Mozart & Brahms

London Cadogan Hall Cadogan Hall

Details und Tickets

  1. London Cadogan Hall Cadogan Hall

Interpreten

  • Yeol Eum Son, Klavier
  • Yutaka Sado, Dirigent

Programm

Yeol Eum Son delighted the audience with Wolfgang Amadeus Mozart’s demonic D minor Piano Concerto K. 466 at the Grafenegg Festival 2018. Now the Korean pianist returns to the Tonkunstler for the composer’s delightful counter-work. The C major concerto K. 467 announces itself with a march that seems to trip away on tiptoes, beguiles the listener with a dreamily other-wordly andante and, in the finale, invites us to dance. Yutaka Sado and his orchestra bookend it with two tension-filled symphonies: Jean Sibelius’s Seventh offers enormous contrast in a single great movement, and Johannes Brahms’s First pushes from fateful C minor into radiant C major – the composer’s breakthrough as a symphonist.

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Jean Sibelius

Symphonie Nr. 7 op. 105

Dauer

21 Min.

Entstehung

1924

Die Lebensjahre von Jean Sibelius fallen in eine Zeit, als sich die Welt ständig selbst neu erfand. In Sibelius' Geburtsjahr 1865 wurde Wagners «Tristan und Isolde» uraufgeführt, wenige Tage nach seinem Tod 1957 sandte die Raumsonde Sputnik 1 ihre ersten Radiosignale zur Erde. Dazwischen lagen zwei Weltkriege, der Zerfall des alten und die Anfänge des modernen Europas. Auch in der Musik war kaum ein Stein auf dem anderen geblieben: Während seines Wiener Studienjahres 1890/91 brannte der junge Sibelius für Anton Bruckner und stand Johannes Brahms skeptisch gegenüber - als er rund 40 Jahre später die Komponistenfeder endgültig weglegte, war die Zweite Wiener Schule längst begründet worden, Igor Strawinski hatte die Musikwelt gehörig durchgewirbelt, und der junge Olivier Messiaen hatte sich mit ersten Werken vorgestellt.

Dass Sibelius seinen Ruhestand rund 30 Jahre lang auskosten konnte und damit auch Karlheinz Stockhausen, Pierre Boulez und John Cage erlebte, machte ihn zur «lebenden Legende». Freilich war Sibelius da nur mehr ein schweigender Beobachter und hatte sich aus dem internationalen Musikbetrieb schon längst zurückgezogen. Er gehört zur letzten Generation der großen Romantiker und den ersten Mitgestaltern der Moderne - nur um von der Zeit selbst eingeholt zu werden, als «eine Erscheinung aus den Wäldern», wie er grüblerisch mutmaßte. Dabei provozierte seine Musik Beurteilungen, die kaum gegensätzlicher hätten ausfallen können und gar nicht notwendigerweise ihm selbst galten, sondern unterschiedlichen Standpunkten in einem sich zuspitzenden Prozess geschuldet waren. Während manche seine Musik als hoffnungslos rückständig ansahen, begeisterten sich Vertreter der sogenannten Spektralmusik in den 1980er- und 1990er-Jahren für seine ausgeklügelten und noch unerforschten Klangkonstellationen. Die welt- und musikhistorische Kulisse sowie sein überreiches OEuvre machen Jean Sibelius jedenfalls zu einer der interessantesten Musikerpersönlichkeiten des 19. und 20. Jahrhunderts.

Insgesamt komponierte Sibelius acht Symphonien; und doch ist die Symphonie Nr. 7 seine letzte. Ihr Nachfolgewerk gab er nie heraus und verbrannte es in den frühen 1940er-Jahren. Damit sind die symphonische Dichtung «Tapiola» (Uraufführung 1926) und die Siebente (Uraufführung 1924) die beiden letzten großen Orchesterwerke des Komponisten, der seine Heimat Finnland endgültig auf die große Weltkarte der Musik gesetzt hatte. Von der ersten bis zur sechsten Symphonie spannt sich ein großer Bogen, in dem sich Sibelius auf vielfache Weise verwirklichte. Waren die ersten beiden temperamentvolle Geniestreiche, zeigte sich Sibelius mit seiner dritten Symphonie als humorvoller Klassizist - um mit der Vierten «per aspera ad astra» («durch das Dunkel zu den Sternen») zu gehen. Die fünfte Symphonie wurde ein sonnengereiftes Freudenfest, die sechste ein geheimnisvolles, liebliches Idyll.

Über den Symphonien lässt sich ein großes gedankliches Thema ausmachen, nämlich Sibelius' intensive Beschäftigung mit der äußeren Form und dem inneren Gehalt - diese beiden Dinge waren für ihn eng verbunden, ja sie bedingten einander. Die Musik von Sibelius weist so gut wie immer einen organischen und nachvollziehbaren Wachstumsprozess auf: Es ist ein Keimen und Sprießen, in der sich das Neue aus dem Vorangegangenen ergibt. Und weil nicht jedes Wachstum auf gleiche Weise verläuft, war es für Sibelius nur naheliegend, nicht immer die gleichen Mittel zu wählen, um sich seiner selbstgestellten Aufgabe zu nähern. So finden sich bei ihm auch zwei dreisätzige Symphonien unter seinen sonst viersätzigen Werken dieser Gattung. Mit dem Bestreben, die Musik ständig entstehen und keimen zu lassen, steht Sibelius in einer symphonischen Tradition, zu deren Vertretern in mancher Hinsicht unter anderem Franz Schubert und Anton Bruckner zählen.

Schon entlang des Entstehungsprozesses der Symphonie Nr. 7 C-Dur op. 105 kann man das Denken von Sibelius gut nachvollziehen. Die ersten Ideen reichen zurück in die Jahre 1913/14, was die Symphonie zum ungleichen Schwesterwerk der Sechsten macht. Dann ist 1918 in einem Brief von Sibelius zu lesen: «Meine neuen Werke - zum Teil schon skizziert und im Plan fertig [...] Die Siebente Sinfonie: Freude des Lebens und Vitalität, mit appassionato Passagen.» Nach Abschluss der Sechsten konzentrierte er sich auf seine neue Symphonie - doch die Stimmung hatte sich dramatisch verdüstert: «... Wie unendlich tragisch ist doch das Schicksal eines alternden Tonsetzers! Es geht nicht mehr mit der gleichen Geschwindigkeit wie früher, und die Selbstkritik wächst ins Unmögliche.» Mehr als einmal in seinem Leben gelang es ihm, sich wieder einzufangen und aufzurichten - so auch hier. Anfang der 1920er-Jahre existierte die Symphonie Nr. 7 in einer viersätzigen Fassung; doch ab Sommer 1923 ging Sibelius den radikalen Schritt und konstruierte seine Symphonie als einsätzigen Monolith.

Bis heute herrscht keine Einigkeit darüber, wie das innere Wesen des Werks beschaffen ist. Sind es drei, vier oder doch mehr Teile? Gehen sie ineinander über oder überlagern sie sich? Ist das Thema die aufsteigende Skala zu Beginn, die pastorale Melodie danach oder letztlich doch das wiederkehrende, majestätische Motiv der Blechbläser? Jeder dieser Ansätze hat Verfechter und Kritiker. Letztlich bewegt man sich beim Versuch, diesem Werk mit herkömmlichen Begriffen und tradierten Systemen beizukommen, auf unsicherem Terrain. Diese Symphonie entzieht sich all dem - sie ist eine Welt für sich. Am ehesten noch könnte man sich so etwas wie «tektonische Verschiebungen» vorstellen, die sich unter den vielfältigen Musikphänomenen im Orchester abspielen: die aufsteigende Skala in einer alten Kirchentonart (Modus) zu Beginn führt am Ziel schon zum ersten von vielen harmonischen Flüssen. Kreiselnde Melodiestücke verdichten sich in schillernden Farben, um wieder in den Humus einzusickern, aus dem ständig neue Gedanken keimen. Alles ist so faszinierend verwoben, dass man sich dem Sog unmöglich entziehen kann. Man spürt, dass hier eine große, ja riesige Idee beschworen wird, die ihre geheime Ordnung nicht preisgibt. Sibelius sagte über seine Siebente: «Der Fluss entsteht aus zahllosen Zuflüssen, die alle ihren Weg suchen... die den Fluss bilden, bevor er breit und majestätisch dem Meer entgegenflutet. Der Strom des Wassers formt den Fluss: Er gleicht dem Strom der musikalischen Ideen, und das Flussbett, das er bildet, wäre der symphonischen Form gleichzusetzen.»

Die unglaubliche Schönheit der Symphonie Nr. 7 liegt in ihrer kunstvollen Wandelbarkeit. Alles findet seinen Platz, für alles ist Zeit - am Ende hat man die Erde umkreist und sie dabei gleichzeitig umarmt.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Alexander Moore

Wolfgang Amadeus Mozart

Konzert für Klavier und Orchester C-Dur KV 467

Sätze

  • Allegro maestoso

  • Andante

  • Allegro vivace assai

Dauer

30 Min.

Wohin Mozart mit seinen Klavierkonzerten gefunden hat, ist eindeutig: zu einer vollkommen neuen Form des Konzertierens in einem tragfähigen Konzept, das von Komponisten bis ins 20. Jahrhundert in seinen Grundzügen beibehalten werden konnte.

Das Woher hingegen ist rätselhaft. Es gibt kein Vorbild für diesen Konzerttypus, keine wirklichen Vorprägungen, keine Entwicklungslinien, die dahin verlaufen. Zwar hat es Cembalo- und Klavierkonzerte auch schon vor Mozart gegeben, man denke nur an Johann Sebastian Bachs stark am italienischen Stil orientierte Sammlung und an die galanten Beiträge Johann Christian Bachs zur Gattung. Doch Mozart lieferte von seinen ersten Klavierkonzerten an vollkommen ausgereift einen Prototyp: Das Soloinstrument erhält ein riesiges Sortiment an bis dahin ungekannten Äußerungsformen von speziellen Trillern bis zu dramatischen und einfühlsamen Floskeln, das Orchester ist nicht mehr nur thematischer Aufbereiter und stützender Begleiter, sondern gleichwertiger Dialogpartner, sei es in farbenfrohen Tuttipassagen oder in vielfältigen solistischen Aufgaben besonders der Holzbläser, die sich mit dem Klavier vermischen oder Frage- und Antwortsituationen durchlaufen, und schließlich prägte Mozart die Gestalt der konzertierenden Sonatenform mit Expositionen des Orchesters und des Soloinstruments und mit deutlichem Themendualismus.

In keiner anderen Gattung äußerte sich Mozart zudem so privat, intim, emotional und unmittelbar wie in den Klavierkonzerten. Er schien in ihnen sein Verhältnis zur Umwelt auszuleben, Gefühlsangelegenheiten zu klären, erörterte aber auch geistige Fragen.

Im Konzert C-Dur KV 467 taucht bei Mozart, der das Werk 1785 in Wien komponierte, gleich am Beginn des ersten Satzes aus der Ferne eine Erinnerung an seine Salzburger Zeit an: Ein Marschthema, wie aus einer Einleitung zu einer der vielen Serenaden, mit denen Mozart in der Salzburger Bevölkerung für so viel musikalische Stimmung gesorgt hatte. Plötzlich ist er ganz zurückgekehrt in die Heimat, das Marschthema erklingt in vollem Ornat und großer Lautstärke. Aber es ist auch bald verknüpft mit einem neuen Gedanken, einer nach oben strebenden Gegenmelodie von großer Ausdrucksstärke – eine Polyphonie der Gefühle und (musikalischen) Gedanken. Auch das folgende Seitenthema wird von Fanfaren eingeleitet, prunkvoll gespielt von Hörnern und Trompeten, danach in die Ferne geleitet von zart spielenden Holzbläsern.

Denn jetzt kommt die individuelle Kraft ins Spiel, das Soloklavier, das sich mit einem innigen, eigenen Thema in die Umwelt des Orchesters einführt. Die Erinnerung an die Jugendzeit in Salzburg rückt in den Hintergrund, das Klavier setzt dem Marschtonfall eine Fülle von melodischen Gedanken entgegen, in denen die Gefühle nur so durcheinanderpurzeln: Glück, Sehnucht, ja in einer Wendung, die schon den Beginn der berühmten g-moll-Symphonie vorwegnimmt, sogar Schmerz. Von der strahlenden Grundtonart C-Dur driftet Mozart in entlegene Bereiche, zum Teil in nachdenklichem Moll, ab. Doch dann kehrt sie wieder, die Salzburger Erinnerung: Die Serenadenmusiker marschieren wieder auf, die Sterne am nächtlichen Himmel und das flackernde Licht der Fackeln vermischen sich zu hellen Klängen. Jetzt spielt sogar das Klavier selber das Marschthema.

Im Mittelsatz kommt überhaupt Notturno-Stimmung auf: Über gezupften Bässen stimmen die Geigen eine süße, zarte Melodie an, deren leiser verführerischer Kraft auch die Holzbläser nicht widerstehen können und in die schließlich auch das Klavier einstimmt. Das ist aber keine Erinnerung an Vergangenes mehr, sondern eine wunderbare Vision vom nächtlichen Zauber, der den Alltag entschweben lässt und der in eine romantische Stimmung versetzt. Mozart macht hier, wie so oft, keinen Unterschied zwischen konzertanter und opernhafter Musik: Die Arie, die in diesem Satz von den Instrumenten gesungen wird, nimmt schon die Stimmung vorweg, die Mozart einige Monate später im nächtlichen vierten Akt der Oper «Die Hochzeit des Figaro» ausbreitete und dabei komplizierte Liebesangelegenheiten beinahe ins Elfenhafte auflöste.

Aus dieser idyllischen Welt gelangt Mozart im abschließenden Rondo mit einem espritgeladenen Motiv leichtfüßig in ein brillantes und spielerisches Treiben. Auch in diesem Finalsatz muss man an die Opernbühne denken, aber nun sind es schnelle Bewegungen und rasch wechselnde Gesten von Figuren, die eine bunte Komödie entfachen: Überraschend halten sie plötzlich inne, setzen ihr Spiel umso temperamentvoller fort und reichen sich zu kontrapunktisch eng verflochtenen Ritornellen die Hände. Ariose Bläserstimmen regen das Soloklavier zu erregten und virtuos geführten Dialogen an – das Leben ist ein immerwährender Austausch von Gedanken und Gefühlen    zwischen den Wesen. Jedes Individuum tanzt seinen Tanz – und ein Kehraus bedeutet ja noch lange nicht das Ende, sondern löst neue Energien der Heiterkeit aus.

Auch das Konzert C-Dur KV 467 schrieb Mozart für eine seiner zahlreichen Akademien, in denen er dem Wiener Publikum seine Werke vorführte und sich selbst als Pianist in seinen Klavierkonzerten präsentierte. Er spielte das C-Dur-Werk am 10. März 1785 im k.u.k. National-Hof-Theater zu Wien. Mozart wurde meist sehr spät mit den Werken für seine Akademien fertig, einiges im Klaviersatz, den er ja ad hoc spielte, ist daher in diesem C-Dur-Konzert nicht voll ausgeschrieben, sondern skizzenhaft geblieben. Da wird jeder Pianist, der das Werk spielt, zum interpretierenden und schöpferischen Künstler zugleich.

© Rainer Lepuschitz | Tonkünstler

Johannes Brahms

Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 68

Sätze

  • Un poco sostenuto - Allegro - Meno Allegro

  • Andante sostenuto

  • Un poco Allegretto e grazioso

  • Adagio - Più Andante - Allegro non troppo, ma con brio - Più Allegro

Dauer

42 Min.

Entstehung

1876

Johannes Brahms galt zu Lebzeiten als «Erbe» und «legitimer Nachfolger» Beethovens. Das Bonmot des Dirigenten Hans von Bülow, Brahms’ Erste Symphonie sei die «Zehnte» von Beethoven, hat diesen Ruf untermauert. Die Einschätzung, Brahms habe die klassischen Ideale hoch gehalten und die von der Wiener Klassik ausgeprägten Gattungen der Symphonie und des Streichquartetts sowie die Sonaten- und Variationsform in Beethovens Sinn erfüllt, hat sich bis heute erhalten. Daran konnte und kann auch die Erkenntnis Arnold Schönbergs nicht rütteln, dass Brahms die traditionellen Fundamente mit neuen Verarbeitungsmethoden in der so genannten entwickelnden Variation und in harmonischen Belangen modernisiert und zum Teil aufgebrochen hat. Der Romantiker Brahms: ein Klassiker mit Zukunft.

Eines lässt sich mit Gewissheit sagen: Der angehende Komponist Brahms empfand Beethovens kompositorische Hinterlassenschaft geradezu als übermächtig. Zu dem Dirigenten Hermann Levi meinte Brahms: «Ich werde nie eine Symphonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zumute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört.» Tatsächlich umging Brahms lange Zeit die Symphonie, er wich ihr aus, obwohl es ihn zu ihr drängte. Die Monumentalität des Ersten Klavierkonzertes ist darauf zurückzuführen, dass Brahms mit dem musikalischen Material ursprünglich symphonische Pläne hatte. Auch als der junge Komponist für das von ihm geleitete Orchester in Detmold komponierte, verbarg er seine symphonischen Ambitionen hinter einer anderen Gattung, in diesem Fall der Serenade. Die erste Serenade D-Dur kommt eigentlich als veritable und imposante Symphonie daher und wird erst durch eine Erhöhung der Satzanzahl und starke kammermusikalische wie tänzerische Impulse in der Art einer Suite aufgelockert. Thematische Beethoven-Bezüge sind aber auch in diesem Werk unüberhörbar.

An Beethoven erinnerte dann auch die Hörer der Uraufführung der Ersten Symphonie c-moll op. 68 von Brahms das Hauptthema des Finalsatzes, das im Aufbau seiner melodischen Sequenzen dem «Freude»-Thema der Neunten Symphonie ähnelte (besonders darauf nahm wohl auch Hans von Bülow mit seiner überspitzten Bemerkung Bezug). Wie bei Beethovens Fünfter Symphonie wiederum ist auch bei Brahms der Finalsatz als Höhepunkt und Lösung der symphonischen Konflikte angelegt. Nach einer düsteren c-moll-Einleitung zum letzten Satz hellt ein feierliches Hörnerthema die Stimmung nach C-Dur auf. Ein Choral leitet über in das hymnische, weit geschwungene Hauptthema, das so stark an Beethovens Neunte gemahnt. Die Themen werden von Brahms in spannenden Entwicklungen auf einen strahlenden Durchbruch in der Koda hingeführt – einen Durchbruch ins Licht, genauso wie in Beethovens Fünfter Symphonie. Die symphonische Kurve verläuft bei Beethoven wie bei Brahms von der düsteren und schicksalsschwangeren Einleitung der Symphonie zur Apotheose, von c-moll nach C-Dur.

Den Hauptteil des ersten Satzes in c-moll hat Brahms bereits im Jahr 1862 komponiert, dann geriet aber dieses Symphonie-Unternehmen vorerst noch einmal ins Stocken. An seinen Freund, den Geiger Joseph Joachim, schrieb Brahms: «Hinter Symphonie von J. B. magst Du einstweilen ein ? setzen.» Es dauerte weitere zwölf Jahre, bis Brahms die Arbeit an der Symphonie wieder aufnahm, dann aber mit großen Schritten aus dem Schatten des Riesen Beethoven hervortrat. Er knüpfte dort an, wo Beethoven als Symphoniker geendet hatte. So schuf Brahms mit der Einleitung der Symphonie einen Keim, in dem bereits das gesamte thematische Material der Symphonie enthalten ist. Aus den zwei gegenläufigen chromatischen Figuren in den Streichern und den Bläsern entwickelte Brahms die Hauptthemen des ersten bis dritten Satzes und die Einleitung zum Finale. Dabei spielen auch die harmonischen Felder der Motive eine wichtige Rolle und werden Gegenstand einer Entwicklung. Mit solchen Kompositionstechniken emanzipierte sich Brahms von Beethoven.

Nach dem erbitterten symphonischen Ringen voller Synkopen, zerklüfteter Dreiklangsbrechungen und abrupter Wechsel zwischen Piano und Forte im ersten Satz wird der zweite Satz zum ruhenden Gegenpol: Im innig anhebenden Andante übernimmt die Oboe mehrmals die melodische Führung. Nach einigen fließenden Steigerungen endet der Satz in einer wunderschönen Stimmung mit berührendem Violinsolo und sanft aufsteigenden Dreiklangszerlegungen.

Die anmutige Klarinettenmelodie des dritten Satzes ist raffiniert gebaut: Ihre zweite Periode ist exakt die Umkehrung der ersten Periode. In der mitreißenden Steigerung des Mittelteils kündigt Brahms schon den Durchbruch des Finales an. «Freude, Freude!» scheinen die Instrumente zu rufen, ehe sie zu ruhigen Variationen des ersten Satzteils zurückkehren.

Die Uraufführung der Symphonie fand im November 1876 in Karlsruhe statt. Der Erfolg des Werkes fiel ähnlich triumphal aus wie seine Koda.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz