Archiv: Mozart & Tschaikowski

St. Pölten Festspielhaus Großer Saal Festspielhaus | Großer Saal

Interpreten

  • Kirill Maximov Nezalizov, Violine
  • Nikita Gerkusov, Viola
  • Fabien Gabel, Dirigent

Programm

Vorhang auf für die Orchestersolisten der Tonkünstler! Konzertmeister Kirill Maximov und Solobratscher Nikita Gerkusov sind die Protagonisten dieses Verwöhnprogramms mit der «Sinfonia concertante» in Es-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart – ein Doppelkonzert, das vom Publikum geliebt und von den Ausführenden mit größtem Respekt behandelt wird. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: Nach der Uraufführung seiner sechsten Symphonie hatte Pjotr Iljitsch Tschaikowski noch genau neun Tage zu leben. Der sehr zu Herzen gehenden «Pathétique» widmen sich die Tonkünstler gemeinsam mit Fabien Gabel in der zweiten Konzerthälfte.

Der für diese Konzertserie vorgesehene Dirigent Axel Kober musste seine Mitwirkung leider absagen. Dankenswerterweise erklärte sich Fabien Gabel, der schon mehrfach mit dem Tonkünstler-Orchester zusammengearbeitet hat, bereit, das Dirigat kurzfristig zu übernehmen.

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Wolfgang Amadeus Mozart

Sinfonia concertante für Violine, Viola und Orchester Es-Dur KV 364

Sätze

  • Allegro maestoso

  • Andante

  • Presto

Dauer

30 Min.

Entstehung

1779

Wolfgang Amadeus Mozarts leidlich schlechtes Verhältnis zu seinem Salzburger Dienstherrn Fürsterzbischof Colloredo ging 1777 erstmals in die Brüche. Mozart war zuversichtlich, anderswo eine bessere Stelle finden zu können und reiste im September 1777 mit seiner Mutter nach München, Augsburg, Mannheim und Paris, wo Mozart im Frühling 1778 einige Konzerte gab. Die feste Anstellung blieb trotz mancher Achtungserfolge ein unerfüllter Wunsch. Am 3. Juli starb die Mutter Anna Maria in Paris; entmutigt und traurig trat der Sohn Ende September den Heimweg an. Es blieb zu Hause nichts anderes übrig, als den Fürsterzbischof Colloredo ein zweites Mal um gnädige Aufnahme zu bitten - die «größte Narrheit von der Welt», wie er schrieb. Per Dekret vom 17. Jänner 1779 trat Mozart wieder in die Dienste des von ihm so bezeichneten «Erzlümmels». Immerhin verdiente er als Hof- und Domorganist in etwa das Dreifache im Vergleich zu seiner früheren Stelle. Die zweite (und endgültige) Kündigung - damals geschah dies freilich standesgemäß durch die Bitte um Entlassung - erfolgte dann 1781 und wurde mit dem berüchtigten Fußtritt des Hofbeamten Graf Arco in Mozarts Allerwertesten quittiert.
Die Zeit zwischen seiner Rückkehr von der Reise nach Mannheim und Paris und seiner endgültigen Abkehr von Salzburg, also Jänner 1779 bis Juni 1781, zählt zu Mozarts produktivsten Perioden. Viele kirchenmusika- lische Werke entstanden, darunter die Messen C-Dur KV 337 und KV 317 («Krönungsmesse») sowie die Vesperae solennes de confessore KV 339. Auf einer Konzertreise nach München wurde im Jänner 1781 in München «Idomeneo» uraufgeführt, Mozart schrieb unter anderem auch das Konzert für zwei Klaviere und Orchester KV 365 und die «Gran Partita» KV 361.
Neben den genannten Werken ist die Zahl der Konzerte für zwei oder mehr Soloinstrumente und Orchester in diesen Jahren auffallend hoch. Mozart beschäftigte sich mit diesem Genre unmittelbar nach seiner Reise nach Mannheim und Paris, wo sich Konzerte dieser Art größter Beliebtheit erfreuten. Die Sinfonia concertante für Violine, Viola und Orchester Es-Dur KV 364 ist zweifellos der berühmteste Beitrag Mozarts zu dieser eigentümlichen Gattung, einem Hybrid aus Symphonie und Konzert - am ehesten mit dem barocken Concerto grosso vergleichbar. KV 364 ist darüber hinaus der erste große Höhepunkt in Mozarts Instrumentalkonzerten. In seinen Werken vor dieser Zeit ist ein so persönlicher und charaktervoller Ton nur selten zu hören. Erwähnenswert ist auch die Skordatur der Viola, also die (in diesem Fall um einen Halbton) erhöhte Stimmung - wahrscheinlich wollte Mozart damit eine hellere Klangfarbe des Instruments erzeugen.
Der erste Satz (Allegro maestoso) eröffnet mit punktierten Akkordschlägen und ebnet in sanften Wellenbewegungen die Kulisse für einen eleganten ersten Auftritt der beiden Soloinstrumente - fast wie aus dem Nichts erklingen die Kantilenen der Violine und der Viola, die einander und das gesamte Orchester herrlich umspielen. Die Kadenz - üblicherweise frei improvisiert - schrieb Mozart vollständig aus, was bei zwei Soloinstrumenten durchaus günstig ist. Mit beredter Virtuosität treten die beiden Streichinstrumente in einen Dialog, der Momente von unnachahmlicher Zartfühligkeit aufweist. Das Tutti des Orchesters reißt die Protagonisten fast wie aus dem Schlaf und krönt den Kopfsatz mit pompösen Akkorden in Es-Dur.
Das Andante in c-moll ist in einer niedergeschlagenen und bedrückten Stimmung gehalten. Die Soloinstrumente singen ein Duett, das zwischen passiver Tristesse und dramatischer Verzweiflung mäandert, untermalt von dunklen Orchesterschatten. Der bereits erwähnte persönliche Tonfall, den Mozart in seiner Sinfonia concertante anschlägt, erlebt hier seinen innigsten Ausdruck.
So dunkel der Mittelsatz auch war, so hell und jubelnd ist das Finale (Presto), das mit lebensbejahender Kraft dem Himmel entgegenfliegt. Die wiedergewonnenen Lebensgeister ermuntern die Soloinstrumente zu einem neckischen Spiel, musikalische Gedanken werden einander zugeworfen und variiert. Mit einem kräftigen Tutti des Orchesters und der Soloinstrumente beschließt Mozart dieses großartige Werk.
© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Ramón de Orelexa (Alexander Moore)

Pjotr Iljitsch Tschaikowski

Symphonie Nr. 6 h-Moll op. 74 «Pathétique»

Sätze

  • Adagio - Allegro non troppo

  • Allegro con grazia

  • Allegro molto vivace

  • Finale. Adagio lamentoso

Dauer

45 Min.

Entstehung

1893

Pjotr Iljitsch Tschaikowski starb nur neun Tage nach der von ihm selbst dirigierten Uraufführung seiner Symphonie Nr. 6 h-moll op. 74 in St. Petersburg. Mit der Stadt an der Newa hatte ihn mehr verbunden als mit seinem langjährigen Wohnsitz Moskau. In St. Petersburg ging Tschaikowski ab seinem 10. Lebensjahr zur Schule, hier schlug der 19jährige eine Beamtenlaufbahn ein und besuchte die Rechtsschule, hier absolvierte der außergewöhnlich Begabte auch das Musikstudium. In St. Petersburg fanden die Erstaufführungen von vielen seiner bedeutenden Werke wie der Ballette «Nussknacker» und «Dornröschen», der Oper «Pique Dame» und der Symphonie Nr. 5 statt. Hier wurde er im Herbst 1893 zu Grabe getragen. Auf dem Tichiwiner Friedhof beim Kloster Alexander Newskij befindet sich das Grabmal des Komponisten.

Tschaikowskis Tod so kurz nach der Uraufführung einer im klanglichen Nirwana endenden Symphonie führte zu Gerüchten und Spekulationen. Zwei Varianten kursierten: Tschaikowski habe in der 1893 von einer Choleraepidemie erfassten Stadt mehr oder weniger absichtlich ein Glas ungekochten Wassers getrunken und eine Erkrankung an der Cholera riskiert, der Krankheit, an der auch seine Mutter gestorben war; der homosexuell veranlagte Tschaikowski sei wegen einer sexuellen «Verfehlung» mit dem Sohn eines ehemaligen Mitschülers an der Rechtsschule von einem «Ehrengericht» der Juristen zum Selbstmord aufgefordert worden, um einen Skandal zu vermeiden. Diese Variante wurde noch vor wenigen Jahren wissenschaftlich in den USA breitgetreten und fand sogar Eingang in seriöse Musiklexika.

Beide Varianten bauen aber nur auf Vermutungen auf. Im 19. Jahrhundert ist in Russland kein einziges Gerichtsverfahren gegen einen mehr oder weniger bekannten Homosexuellen aus der Beamtenschaft oder der Künstlerschicht bekannt. Es gibt zudem keinen Hinweis darauf, dass Tschaikowski Kontakt mit dem Sohn eines ehemaligen Mitschülers gehabt habe. Zur Vermeidung eines Skandals hätte es außerdem genügt, dass der am Zarenhof bestens angeschriebene Tschaikowski für kurze Zeit ins Ausland ging, bis die Affäre vergessen sei. Hätte Tschaikowski aber tatsächlich Gift genommen, um der Aufforderung zum Selbstmord nachzukommen, so hätte er innerhalb weniger Stunden nach der Einnahme daran sterben müssen, denn in Russland war damals kein Gift zugänglich, das die Agonie auf Tage verlängerte. Tschaikowskis Krankheitszustand aber dauerte vier Tage, ehe am 6. November des Jahres 1893 der Tod eintrat.

Die Symphonie, der Tschaikowskis Bruder Modest den Titel «Pathétique» verlieh, wirkt wie ein Abgesang auf eine versinkende Epoche. Es ist ein typisches Werk des Fin de Siècle, in dem Vieles von dem verklingt, wovon die Kunst und im Speziellen die Musik in den Jahrzehnten zuvor geprägt wurde. Das lässt sich auch an rein kompositionstechnischen Vorgängen des Werkes nachvollziehen. Verzweifelt versucht sich der erste Satz gegen den drohenden Untergang aufzulehnen, aber alle Versuche müssen in einem fatalen Zusammenbruch enden, da das aus dem Dunkel aufsteigende Hauptthema gar keinen Anfang und kein Ende kennt, also gar keinen Halt finden kann. Im Seitenthema des Kopfsatzes, in dem schon die Trauer des Finales anklingt, erinnert sich Tschaikowski an vergangene romantische Zeiten. Die beiden Mittelsätze wiederum sind Tanzsätze, aber nicht mehr nur von ursprünglicher Kraft erfüllt, sondern zur  Auflösung tendierend. Die Melodik des Finales schließlich befindet sich in einem fortwährenden Zerfallsprozess.

Im Kopfsatz fand Tschaikowski nach dramatischen Ausbrüchen noch zu einem entspannten Ausklang. Den Walzer des zweiten Satzes verschleierte er durch eine Ausweitung des Metrums vom 3/4- zum 5/4-Takt, was den Tanz unwirklich erscheinen lässt. Das Scherzo des dritten Satzes legte Tschaikowski als Perpetuum mobile an, aus dessen Stückwerken sich dann aber ein Marschthema herausschält. Je mehr die im Marsch vereinten Instrumente auftrumpfen, desto stärker kommt der Eindruck auf, sie übertönen bloß die wahren Verhältnisse. Hinter der Fassade des Jubels offenbart sich die Tragik. Über vier Oktaven abwärts rattert das Orchester dem Boden der Wirklichkeit entgegen. Das Finale bestätigt die tragische Situation: Ein erschütterndes Adagio, in dem die Akkorde zerklüftet sind und verloren durch den Raum schwirren. Eine kühne Instrumentierung löst diese Wirkung aus. Zwei verzweifelte Steigerungswellen brechen in sich zusammen. Über dumpfen Kontrabass-Schritten erklingt ein Choral. Im Dunkel, aus dem sie kam, verschwindet die Symphonie.

Die «Symphonie Pathétique» hinterließ bei den Zeitgenossen Tschaikowskis einen tiefen Eindruck. Ihre Dramaturgie blieb nicht ohne Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Gattung. Gustav Mahler etwa, der in seiner Hamburger Kapellmeisterzeit Tschaikowski noch persönlich kennen lernte und später mehrfach die «Pathétique» – so auch während seines Engagements in New York – dirigierte, griff in seiner letzten vollendeten Symphonie, der Neunten, die Satzstellung und den Aufbau von Tschaikowskis Symphonie Nr. 6 auf: Ein epischer Kopfsatz mit mehreren Steigerungswellen und ein Adagio-Abgesang als Finale umschließen zwei Tanzsätze (Ländler und Burleske).

© NÖ Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Rainer Lepuschitz