«Der Philharmonischen Gesellschaft Budapest anlässlich ihres 80-jährigen Bestehens» widmete Kodály seine «Galántai Táncok», die «Tänze aus Galánta», die im Oktober 1933 in Budapest vom Orchester der Philharmonischen Gesellschaft unter der Leitung von Ernst von Dohnányi uraufgeführt und zum meistgespielten und erfolgreichsten Werk des Komponisten wurden. Galánta (slowakisch: Galanta), heute eine Kleinstadt in der Slowakei, ca. 50 Kilometer östlich von Bratislava, gehörte bis zum Ende der Donaumonarchie zum ungarischen Staatsgebiet und kam auch in der Zeit des Nationalsozialismus durch einen Schiedsspruch noch einmal zu Ungarn.
Kodálys Vater war Ende des 19. Jahrhunderts eine Zeit lang Bahnhofsvorsteher in Galánta, Zoltán verbrachte dort mit seiner Familie einige Jahre seiner Kindheit. Als Erwachsener trug er immer eine gewisse Trauer darüber mit, dass heimatliche Gebiete, in denen er in seiner Kindheit und Jugend gelebt und als junger Mann als Volksmusikforscher unterwegs war, für Ungarn verloren gegangen waren. So schwingen oft auch Töne der Wehmut mit, wenn sich Kodály in seinen Orchesterwerken an Orte, Landschaften und musikalische Tonfälle solcher Gebiete erinnerte.
Zigeunermusik – dieser Ausdruck hat für unsere Ohren einen abwertenden Beigeschmack, zudem ist er politisch unkorrekt. Aber noch bis weit ins 20. Jahrhundert dachte man sich nichts Schlechtes dabei, Zigeunerliedern zu lauschen und im Rhythmus von Zigeunerkapellen mitzuschunkeln. Zigeunermusik war ein europaweites Phänomen: Von Spanien, wo die «Gitanos» im Flamenco mitmischten, bis nach Pannonien waren über Jahrhunderte hinweg die musizierenden Zigeuner unterwegs. Komponisten wie Haydn und Brahms komponierten lustvoll und ohne Vorbehalte «alla zingarese». Liszt griff in den «Ungarischen Rhapsodien» auf die Zigeunermusik zurück. Erst Kodály und Bartók legten mit ihren Forschungen im pannonischen Hinterland bis nach Rumänien auch eine andere ungarische Volksmusik frei.
Als Kodály an seine Kindheit in Galánta dachte, fiel ihm aber wieder der Klang der dortigen Zigeunerkapelle ein. In Wien fand er eine um 1800 erschienene Sammlung mit dem Titel «Ungarische Tänze von Zigeunern aus Galánta». Darauf und auf seine eigenen Erinnerungen griff Kodály zurück, als er das Auftragswerk für die Philharmonische Gesellschaft in Budapest komponierte. Und so gingen Melodik und Rhythmik von Tänzen wie dem Csárdás und Werbetänzen wie dem Verbunko in seine Orchesterkomposition ein, die die alten Lied- und Tanzweisen in neue, schillernde Farben tauchte (da merkt man Kodály seine Begeisterung für Debussy an).
Wie in der originalen Zigeunermusik schwankt auch Kodály in den direkt ineinander übergehenden Tänzen beständig zwischen schwermütigen, etwas langsameren Passagen und stürmisch bewegten Abschnitten hin und her. Die typischen Halbton-Färbungen dürfen nicht fehlen und geben den «Tänzen aus Galánta» ebenso ihre unverkennbare Note wie die Synkopen im Rhythmus. Manchmal weht ein orientalischer Hauch durch die Musik. Das ergreifende Klarinettensolo nach dem Einleitungsteil dürfte eine Kennmelodie sein, denn im Finale kehrt sie wieder und hält für kurze Zeit entrückter Erinnerung den Csárdás-Wirbel auf. Dann gibt sich Kodály noch einmal ganz dem Temperament der Zigeunerkapelle aus seiner Kindheit hin.
© NÖ Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Rainer Lepuschitz