. Doch bald greifen störende Elemente ein. Nach etwa zehn Minuten scheint ein choral-artiges, wiederum in seiner Inbrunst an Bruckner erinnerndes Adagio-Thema Frieden stiften zu wollen, doch dies entpuppt sich als trügerisch, und schließlich türmt sich der Satz zu einem gewaltigen Höhepunkt mit der erwähnten Schlagzeug-Kadenz auf. Die Art und Weise, wie dieser wilde Marsch über alles hinwegfegt und nur noch Schutt und Asche hinter sich lässt, nimmt auf verstörende Weise den ersten Satz der «Leningrader»-Symphonie von Schostakowitsch vorweg.

Im zweiten Teil versucht Nielsen, die Ordnung wiederherzustellen, denn der Satz beginnt mit einer herkömmlichen Sonaten-Exposition zweier Themen – ein schwungvolles Allegro und ein wiegendes, von der Oboe begonnenes Seitenthema. Doch die angepeilte Sonatenform fällt vor den Ohren des Hörers auseinander: Anstelle der zu erwartenden Durchführung stehen zwei Fugen – eine schnelle und eine langsame. Anders als in der vierten Symphonie, in der die regenerativen Kräfte des Intuitiven sich als «Das Unauslöschliche» erweisen, soll hier in der Ratio die «Lösung» liegen: In der barocken Semantik galt die Fuge als Symbol «höchster Ordnung». Doch beide führen ins Nichts, und auch die als Coda fungierende Reprise des Satzbeginns wirkt eher verzweifelt. Der ganze Satz kreist praktisch in sich selbst gefangen; darüber kann auch der kurze, bombastische Dur-Schluss dieses tragischen Werkes nicht hinwegtäuschen. Es ist kein Wunder, dass man später zu dem Eindruck kam, Nielsen habe in seiner Fünften den zweiten Weltkrieg vorausgeahnt.

© Grafenegg Kulturbetriebsgesellschaft m.b.H. | Benjamin Gunnar-Cohrs