Archiv: Prélude

Grafenegg Auditorium Auditorium

Interpreten

  • Jugendsinfonieorchester Niederösterreich
  • Peter Stark, Dirigent

Programm

Carl Michael Ziehrer
Weaner Mad'ln, Walzer op. 388

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Richard Wagner

Vorspiel zur Oper «Die Meistersinger von Nürnberg»

Dauer

9 Min.

C-Dur sei die Tonart des Heraufkommens, des Strebens nach oben; sie entspreche dem Frühlingspunkt im Jahreskreis und dem Sonnenaufgang im Tagesrhythmus, also dem Durchbruch des Lichtes: So beschreibt sie der Anthroposoph Hermann Beckh (1875 - 1937) in seinem Buch «Die Sprache der Tonart in der Musik». Richard Wagner wählte C-Dur als harmonisches Zentrum seiner «Meistersinger von Nürnberg». Ursprünglich war das Werk als Satyrspiel, als heitere Antwort auf den ernsten «Tannhäuser» gedacht und wurde schon 1845 konzipiert. Es sollte jedoch weitere 23 Jahre dauern, bis die «Meistersinger» 1868 in München endlich erstmals über die Bühne gehen konnten - nach einem langwierigen Schaffensprozess mit vielen Unterbrechungen zugunsten anderer, großer Pläne: «Lohengrin», «Rheingold» und «Die Walküre» sowie «Tristan und Isolde». Die «Meistersinger» sind das einzige nichtmythologische Werk des reifen Wagner, Hans Sachs ist der historische Anker. Trotz beachtlicher Länge - allein der dritte Aufzug dauert zwei Stunden - hat das Werk rasch den Status einer vergleichsweise leicht zugänglichen Volksoper erlangt, weil sich ihr komplexes Thema ganz fasslich in den handelnden Personen und ihrer Beziehungskonstellation abbildet: Es geht um «Konflikt und Synthese von normativer Kunsttradition und frei schöpferischer Künstler­genialität, von Volksgeist und individueller Inspiration» (Gerhard Dietel).

Nürnberg, Mitte des 16. Jahrhunderts: Der ritterliche Minnesang ist längst bürgerlich geworden, die Handwerker der Stadt pflegen in ihrer Freizeit als Meistersinger Dichtung und Musik - doch droht diese alt­ehrwürdige Gemeinschaft an jenem Staub zu ersticken, der sich auf ihre Gesetze gelegt hat. Veit Pogner ruft einen Wettbewerb aus und will dem siegreichen Meistersinger seine Tochter Eva zur Frau geben. Der ledige Stadtschreiber Beckmesser, für die Einhaltung der Regeln zuständig, ist höchst interessiert, vielleicht auch der Schuster Hans Sachs, ein weiser Witwer. Der wäre Eva wohl recht, gäbe es da nicht den jungen Ritter Walther von Stolzing - Prototyp des genialisch begabten, aber noch nicht voll ausgebildeten Künstlers. Mit Witz und List gelingt es Hans Sachs, Beckmesser aus dem Rennen zu werfen und Walther zum Sieg zu ver­helfen - auch wenn der Schuster selbst dadurch auf sie verzichten muss: Stolzing wird vom versammeltem Volk für sein neuartig kühnes, aber in sich logisches Lied bejubelt und darf Eva glücklich in die Arme fallen. Das zuerst komponierte und bereits 1862 separat aufgeführte Vorspiel nimmt nicht nur die Leitmotive der Oper vorweg, sondern zeigt auch in seiner Verbindung von komplexer Kontrapunktik, orchestralem Pomp und feinsinniger Delikatesse eine spezielle Durchdringung von Tradition und Innovation.

© Grafenegg Kulturbetriebsgesellschaft m.b.H. | Walter Weidringer

Franz Schubert

Symphonie Nr. 7 h-Moll D 759 «Unvollendete»

Sätze

  • Allegro moderato

  • Andante con moto

Dauer

23 Min.

Entstehung

1822

Franz Schubert befand sich wandernd auf der Suche. Oft fand er dabei kein Ziel, brach auf dem Weg Kompositionen ab, ließ sie unfertig, als Entwurf im Ganzen oder unvollständig im Satzzyklus liegen. Das Unvollendete zieht sich durch sein Schaffen. Der berühmt gewordene Beiname der h-moll-Symphonie lässt sich auf viele andere Werke und ihre Entstehungsprozesse übertragen. Auch einzelne Klaviersonaten blieben unvollendet, des Weiteren gibt es einige allein stehende Kammermusiksätze, ein unvollendetes Oratorium («Lazarus») und abgebrochene Opern. Wobei das Unvollendete nicht immer mit dem Unfertigen gleichzusetzen ist, teilweise sah Schubert keine Möglichkeit mehr, innerhalb eines Werkrahmens weiter zu komponieren, weil er an Grenzen der Aussage oder auch der Form gestoßen war. Manchmal könnte man beinahe vom vollendeten Unvollendeten sprechen oder auch von einer vollkommenen Ausführung des Fragmentarischen. «Himmlische Längen» hat Robert Schumann die Summe von Passagen in Werken Schuberts genannt, in denen dieser bei einem Thema, einem Gedanken, einer Stimmung verweilen wollte, um Platz zu schaffen für eine innige Vertiefung bestimmter kompositorischer Bestandteile. In solchen oftmaligen Phasen wird Schuberts Musik unberechenbar expansiv, zieht weite Kreise und mündet nicht selten in einer Ausweglosigkeit, an einem Punkt, an dem es kein Weiter mehr gibt.

Nach den sechs Symphonien der früheren Schaffenszeit, in denen Schubert noch dem klassischen Modell verhaftet war, wenngleich er auch darin schon oft einen unverwechselbaren eigenen Ton fand, machte er sich ab 1820 zu neuen symphonischen Gefilden auf, auf einen neuen symphonischen Weg, den er nach Haydn und Mozart und abweichend von Beethoven einschlagen wollte. Dabei hielt er aber immer wieder inne, getraute sich nicht, weiterzugehen. Skizzen, Entwürfe und Sätze zu drei Symphonien sind aus jener Zeit erhalten, einer in D-Dur, einer in E-Dur, manches davon nur im Klavierentwurf, manches auch schon orchestriert (Felix Mendelssohn Bartholdy und Johannes Brahms erwogen sogar eine Ergänzung des E-Dur-Fragments, haben sie aber dann nicht durchgeführt). Der dritte jener Entwürfe ist die Symphonie in h-moll, die später unter dem Namen «Unvollendete» berühmt wurde und seit ihrer Uraufführung 37 Jahre nach Schuberts Tod durch das Orchester der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zum festen Bestand des symphonischen Repertoires zählt. Denn ihre zwei fertig gestellten Sätze erwiesen sich als eine großartige und in sich vollendete Komposition.

Zu dieser Symphonie existiert auch noch ein Entwurf zu einem dritten Satz, einem Scherzo, den Schubert aber nach wenigen Takten abgebrochen hat. 1825 setzte er dafür zu einer neuen symphonischen Konzeption an, deren Resultat die in klassischer Viersätzigkeit abgeschlossene, so genannte «Große C-Dur-Symphonie» ist. Warum aber hat Schubert die h-moll-Symphonie in den verbleibenden sechs Jahren seines Lebens liegen gelassen, nicht weiterkomponiert und nicht zum damals üblichen, vollständigen symphonischen Zyklus von vier Sätzen ausgeformt? Konnte er den beiden kühnen, monumentalen Sätzen nichts Entsprechendes mehr hinzufügen? Oder wollte er vielleicht auch nicht mehr fortsetzen, weil er irgendwann zu der Überzeugung fand, die beiden Sätze würden bereits ein (ab)geschlossenes symphonisches Ganzes bilden? Insofern erscheint es zumindest wie ein Eingeständnis, dass er die beiden fertigen Sätze 1823 an den Steiermärkischen Musikverein in Graz, der ihn zu ihrem Ehrenmitglied ernannt hatte, als «eine meiner Symphonien» schickte. Er hätte dieser Institution wohl kein Werk zukommen lassen, von dessen Qualität – und Aufführbarkeit – er nicht überzeugt gewesen wäre. Aber in Graz wusste man mit dem scheinbaren Torso wohl auch nicht allzu viel anzufangen. Und so dauerte es eben noch viele Jahre bis nach Schuberts Tod, bis die Symphonie, deren Partitur auf Umwegen von Graz an die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien gelangt war, schließlich aufgeführt wurde.

So populär diese Symphonie geworden ist und so vertraut ihre Themen klingen, so sehr überrascht dennoch bei jedem Mal Hören wieder ihre Kühnheit, ihre Unvermitteltheit und ihre Unkonventionalität. Es ist Existentialismus in Tönen, wie Schubert die Themen der beiden Sätze, die alle von zarter, lyrischer oder zumindest nur leiser Beschaffenheit sind, immer wieder schonungslosen, abrupt einsetzenden Akkorden, Klangflächen und Blöcken im Fortissimo aussetzt. Die Melodien prallen förmlich an diesen Massiven ab und werden in ihrer Weiterentwicklung gestoppt. So als sollte das melodienselige, liedhafte, poetische Naturell, von dem Schubert immer erfüllt war, von einer symphonischen Macht bezwungen werden.

Die Einleitungstakte mit einem leise auf- und absteigenden Motiv in den Celli und Kontrabässen kündigen das Bedrohliche schon an – tatsächlich taucht dieses Motiv dann in der Durchführung und in der Koda mit voller Wucht im ganzen Orchester auf: Die Gefahr, die dem Motiv innewohnt, bricht hier aus. Auf die düstere Einleitung folgt eine nicht minder unheimliche, schattenhafte Bewegung in den Streichern, die sich bald als Begleitung des ersten Themas herausstellt, das ganz unschuldig und wie eine innige Liedmelodie ohne Worte von Oboe und Klarinette angestimmt wird. Doch bald wird das Thema in den Sog einer Steigerung gezogen und geht in einem Fortissimo-Ausbruch unter. Stimmungswechsel: Die Streicher heben mit einer eingängigen Ländlermelodie zu einer volkstümlichen Zusammenkunft an. Dann bricht dieses Seitenthema plötzlich ab. Und alles scheint zu verlöschen: nicht nur die Melodie, auch ihr Rhythmus, der Pulsschlag, der Herzschlag der Musik. Die Zeit steht still. In diesen unerhörten Moment brechen gewaltige, unstrukturierte Sforzato-Akkordschläge des ganzen Orchesters hinein. Erst allmählich kann sich die Musik von diesem Schock erholen, aus Fragmenten des Seitenthemas stellen die hohen und tiefen Streicher im Wechselspiel wieder so etwas wie Bewegung her. Am Beginn der Durchführung nimmt die Grundthematik des Satzes verzweifelte Züge an, Angst wird spürbar, drückt sich in Aufschreien aus – und erfährt im unbarmherzigen Einsatz des ganzen Orchesters mit dem Hauptthema ihre Berechtigung. Auch im weiteren Verlauf des Satzes ändert sich nichts an der Situation: Die melodischen Themen können sich nie unbeschwert entfalten und nie bei sich bleiben, sondern sind immer bedroht von den dazwischenfahrenden Orchesterschlägen.

Allegro moderato steht über dem ersten Satz, Andante con moto über dem zweiten – die beiden Sätze sind also im Tempo nicht wirklich stark voneinander abgesetzt, vielmehr bedingen sie einander, sind die zwei Seiten einer Medaille. Auch die fragilen, schwebenden und den Themen des ersten Satzes innerlich verwandten Melodien des zweiten Satzes sind latent gefährdet. Unaufhaltsam marschieren immer wieder massive Akkordfolgen und Thementeile auf und setzen der Melodik zu. Am Ende gelingt aber doch das Wunder einer Wendung ins Tröstliche. Die Thematik wandelt sich in leise Hymnik und wird durch harmonische Wechsel entrückt.Noch ein Wort zur Zählung und Nummerierung von Schuberts letzten Symphonien. Johannes Brahms, der eine gesamte Druckausgabe betreute, reihte zunächst alle viersätzigen, also der Regel nach vollendeten Symphonien von Nummer 1 bis 7, die unvollendete h-moll-Symphonie stellte er als Nr. 8 an den Schluss, obwohl sie früher entstand, als die an 7. Stelle gereihte «Große C-Dur-Symphonie». Lange Zeit hatte diese Reihung Gültigkeit. Dann gab es eine Phase, in der die «Große C-Dur-Symphonie» als letzte Symphonie an die Nr. 9 gestellt wurde und die Nr. 7 für die so genannte «Gasteiner Symphonie» reserviert wurde, die Schubert angeblich auf einer Reise nach Salzburg komponiert hatte. Als sich diese Symphonie als eine Fälschung und eine Schimäre herausstellte und die «Große C-Dur-Symphonie» als jenes Werk erkannt wurde, an der Schubert auch während der besagten Reise arbeitete, wurde die heute gültige Reihung vorgenommen: Dem Zeitpunkt ihrer Entstehung nach ist die «Unvollendete» nun als Nr. 7 und die «Große C-Dur-Symphonie» als Nummer 8 gereiht.

© NÖ Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Rainer Lepuschitz