Mendelssohn & Bruckner

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

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    im Abo erhältlich

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    Das Konzert ist zur Zeit exklusiv im Abo erhältlich, der allgemeine Verkauf startet am 4. September 2024.

Interpreten

  • Kirill Maximov Nezalizov, Violine
  • Kateryna Diadiura, Klavier
  • Jakob Lehmann, Dirigent

Programm

So gut wie über Nacht ist der deutsche Dirigent Jakob Lehmann beim Brucknerfest Linz 2022 eingesprungen – und das mit einem anspruchsvollen Raritätenprogramm mit Werken von den Nazis verfemter Komponisten. Lehmanns souveräne Leistung damals bringt ihn nun planmäßig ans Pult der Tonkünstler zurück – mit vergleichsweise bekannterem, aber doch auch ungewöhnlichem Repertoire. In Felix Mendelssohns Doppelkonzert treten Kirill Maximov und Kateryna Diadiura an der Violine und am Klavier in subtile Dialoge miteinander und mit dem Orchester. Dazu Anton Bruckners ungestüme, packende Zweite, die seine Selbstfindung als Symphoniker markiert.

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Felix Mendelssohn Bartholdy

Konzert für Violine, Klavier und Streichorchester d-Moll

Sätze

  • Allegro

  • Adagio

  • Allegro molto

Dauer

38 Min.
Anton Bruckner

Symphonie Nr. 2 c-Moll

Sätze

  • Moderato

  • Andante (Feierlich, etwas bewegt)

  • Scherzo (Mäßig schnell)

  • Finale (Mehr schnell)

Dauer

65 Min.

Anton Bruckner nahm allen seinen Mut zusammen und mietete sich mit großzügiger finanzieller Unterstützung des Fürsten von Liechtenstein die Wiener Philharmoniker für eine Aufführung seiner Symphonie Nr. 2 c-moll. Das war im Herbst 1873. Im Jahr davor noch hatten die Philharmoniker und ihr Dirigent Otto Desoff nach einer Durchspielprobe das Werk als «unspielbar» abgelehnt. Nun aber schien es unter Bruckners eigener Leitung sehr gut zu laufen, denn nach gründlicher Probenarbeit errang das Werk am 26. Oktober 1873 bei seiner Uraufführung im Wiener Musikverein einen durchschlagenden Publikumserfolg. Der Musikkritiker Eduard Hanslick, der später Bruckners Musik erbarmungslos ablehnte, berichtete damals in der Neuen Freien Presse sogar von einer «geradezu enthusiastischen» Aufnahme der Symphonie und beschrieb sie zum Teil noch anerkennend als ein «in größten Dimensionen ausgeführtes Tonwerk, welchem ein sehr ernster, pathetischer Charakter ebenso wenig abzusprechen ist, als zahlreiche schöne, bedeutende Einzelheiten». Der in Europas Metropolen Paris und London als Orgelvirtuose gefeierte Bruckner, in Wien seit mehreren Jahren als Professor für Harmonielehre und Kontrapunkt am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde tätig, registrierte sicher nicht ohne Stolz, dass er auch in der Musikmetropole Wien die Anerkennung als eine herausragende Musikerpersönlichkeit geschafft hatte, und zwar als Komponist, stand neben der 2. Symphonie doch auch die erfolgreiche Uraufführung der f-moll-Messe im Jahr davor zu Buche. Bruckner konnte nicht ahnen, dass diese Stadt noch so viele Niederlagen und bittere Stunden für ihn vorbereitet hatte, die den Komponisten in lange Phasen kreativer Verunsicherung und Selbstzweifel stürzte.

Mit allzu großem Selbstbewusstsein war Bruckner ohnedies nie ausgestattet, auch nach der Aufführung der 2. Symphonie ließ er sich, nach Hinweisen sogar von engen Vertrauten auf gewisse Überlängen und Unspielbarkeiten des Werkes, zu einer Umarbeitung hinreißen. Nach der Aufführung dieser Version im Februar 1876 wieder unter Bruckners Leitung in Wien arbeitete er die Symphonie neuerlich um. In dieser Letztfassung erklingt die Symphonie im heutigen Konzert, mit Ausnahme des Schlusses des langsamen Satzes, bei dem Dirigent Jeffrey Tate auf die Horn-Version der ersten Fassung zurückgreift. Mit den Revisionen der 2. Symphonie begann jedenfalls für Bruckner der lange, beschwerliche Weg des Umarbeitens fast aller seiner Symphonien, die ihn oft jahrelang beschäftigte und die Weiterarbeit an seinen neuen Werken verhinderte. Ihr Premierenerfolg verhalf der 2. Symphonie keineswegs zum Durchbruch, im Gegenteil, sie ist noch heute die in Konzertprogrammen am wenigsten berücksichtigte Symphonie Bruckners. Dabei sind in ihr schon alle Merkmale des großen Symphonikers auf eindrucksvolle Weise veranlagt, sowohl in ihrer weitgespannt dimensionierten Form als auch mit ihrer speziellen Charakteristik des Ausdrucks. Auch wenn Kritiker Hanslick den pathetischen Ernst des Werkes herausstrich, so können wir heute rückblickend und vergleichend mit den anderen Symphonien Bruckners feststellen, dass die Zweite seine lyrischste und sanglichste ist. Bruckner war davor sehr stark mit der Komposition von Vokalwerken – seinen drei großen Messen – beschäftigt, sein melodiöses Denken war offenbar noch deutlich davon geprägt. Erst in der Siebten Symphonie, mit der Bruckner dann noch viel größere persönliche Erfolge erringen konnte, schlug er wieder einen solch lyrisch-kantablen Ton an.

Der erste Satz

Erstmals beginnt Bruckner eine Symphonie mit jener Art «Urnebel», der auch über dem Beginn einiger seiner folgenden Symphonien (4., 7., 8., 9.) liegt. Das Vorbild von Beethovens Neunter Symphonie, die Musik aus einem unbestimmbaren leisen Klang, faktisch aus der Stille herauswachsen zu lassen, ist offensichtlich, zumal auch Bruckner in der Zweiten, wie Beethoven, das Tremolo in Sextolen notiert. Die Celli stimmen dann eine sehnsuchtsvolle Kantilene an, deren ab- und aufsteigende Halbtöne am Beginn zum Urmotiv für die gesamte Symphonie werden: Von der Spannung des Halbtons gehen auch das zweite Thema des Andantes, das Scherzothema, das Triothema sowie im Finale die Begleitung des Hauptthemas und das Seitenthema aus.

Mitten in die Entwicklung des Hauptthemas klingt im ersten Satz, wie aus einer anderen Richtung, ein punktiertes Trompetensignal hinein. Dieses Signal trägt eine für Bruckners Gesamtwerk typische Eigenschaft in sich: Die Kombination von geradtaktigem und ungeradtaktigem Metrum. Innerhalb der Zweiten Symphonie kommt dem Signal in den Ecksätzen eine programmatische Funktion zu und es mündet schließlich, massiv instrumentiert, in der Koda im Finale. Das Signal ist durch sein Beharren auf einem einzigen Ton der Kontrapunkt zum Melodienreichtum der Symphonie.

Die Überlagerung von Trompetensignal und Hauptthemenverlauf im ersten Abschnitt des Kopfsatzes erzeugt einen Eindruck, als ob die Musik aus zwei verschiedenen räumlichen Bereichen erklingt. Auch das ist bezeichnend für das Komponieren Bruckners: Er schafft verschiedene Klangräume, sowohl durch die Gegenüberstellung verschiedener Orchesterregister als auch durch die Übereinanderstellung von gegensätzlichen Motiven. Dieses klangräumliche Denken äußert sich aber auch in Generalpausen und oftmals wiederholten Sequenzen von eigentlich schon abgespielten Themenabschnitten, womit Bruckner immer wieder Ausschwingphasen schafft.

Das Seitenthema des Kopfsatzes tritt mit einer Besonderheit in Erscheinung: Es besteht eigentlich aus zwei verschiedenen Themen. Zunächst beginnen die Violinen mit einem beschaulich wogenden Motiv, in das dann die Celli mit einer aufsteigenden Kantilene hineinwachsen. Diese «Doppelthematik» taucht wieder im Seitenthema auch im Finale auf.Bruckner dachte in großen formalen Dimensionen, also ließ er dem Seitenthema ein drittes Thema folgen, das von einem rollenden Streichermotiv angetrieben wird (und wie eine Vorstufe zum dritten Thema im Kopfsatz der Siebten Symphonie erscheint). Die Bewegung mündet im markanten Rhythmus des Trompetensignals. Als besinnlichen Epilog fügt Bruckner den drei Themen noch eine einsame Melodie hinzu, die durch alle Holzbläser und auf einem weichen Streicherteppich mit Choralmusterung wandert.

In der folgenden Themendurchführung wird das Trompetensignal zum verbindenden Element zwischen der dramatischen Engführung des Hauptmotivs und den Begleitfloskeln des dritten Themas. Dessen Intervallsprünge zeigen auch eine Verbindung zum folgenden Seitenthema an.

Nach einer Reprise aller Themen kommt es in der Koda zu einer rührenden Szene: Zwischen dem nun von allen Blechbläsern geschmetterten Signalmotiv und den rasenden Streicherfiguren erklingt plötzlich ganz leise in den Celli das Hauptthema – wie ein Hilferuf.

Der zweite Satz

Im Andante sind zwei wunderschöne Melodieblöcke gegenübergestellt, eingebettet in feierliche Harmonik. Das erste Thema wird vom Streicherchor «gesungen», das zweite vom Horn angestimmt. Im mehrfachen Wechsel der Themen steigert Bruckner die Intensität des Ausdrucks und schließlich auch der Dynamik, wenn er einen edel schreitenden Höhepunkt ansteuert, von dem die Musik dann in kammermusikalische Intimität (Flöte- und Violinsolo) zurücksinkt. Zwischen den beiden Themenblöcken erinnert Bruckner mit Zitaten aus dem Benedictus an seine kurz vor der Symphonie uraufgeführte f-moll-Messe, bringt also einen sakralen Aspekt in das Werk ein, der dann im Finale eine noch stärkere Bedeutung erlangt.

Das Scherzo und das Trio

Davor rauscht aber in ganz irdischen Regionen, auf dem ländlichen ländlerischen Tanzparkett, das Scherzo mit seinem stampfenden Grundmotiv ab. In der traumhaften Violamelodie des Trios knüpft Bruckner aber an die sehnsuchtsvolle Stimmung des Hauptthemas aus dem ersten Satz an, wobei auch im Trio die Melodie aus einem Tremolonebel hervorwächst. Dem Scherzo-Da-Capo setzte Bruckner noch eine gewaltige Koda mit wildem Pauken- und Bläserritt drauf. Im stampfenden Rhythmus und der scharfen harmonischen Schichtung ist hier schon das Scherzo der Neunten Symphonie zu erahnen.

Das Finale

Kreisende und springende Bewegungen eröffnen das Finale und nähern sich dem Hauptmotiv, dessen zuckender Triolen-Einstieg, vom ganzen Orchester angestimmt, zu einem markanten Motiv des gesamten Satzes wird. Das beschauliche Seitenthema – erneut fühlt man sich in ländliche (ober-)österreichische Regionen versetzt – erhält wieder eine zweite, stimmungsvolle Themenschicht. Unvermittelt setzt die monumentale Schlussgruppe ein, deren erste Welle vom Triolenmotiv des Hauptthemas angetrieben wird, das schließlich als Bruchstück in den Trompeten übrigbleibt. Die zweite Steigerungswelle mündet im Rhythmus des Trompetensignals. Nun geschieht etwas Außergewöhnliches: Bruckner verlässt gewissermaßen die Symphonie und betritt exterritoriales Gelände. Er baut aus Anklängen an das Kyrie der f-moll-Messe einen berührenden Choral auf, der von den Streichern in die Holzbläser schwebt und in einer Flötenskala ausläuft. Noch zwei Mal taucht Bruckner im Verlauf des Finales in den sakralen Raum ein: In der Durchführung steigt in den Violinen und Bratschen plötzlich das Hauptthema des ersten Satzes als Choral hervor; und vor der Koda kehren die Streicher und Blechbläser noch einmal vor den Altar der Messe zurück, um sich Kraft im Glauben zu holen, nachdem das irdische Triolenmotiv zum illusionslosen Stückwerk zerfiel. Das Hauptthema des ersten Satzes wird aber auch noch in die heftigen Auseinandersetzungen dieses Finalsatzes verstrickt und verhaucht dann ganz leise in Oboe und Celli, bevor in der Schlusssteigerung der Durchbruch des Werkes ins Licht und nach C-Dur gelingt.

© Rainer Lepuschitz | NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H.