Matinee | Ruth Brauer-Kvam und Lawrence Foster

Grafenegg Auditorium Auditorium

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Interpreten

  • Ruth Brauer-Kvam, Rezitation
  • Lawrence Foster, Dirigent

Programm

Michael Tilson Thomas
«Aus dem Tagebuch der Anne Frank»
- Pause -
Ludwig van Beethoven

Kaum ein «unbekanntes» Opfer der Shoah ist so bekannt geworden wie Anne Frank: Ihre bewegenden Tagebuchaufzeichnungen verleihen bis heute dem schier unbegreiflichen Schicksal von mehr als sechs Millionen Ermordeten Ausdruck . Michael Tilson Thomas hat Auszüge daraus für Sprechstimme und Orchester komponiert; Ruth Brauer-Kvam ist die Sprecherin der österreichischen Erstaufführung. Dazu passt Samuel Barbers «Adagio for Strings», eine der berühmtesten Trauermusiken der Welt, entstanden in St. Wolfgang im Salzkammergut als langsamer Satz eines Streichquartetts am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Lawrence Foster und das Tonkünstler-Orchester balancieren den ergreifenden Ernst durch Ludwig van Beethovens Achte aus, seine wahrscheinlich humorvollste Symphonie und ein doppelbödiges Spiel mit Traditionen und Erwartungen.

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Samuel Barber

Adagio aus dem Streichquartett op. 11 (Bearbeitung für Streichorchester)

Sätze

  • Molto adagio

Dauer

8 Min.

Entstehung

1936/38

Samuel Barbers Adagio für Streichorchester ist das Werk, mit dem er über alle Genre-Grenzen hinweg Berühmtheit erlangte. Der amerikanische Komponist Ned Rorem schrieb anerkennend: «Während Sie dies lesen, wird garantiert irgendwo auf der Welt Barbers Adagio for Strings aufgeführt. Das Adagio ist sicherlich das meistgespielte Stück ‚ernster’ amerikanischer Musik und räumt mit zwei gängigen Vorurteilen auf: dass Populäres immer minderwertig ist und dass das Neue stets das Alte übertrifft.» Der Komponist selbst blickte eher missmutig auf den Erfolg gerade dieses einen Stückes – immerhin blieben andere, in seinen eigenen Augen wichtigere Kompositionen stets im Schatten des Adagios. Die Geschichte des so einprägsamen Werkes ist schnell erzählt: Barber hatte 1936 während seiner Sommerferien mit Gian Carlo Menotti in Italien ein Streichquartett komponiert – sein Opus 11. Ein Jahr später bat Arturo Toscanini seinen Dirigentenkollegen Artur Rodzinski, damals Chefdirigent des Cleveland Orchestra, um einige Werke amerikanischer Komponisten, die er dirigieren wollte. 1937 hatte die NBC extra für Toscanini das NBC Symphony Orchestra gegründet, um dem gestrengen Dirigenten im Exil eine musikalische Heimat zu geben. Rodzinski empfahl den jungen Samuel Barber. Der wiederum sandte, vom Interesse des damals weltberühmten Toscanini begeis-tert, zwei Werke an Toscanini – die jener wortlos nach ein paar Monaten zurückschicken ließ. Es waren das «Essay Nr. 1» für Orchester und das Adagio für Streichorchester, ein Arrangement des langsamen Satzes seines Streichquartetts op. 11. Der enttäuschte Barber begann daraufhin, sich um einen anderen Dirigenten für die Uraufführung seines Adagios umzusehen. Im Sommer 1938 weilten Barber und Menotti erneut in Italien, diesmal am Lago Maggiore, wo sich auch Arturo Toscanini aufhielt. Dieser lud Menotti mit Begleiter zu sich ein, doch Barber blieb wegen einer angeblichen Erkältung fern. Toscanini antwortete dem entschuldigenden Menotti nur: «Oh, es geht ihm gewiss ausgezeichnet. Er ist nur böse, aber er hat keinen Grund dazu; ich werde seine beiden Stücke dirigieren.» Und tatsächlich setzte Toscanini für sein Rundfunkkonzert am 5. November 1938, das ein paar Millionen Amerikaner an den Radiogeräten verfolgten, Barbers «Essay» und das Adagio auf das Programm. Die Partituren sah Toscanini erst am Tag vor der ersten Probe wieder: Er hatte beide Werke bereits Monate zuvor, als er die Werke vom Komponisten erhalten hatte, gründlich studiert und auswendig gelernt. Der erfolgreichen Premiere folgten rasch weitere Aufführungen, Toscanini führte das Werk sogar auf Tournee auf.

1967 setzte Barber das Adagio als Agnus Dei für Chor. Bis heute gilt die knapp achtminütige Komposition als eindringliche Trauermusik: Schon 1945 wurde das Adagio bei der Radio-Bekanntmachung des Todes des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelts gespielt, später dann etwa bei den Begräbnissen von Albert Einstein, der monegassischen Fürstin Gracia Patricia oder Leonard Bernstein. In Film, Fernsehen, bei traurigen Anlässen und Gedenkfeiern: Überall scheint gerade dieses Musikstück perfekt zu passen. Der amerikanische Komponist und Pianist Rob Kapilow meint dazu, es repräsentiere alle Stadien, die Begräbnisfeierlichkeiten umspannen: «Es beginnt in unglaublicher Traurigkeit, steigert sich zu einem intensiven Höhepunkt und erreicht dann diese Art der Akzeptanz, die vollständig angebracht ist für diese Gelegenheit.» Die schlichte Bauart des Adagios tritt in der Quartettversion deutlich klarer zutage, während in der Streichorchesterfassung die Klangdichte die recht einfache Struktur stärker verschleiert. Ein schlichtes Dreiton-Motiv kehrt sequenzartig ständig wieder, wird erweitert, gesteigert und scheint schließlich zu einer einzigen, großen Melodie zu verschmelzen, bis es am Höhepunkt abbricht, nach einer Generalpause in einen knappen Abgesang mündet und schließlich ruhig verklingt.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Markus Hennerfeind

Ludwig van Beethoven

Symphonie Nr. 8 F-Dur op. 93

Sätze

  • Allegro vivace e con brio

  • Allegretto scherzando

  • Tempo di Menuetto

  • Allegro vivace

Dauer

27 Min.

Entstehung

1812

Die Symphonie Nr. 8 F-Dur op. 93 ist Ludwig van Beethovens kürzeste Symphonie. Nach den Vorstößen in vollkommen neue symphonische Gefilde besonders mit den Symphonien Nr. 3, 5 und 7 erscheint die Achte wie eine Rückbesinnung auf ein klassisches Grundmodell und auf Haydn. Das kompakte Werk ist allerdings hochexplosiv und enthält neuartige Substrate, die für das weitere Gedeihen der Gattung Wirkung zeigten. Viele Skizzen zum ersten Satz weisen auf eine ursprüngliche Konzeption als Klavierkonzert hin. Irgendwann schwenkte Beethoven aber zur Symphonie um, die er hauptsächlich im Sommer und Herbst des Jahres 1812 komponierte. In Linz, wo sich Beethoven in Familienangelegenheiten wegen seines Bruders Johann aufhielt, begann er offenbar mit der Niederschrift der Partitur der weitgehend fertig skizzierten Symphonie. Jedenfalls findet sich auf der Originalhandschrift der Hinweis «Sinfonia Lintz im Monath October 1812».

Keine andere Symphonie Beethovens, ja kaum ein anderes symphonisches Werk beginnt derart unvermittelt, ohne Einleitung und jede Vorbereitung. Das ganze Orchester fällt mit dem Hauptthema in den ersten drei Takten mit der Tür ins Haus. Nach einem kurzen Atemholen in den Holzbläsern und Hörnern breitet sich das Thema mit langgezogenen Punktierten und großen Intervallsprüngen aus. Auch das Seitenthema hat durch seinen synkopischen Anfang etwas Drängendes an sich und mündet nach zahlreichen Sforzato-Akkorden in einer von Punktierten und Oktavsprüngen angetriebenen Schlussgruppe. Nach der siebten Symphonie, in der Beethoven die Kraft des Rhythmischen an sich thematisierte, setzte er sich in der folgenden achten Symphonie mit rhythmischen Phänomenen auseinander. Der erste und der dritte Satz stehen im ungeraden Dreivierteltakt, der zweite und der vierte Satz im geraden Zweiviertel- bzw. Alla-breve-Takt. Das Tänzerische, das in der Siebten zur «Apotheose» (Richard Wagner) wurde, spielt auch in der Achten eine maßgebliche Rolle, wird dabei aber überzeichnet und gerät mitunter zur Parodie.

Der Komponist spielt mit herkömmlichen Hörerwartungen, die er in den vier Sätzen immer wieder mit überraschenden Gegenbewegungen durchkreuzt ? worin er diesbezüglichen Unternehmungen des für ihn beispielhaften Symphonikers Joseph Haydn folgt. Im Kopfsatz, Allegro vivace, wird die Betonung in den Steigerungen des Hauptthemas in der Durchführung und in der Coda auf den zweiten und dritten Taktteil verlagert, womit dem Thema droht, aus der Bahn geworfen zu werden. Am Ende fixiert es Beethoven aber dann durch mehrere simple Dreier-Akkordfolgen im gesicherten Metrum. Im Pianissimo kann sich das Thema aus dem Satz drehen und verschwindet so abrupt, wie es aufgetaucht ist. Für einen langsamen Satz besteht in diesem Werk kein Platz. Im folgenden zweiten Satz, einem Allegretto scherzando, wurde in den gleichbleibenden, im Staccato tickenden Sechzehntel-Noten eine Parodie Ludwig van Beethovens auf das von seinem Zeitgenossen Johann Nepomuk Mälzel erfundene Metronom vermutet, was aber nicht den historischen Fakten entspricht, da das Metronom erst 1815, also mehrere Jahre nach der Komposition der Symphonie, funktionstüchtig war. Beethoven widmet sich in diesem Satz vielmehr allgemein und mit Augenzwinkern dem Taktschlagen in der Musik und den Irritationen durch unerwartete Wendungen. Das metrische Ticken gerät mehrmals aus den Fugen oder mündet in heftigen Schüttelanfällen, verursacht durch Vierundsechzigstel-Noten in den Streichern.

Im dritten, Tempo di Menuetto überschriebenen Satz kehrt Beethoven zum klassischen Menuett zurück, aber nicht etwa, um diesem zu seiner Zeit schon altmodischen Tanz zu huldigen, sondern um sich mit ihm einen Spaß zu erlauben. Damit es nicht aus dem Tritt kommt, muss sich das ergraute Tänzchen ganz stur am Metrum festhalten. Der sichere Grundschritt wird ständig überbetont. Am Ende setzen die Holzbläser aber doch zu früh ein und bringen das Menuett ins Wanken. Der im Trio folgende Ländler kann sich auch nicht ganz ungestört entfalten - permanent versetzen ihn nervöse Achtel-Triolen in den Violoncelli in Unruhe und treiben ihn an. Im Finale, Allegro vivace, treibt Beethoven das Scherzen auf die Spitze. In das auf leisen Sohlen dahinhuschende Hauptthema fährt zwischendurch im Fortissimo das ganze Orchester drein. Das Fagott und die Pauke treten der Masse aber mutig mit behänden Oktavsprüngen entgegen und lösen einen motorischen Wettlauf aus, der in martialischen Episoden und schließlich in einer aberwitzigen Koda mündet. Virtuose Tonskalen, hüpfende Akkorde und vehemente Orchesterschläge gaukeln einen triumphalen Abschluss vor. Die symphonische Wirklichkeit aber ist hier schwarzer Humor.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Rainer Lepuschitz