Bruckner 5

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    Das Konzert ist zur Zeit exklusiv im Abo erhältlich, der allgemeine Verkauf startet am 4. September 2024.

Interpreten

  • Yutaka Sado, Dirigent

Programm

Die Fünfte zählt zu Anton Bruckners faszinierendsten und komplexesten Schöpfungen. In diesem Werk entwickelte er sein riesenhaftes Symphoniemodell weiter, indem er den zyklischen Zusammenhang erhöhte, den Schwerpunkt aber klar ins Finale verlagerte und dessen inneres Gewicht mit den alten Künsten der Kontrapunktik erzielte – gewissermaßen die Vereinigung und Überhöhung der Konzepte von Mozarts «Jupiter»-Symphonie sowie Beethovens Fünfter und Neunter. Für seine letzte Saison als Tonkünstler-Chefdirigent hat sich Yutaka Sado dieses Werk aufgehoben: Nun endlich wird sein Zyklus der «reifen» Bruckner-Symphonien 3 bis 9 komplett.

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Anton Bruckner

Symphonie Nr. 5 B-Dur

Sätze

  • Adagio - Allegro

  • Adagio

  • Scherzo. Schnell - Trio. Im gleichen Tempo

  • Finale. Adagio - Allegro

Dauer

78 Min.

Entstehung

1875-78

Anton Bruckner hat seine Fünfte Symphonie B-Dur nie gehört. Komponiert hat er sie in den Jahren 1875 und 1876, gefeilt daran noch im folgenden Jahr. Am 4. Jänner 1878 war die Arbeit abgeschlossen. Dann verschwand die Symphonie für 15 Jahre im wahrsten Sinne des Wortes in der Schublade. Bruckner hatte zu viel zu tun, um seine Dritte und Vierte Symphonie aufführungsgerecht für damalige Zeiten zu machen, arbeitete diese Werke in jenen Jahren mehrmals um – und erlebte bei der Uraufführung der Dritten Symphonie durch die Wiener Philharmoniker zu viel an Ablehnung, um ein noch viel kühneres Werk wie die B-Dur-Symphonie der kritischen Öffentlichkeit zu überlassen.

Sie blieb weiterhin unbeachtet unter den Manuskripten liegen. Erst 1893 fasste der Dirigent Franz Schalk, damals Opernkapellmeister in Graz, den Entschluss, dort die Fünfte Symphonie uraufzuführen – allerdings nahm er dafür zahlreiche Retuschen, Kürzungen und Änderungen an der Instrumentation vor, um die scheinbar zu «spröde» Klangsprache Bruckners wirkungsvoller zu machen und dem damaligen Geschmack anzupassen. Trotz dieser «entstellten» Fassung äußerte sich Bruckner, dessen schlechter Gesundheitszustand eine Reise nach Graz nicht zuließ, in einem Brief an Schalk dankbar über die Uraufführung:

«Kaum darf ich einige Stunden außer Bett zubringen, drängt es mich mit Sturmesgewalt, Ihnen mein Herz zu öffnen, jenes Herz, welches mir so schwer zu schaffen macht, indem es mir schon seit Ostern wieder den Atem versagt. Nehmen Sie meine tiefste Bewunderung Ihrer außerordentlichen Kunst, und meinen unaussprechlichen Dank für so große, große Mühe entgegen! Wie schmerzlich ich diese so große Freude, anwesend sein zu können, vermisste, kann ich nie beschreiben. Dem hiesigen Wagner-Verein habe ich bereits ans Herz gelegt, dass Sie die 5te in Wien dirigieren sollten! ... Einmal möchte ich sie auch hören.»

Es blieb bei diesem brieflichen Wunsch vom 12. April 1894 – und so wie seine unvollendete Neunte Symphonie und die Ecksätze der Sechsten Symphonie konnte der Schöpfer auch seine gesamte Fünfte Symphonie nur in seiner eigenen Vorstellung, «im Geiste» hören.

So wie sie Bruckner zu Papier gebracht hatte, erklang die Symphonie erstmals erst 40 Jahre nach seinem Tod und 60 Jahre nach ihrer Entstehung: 1935 spielten die Münchner Philharmoniker unter Siegmund von Hausegger die Uraufführung der Originalfassung, in der sie sich seither im Repertoire behaupten kann. Bruckner selbst hatte sie als sein «kontrapunktisches Meisterstück» und als seine «phantastische» Symphonie bezeichnet. Später bekam sie auch noch andere Beinamen wie «Die Katholische», «Choralsymphonie» und «Glaubenssymphonie» verpasst. Solche Versuche, das monumentale Werk einzuordnen, fokussierten es auf den «religiösen» oder zumindest spirituellen Gehalt. Wobei man auch andere, wenn nicht sogar alle Symphonien Bruckners als «Glaubenssymphonien» bezeichnen könnte, und auch alle anderen enthalten Choralthemen und Wendungen aus der Kirchenmusik.

Jede von Bruckners Symphonien trägt aber in ganzheitlichem Sinn die Idee einer «Musica mundana» in sich, die in ihren Schwingungen, Intervallen und in ihrer Metrik den harmonischen Plan des Schöpfers wiedergibt. Eine Weltenmusik, in der der ganze Kosmos erfasst ist: das Herrliche und Majestätische des Göttlichen ebenso wie das Unerklärliche und Wunderbare der Natur. Bruckners Symphonien leben vom Kontrast zwischen dem Erhabenen, Strahlenden und dem Innigen, Geheimnisvollen. Verzückung und Furcht liegen eng beieinander. Auf Choräle folgen pralle Lebensmusiken, auf grandiose Apotheosen leise Abgesänge, voneinander abgesetzt durch genau bemessene Ein- und Ausschwingphasen und Pausen.

Zweifellos prägten den Künstler die Zeit im oberösterreichischen Stift Sankt Florian, wo Bruckner als Sängerknabe, Lehrer und Organist 13 Jahre verbrachte, und der Kontakt zum dortigen Augustiner-Chorherrenstift nachhaltig. Bruckner besuchte sein Leben lang regelmäßig die Messe und baute die Ablegung der Beichte, die Einhaltung des Fastengebots und das Gebet beim Angelusläuten in seinen Alltag ein. Er führte genau Buch über seine Gebete, trug jeden Rosenkranz, jedes Vaterunser, Ave Maria, Salve Regina und Gloria Patri ein. Aber er nahm auch rege am weltlichen Leben teil, schätzte gesellige Zusammenkünfte und entflammte nicht selten für das andere Geschlecht.

In der Zeit, als Bruckner die Arbeit an der Fünften Symphonie aufnahm, befand er sich in einer Lebensphase des Umbruchs. Nach seiner Übersiedlung von Linz, wo er als Domorganist wirkte, nach Wien als Lehrer am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde war die materielle Situation des Musikers keineswegs stabil. Bruckner, in diesen Dingen überängstlich, formulierte – parallel zu den ersten Takten des Adagios der Fünften Symphonie – in einem Brief an einen Freund folgende Worte:

«Alles ist zu spät. Fleißig Schulden machen, und am Ende im Schuldenarreste die Früchte meines Fleißes genießen, und die Torheit meines Übersiedelns nach Wien ebendort besingen, kann mein endliches Los werden.»

Zuflucht schien Bruckner in seinen symphonischen Partituren zu suchen und zu finden. Dort fühlte er sich sicher, ließ alle Bescheidenheit und Minderwertigkeitskomplexe hinter sich. Der Musiker, der wie kaum ein anderer besessen den Kontrapunkt und die Harmonielehre studiert hatte und der wie kein anderer im 19. Jahrhundert die Kunst des Orgelspiels beherrschte und mit seinen grandiosen Improvisationen die Menschen faszinierte (Zehntausende hörten ihm etwa bei seinen Auftritten in der Londoner Royal Albert Hall zu), konnte beim Komponieren auf einem unantastbaren Fundament des Könnens und Wissens aufbauen. Deshalb hatte er immer auch eine ganz große Form vor Augen (und in den Ohren), die es erst ermöglichte, seine Ideen zu entwickeln und auszubreiten. «Der großartige Finalsatz mit seinen Riesen-Dimensionen erscheint mir immer wieder wie ein Dom», sagte einmal der Dirigent Bernard Haitink über das Finale der Achten Symphonie – und diesen Eindruck bekommt man auch anbetrachts vieler anderer symphonischer Sätze Bruckners.

Zweierlei ist in diesem Bild vom Dom enthalten: die kompositorische Architektur von Bruckners Symphonik und ihr sakraler Gehalt. Beide Aspekte treten in der Fünften Symphonie besonders deutlich und eindringlich zutage. In keiner anderen Symphonie hat Bruckner den Aufbau und die Architektonik so sichtbar gemacht wie in der Fünften und so klar strukturiert. Und das Ziel der Symphonie, auf das alles Thematische und Formale ausgerichtet ist, ist die Urform der Sakralmusik, der «Choral», den Bruckner in der Koda des Finales auch ausdrücklich als Wort in die Partitur schreibt.

Erster SatzZum einzigen Mal eröffnet Bruckner eine Symphonie mit einer explizit langsamen Einleitung: Adagio. In dieser Introduktion reiht er drei Motivkomplexe aneinander, aus denen alles Weitere der Symphonie entwickelt wird und auf die sich alles Thematische, Harmonische und Rhythmische zurückführen lässt.

Motivkomplex I: Der erste Klang ist ausnahmsweise kein Tremolo, kein Brucknerscher «Urnebel», sondern ein leiser Pizzikato-Gang der Celli und Kontrabässe abwärts und aufwärts innerhalb des Quintenraums. Bratschen und Violinen setzen in langgezogenen gestrichenen Akkord- und Tonfeldern ein. Auf engem Raum ist darin das berühmte Viertonmotiv c-d-f-e aus dem Finale von Wolfgang Amadeus Mozarts «Jupiter-Symphonie» enthalten. – Die Stimmung gemahnt aber eher an Mozarts Requiem. Auf dieses Werk verweist auch später die Grundtonart d-moll im zweiten und dritten Satz. Und aus der Begleitung des Seitenthemas des Kopfsatzes und der Hauptthemen der Mittelsätze lässt sich die Folge der ersten fünf Töne von Mozarts Requiem herausfiltern.

Motivkomplex II: Fortissimo auffahrende Signale im Unisono der Holzbläser und Streicher, unterstützt von Akkorden des Blechs. Daraus leiten sich in der Folge alle zuckenden Rhythmen der Symphonie ab.

Motivkomplex III: Ein in Halb- und Ganztönen ansteigender und die Quint abfallender Hymnus, ausschließlich von den Blechbläsern gespielt. In diesem Hymnus sind die Hauptthemen aller vier Sätze und das Choralthema des Finales enthalten, mit ihren melodischen und rhythmischen Verläufen und dem harmonischen Gefüge.

Dann ist es auch in dieser Symphonie da, das Tremolo! Ganz hoch in den Geigen bleibt es leise übrig vom Fortissimo-Schlussakkord des Hymnus. Daraus geht im Allegro das Hauptthema hervor: eine stolze, etwas heroische, aber auch sinnliche melodische Bewegung, von Bratschen und Celli eingeführt und nach kecken Holzbläsereinwürfen und -echos bald imposant vom ganzen Orchester gespielt.Das Seitenthema wirkt mit seiner Pizzikato-Begleitung und seiner durch Synkopen und Triller etwas zögerlich wirkenden, weitgeschwungenen Melodie wie eine lyrische Variante der mystischen Einleitungstakte der Symphonie.

Im selbstbewusst in den Holzbläsern anhebenden dritten Thema sind sowohl das Haupt- als auch das Seitenthema mit einigen ihrer Merkmale enthalten. Mit einer synkopischen Figur in den Streichern wird die zugespitzte punktierte Schlussformulierung der Exposition erreicht.

Die Durchführung kommt nach einigen Überleitungstakten wieder auf die langsame Introduktion zurück. Dann geht alles schneller ins Hauptthema über, das nun – verstrickt mit dem Signalmotiv – wilde Stürme erlebt. Der Hymnus ist gleichzeitig Mahnung und Friedensbotschaft.

Die Reprise setzt, nach toller Steigerung mit Floskeln aus dem Motivkomplex III, mit dem Hauptthema in heldenhaftem Fortissimo des Orchesters ein. Auch das Seitenthema und dritte Thema werden in eindrucksvollen Varianten wiederholt.

Nunmehr rasante Pizzikati und der Kopf des Hauptthemas leiten die Koda ein, in der an den Grundpfeilern aller drei Motivkomplexe vorbei, mit schmetternden Fanfaren des Blechs und rasenden Skalen der Holzbläser und Streicher, zur Krönung des Hauptthemenkopfes geschritten wird. Über Paukenwirbeln beenden fünf Orchesterschläge mit dem Grundton B den Satz.

AdagioIn gemessenen Pizzicato-Triolen der Streicher hebt der langsame Satz an, die Oboe beginnt «dolce» eine einsame, im geraden Metrum über die Triolen hinauswachsende Melodie als Hauptthema zu spielen. «Markig» setzt der Streicherchor mit dem zweiten Thema ein, das aus dem ersten abgeleitet ist, aber aus der Einsamkeit zur Feierlichkeit findet. Aus beiden – verwandten – Themen baut Bruckner einen dreistrophigen Satz mit Steigerungswellen auf. Nach spannungsreichen und oft unaufgelösten harmonischen Aufschichtungen, durchsetzt von gewaltigen Intervallsprüngen, verlischt das Adagio in Pizzikato-Takten und mit Hauptthema-Segmenten in den Holzbläsern.

Scherzo und TrioDer dritte Satz beginnt in der Begleitung mit denselben Pizzikato-Tonfolgen wie der zweite Satz, die allerdings nun mindestens doppelt so schnell und im regulären Dreivierteltakt ablaufen. Das dahinhuschende Hauptthema in den Holzbläsern enthält die Töne der Adagio-Melodie. Dann beginnen die Streicher einen Ländler als Seitenthema zu tanzen, wobei sie das dritte Thema des Kopfsatzes volkstümlich umgestalten. Aus dem ständigen Wechsel von dahineilender Thematik und beschaulichem Tanz gewinnt dieses Scherzo enorme Spannung. Auch im Trio wandelt Bruckner Material aus dem ersten Satz um: Wie flockig klingt nun die Thematik des Motivkomplexes I.

FinaleMit dem Motivkomplex I und als Adagio eröffnet Bruckner auch das Finale. Danach erhebt die Klarinette solistisch den Kopf des Hauptthemas, das in seiner vollständigen Gestalt und als eindrucksvolles Fugengeschmeid aber erst einsetzt, nachdem Bruckner die Hauptthemen der vorangegangenen Sätze rekapituliert hat: eine Situation wie im Finale der Neunten Symphonie Ludwig van Beethovens. Bruckner scheint damit bekräftigen zu wollen, dass auch seine Symphonie durch das Finale erhöht wird. In der Introduktion der Ecksätze weist Bruckner ja schon auf Mozarts «Jupiter-Symphonie» hin, die auch eine derartige «Final-Symphonie» darstellt und zudem so wie seine Fünfte mit einer Final-Fuge ausgestattet ist.

Nach dem dynamischen Fugato des Hauptthemas geht es Bruckner vorübergehend gemütlicher an, wenn er das Seitenthema an die Seitenmelodien des ersten und dritten Satzes anlehnt.

Auf eine mächtige, aus dem Oktavsprung des Hauptthemas abgeleitete Passage folgt der feierlichste Moment des ganzen Werkes: In die Stille des symphonischen Doms klingt in dreimaliger Abfolge im Blech ein Choral, in dem alle melodischen und harmonischen Entwicklungen der Symphonie zusammenfinden. Der Choral wird von der «Gemeinde» der Streicher aufgenommen und mit Ausschmückungen bedacht. Dann kombiniert Bruckner den «weltlichen» Hauptthemenruf und den «geistlichen» Choral zu einer alles verschmelzenden Doppelfuge.

Nach einer kurzen Rast im Seitenthemenfeld setzt die Symphonie zu ihrem Siegeszug an, an dem auch der Hauptthemen-Held des ersten Satzes, Arm in Arm mit dem verwandten Hauptthema des Finales, teilnimmt. Zusammen streben sie dem großen Portal zu, über dem sich glanzvoll der Choral wölbt. Strahlend schreitet das Hauptthema des ersten Satzes durch das Portal und wird von denselben fünf B-Schlussakkorden empfangen wie im Kopfsatz. Der symphonische Weltenkreis schließt sich.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz