Archiv: Schubert & Bartók

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Arthur Jussen, Klavier
  • Lucas Jussen, Klavier
  • Jun Märkl, Dirigent

Programm

Lucas und Arthur Jussen musizieren seit ihrer frühesten Kindheit miteinander – und das hört man auch! Seit Jahren ist das brillante Klavierduo aus dem internationalen Konzertleben nicht mehr wegzudenken und mit Béla Bartóks Doppelkonzert nun endlich auch bei den Tonkünstlern zu Gast. Der Mittelsatz, ein atmosphärisches Nachtstück, findet sein Gegenüber im volksliedhaften Ton des Andante aus Franz Schuberts «kleiner» C-Dur-Symphonie D 589. Wobei: Auch seine «Kleine» ist eine «Große»! Natürlich sind in diesem Jugendwerk des 21-jährigen Komponisten die musikalischen Bewegungen der späteren «großen» C-Dur-Symphonie D 944 vorauszuhören.

Aufgrund der geltenden Verordnungen zur Covid-19-Prävention sind auch unsere Konzertprogramme Änderungen unterworfen. Die ursprünglich vorgesehene C-Dur-Symphonie D 944 von Franz Schubert wird durch seine früher komponierte und unter D 589 katalogisierte in derselben Tonart ersetzt.

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Béla Bartók

Konzert für zwei Klaviere, Schlagzeug und Orchester

Sätze

  • Assai lento - Allegro molto

  • Lento, ma non troppo

  • Allegro non troppo

Dauer

25 Min.

Entstehung

1940

Die Welt, das Umfeld des Béla Bartók, hatte sich bereits erheblich verändert, als er an seiner «Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug» – der Urform des heute gespielten «Konzerts» – arbeitete. Als Pianist, Volksmusikforscher und Komponist baute er seit Beginn des 20. Jahrhunderts kontinuierlich eine Karriere auf, die ihn weit über die Grenzen Ungarns hinaus in zahlreiche Länder Europas, später auch nach Nordafrika und in die USA führte, sodass er bereits international etabliert war, als die düsteren Entwicklungen der Zwischenkriegszeit auf eine baldige neue Konfrontation zwischen den Nationen hindeutete.

Vor allem war es das auf breiter Linie erfolgte Erstarken des Faschismus, das Bartók mit tiefer Skepsis und Abscheu beobachtete – neben Deutschland vor allem auch in Italien und Österreich. So schreibt er etwa im Mai 1937 in einem Brief an die Schweizer Freundin Anna Müller-Widmann: «[…] Ursprünglich wollten wir nach Italien (Dolomiten) gehn; aber mein Haß gegen Italien ist in der letzten Zeit derart abnormal groß geworden, daß ich einfach mich nicht entschließen kann, das Land zu betreten. Das scheint ein überspannter und übertriebener Standpunkt zu sein: aber wenigstens möchte ich in meinen Ferienwochen nicht fortwährend von der italienischen Aggressivität gereizt werden. Allerdings sagt man, daß Österreich ebenfalls schon vom Nazigift durchtränkt sei, aber vielleicht trägt man das dort nicht so sehr zur Schau.» Auch die markante politische und wirtschaftliche Annäherung seiner ungarischen Heimat an die drei genannten Länder bereitete ihm große Sorgen. Einer der wichtigen Aufführungsplätze für seine Musik war weiterhin die neutrale Schweiz: 1937 feierte die vom Dirigenten Paul Sacher in Auftrag gegebene «Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta» in Basel einen außerordentlichen Erfolg, was als erneuten Auftrag die Komposition der genannten «Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug» nach sich zog, die im Jänner 1938 ebenfalls in Basel Premiere hatte.

Trotz der immer unsicherer werdenden politischen Lage in Europa schwankten Bartók und seine Frau Ditta Pásztory, ob sie die Heimat verlassen sollten. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und letztlich der Tod von Bartóks Mutter im Dezember 1939 mochten die entscheidenden Motive gewesen sein, den schweren Entschluss zur Emigration zu begünstigen. Aufgrund der positiven Erfahrungen als Konzertpianist auf Tourneen in den Vereinigten Staaten von Amerika erfolgte im Oktober 1940 die endgültige Übersiedlung dorthin. In den USA wurde Bartók durchaus mit Wertschätzung aufgenommen, doch die Auftrittsmöglichkeiten ebenso wie die Resonanz auf seine Konzerte hielten sich in Grenzen, und hohe Krankenhauskosten belasteten zudem die finanzielle Lage. Der Einsatz mehrerer Freunde führte umso mehr zu Auftragskompositionen, sodass letzte Meisterwerke für einige der bedeutendsten Interpreten entstehen konnten, darunter das «Konzert für Orchester», das «Konzert für Viola und Orchester» und die «Sonate für Violine solo». Und es kam zu einer instrumentalen Erweiterung der «Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug» für ein Konzert mit den New Yorker Philharmonikern.

Zu den im ursprünglichen Werk hervorstechendsten Elementen der Motorik und Rhythmik konnte Bartók nun die Farbschattierungen eines Orchesterapparates hinzufügen und damit individuelle Stellen hervorheben und neue Kontraste setzen. Weil dadurch auch das konzertierende Prinzip des Wechselspiels der Instrumente gestärkt wurde, kam es im Titel zur Änderung von einer «Sonate» zu einem «Konzert». Der formale Rahmen folgt der klassischen Anlage, wonach zwei rasche Sätze einen langsameren einschließen. Dem Hauptteil des über weite Strecken urwüchsig und wild anmutenden Stirnsatzes ist eine langsame Einleitung mit der Bezeichnung Assai lento – Allegro molto vorangestellt, die wie ein Sammeln und Aufbauen von Energie anmutet, aus der sich alles weitere Geschehen ableitet. Verhalten, im Pianissimo setzt der mittlere Satz ein, Lento, ma non troppo, der sich als ein Notturno von tiefer Innigkeit entwickelt. Das rasante Finale, Allegro non troppo, schließlich gleicht einem ausgelassenen Tanz und vermittelt eine für Bartóks Werke dieser Zeit ungewöhnliche Fröhlichkeit. In aller Ungezwungenheit wirbelt der Satz den Schlusstakten zu, mit denen das Geschehen plötzlich sanft in doppeltem Pianissimo verebbt.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Christian Heindl

Franz Schubert

Symphonie Nr. 6 C-Dur D 589

Sätze

  • Adagio - Allegro

  • Andante

  • Scherzo. Presto - Trio. Più lento

  • Allegro moderato

Dauer

32 Min.

Entstehung

1817/18

Franz Schuberts «Kleine» ist eine «Große». Die Symphonie Nr. 6 C-Dur D 589, die in der Nachwelt den Beinamen «Kleine C-Dur-Symphonie» erhielt, wurde von Schubert selbst als «Große Symphonie in C» tituliert. Schubert war damals 21 Jahre alt, komponierte neben Liedern, Kirchenmusik und Kammermusik auch Orchestermusik, die gelegentlich von Schul- und Liebhaberorchestern aufgeführt wurde. Mit «groß» bezog sich Schubert zum einen auf die  für damalige Verhältnisse umfangreiche Besetzung mit je zwei Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotten, Hörnern und Trompeten sowie Pauken und Streichern, zum anderen auf die intendierte Gestaltung mit einer imposanten langsamen Einleitung und vier ausführlichen  Sätzen, in denen der junge Komponist seine Erfahrungen mit Symphonien von Vorbildern auf seine Weise umzusetzen trachtete. Wenige Jahre später komponierte er eine weitere Symphonie in C-Dur (D 944), nunmehr schon mit dem Anspruch, in der Gattung Symphonie eine gewichtige Alternative zum damaligen Maß aller Dinge, den Werken Ludwig van Beethovens, aufzuzeigen. Dieses tatsächlich grandiose Werk erhielt dann in der Nachwelt den Beinamen «Große C-Dur-Symphonie».Franz Schubert war von früher Jugend an mit symphonischer Musik vertraut. In der familiären Hausmusik mit dem Vater, den Brüdern Ignaz und Ferdinand und Musikern aus dem Freundeskreis der Familie wurde nicht nur Kammermusik gepflegt, sondern auch Symphonisches in Fassungen für kleine Besetzung, meist Doppel-Streichquartett.

Als Schüler des Wiener Stadtkonvikts spielte Schubert ab seinem 14. Lebensjahr im Übungsorchester der Institution als Geiger Symphonien von Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Leopold Koželuch, Franz Krommer und Joseph Weigl, gelegentlich auch schon von Beethoven. Als Schubert zum Orchesterwart dieses aus Schülern und Studenten bestehenden Ensembles ernannt wurde, konnte er sich im Notenarchiv zusätzlich zur Aufführungspraxis auch in die Partituren der klassischen Meister vertiefen.Schon bald wollte er auch selber eine Symphonie komponieren, kam aber zunächst nur bis zum 30. Takt eines Satzes in D-Dur. 1813 dann, als er aus dem Konvikt ausschied, um eine Ausbildung an der Lehrerbildungsanstalt zu beginnen, verfasste Schubert seine erste vollständige Symphonie, wiederum in D-Dur. Belege, dass dieser Erstling sowie auch Schuberts 2. Symphonie, die dem Konviktsleiter Innocenz Lang gewidmet ist, vom Orchester des Konvikts aufgeführt wurden, gibt es keine, aber es ist durchaus anzunehmen.

Schubert spielte und komponierte weiterhin symphonische Musik, nunmehr in einem und für ein Liebhaberorchester, das aus dem Schubert’schen Hausmusikkreis hervorgegangen war. Als dieser personell so stark anwuchs, dass im Schulhaus von Schubert Senior im Wiener Stadtteil Liechtenthal der Platz nicht mehr ausreichte, übersiedelten die Musiker zunächst in die Wohnung eines Wiener Geschäftsmannes und spielten dann unter der Leitung des böhmischen Geigers und Hoforchestermusikers Otto Hatwig in dessen Domizilen im Wiener Schottenhof und Gundelhof richtiggehende Orchesterkonzerte für einen privaten Zuhörerkreis. Da wirkten neben Studenten und Freizeitmusikern aus der Akademiker- und Beamtenschicht auch weitere professionelle Musiker aus Wiener Theaterorchestern mit. Mehr als 40 Musiker versammelten sich da mitunter, um die damals gängigen Symphonien, aber auch andere Orchestermusik, etwa Ouvertüren der Italiener Luigi Cherubini, Gaspare Spontini, Gioachino Rossini und des Franzosen Étienne-Nicolas Méhul zu spielen. Als sich Hatwig wegen Krankheit zurückzog, übernahm mit Josef Otter der Konzertmeister der Hofkapelle die Leitung des Orchesters, das nun bis ins Jahr 1820 in den Räumen einer Spedition proben konnte. Danach löste sich das Orchester auf.

Für Aufführungen mit diesem Klangkörper, in dem Schubert jahrelang als Bratschist mitwirkte, komponierte er laut den Erinnerungen seines Förderers und Freundes Leopold von Sonnleithner, einem musikbegeisterten Juristen, «eine liebliche Sinfonie in B-Dur ‹ohne Trompeten und Pauken›, dann eine größere in C-Dur und die bekannte Ouvertüre ‹in italienischem Stil›.» Mit der «lieblichen» ist die fünfte Symphonie gemeint, mit der «größeren» die sechste. Während des damals in Wien grassierenden Rossini-Fiebers, von dem auch Schubert angesteckt wurde, fühlte er sich zur Komposition von insgesamt zwei «Italienischen Ouvertüren» inspiriert, in denen er seine in der Studienzeit, der Orchesterpraxis und durch Besuche von Wiener Aufführungen von Rossini-Opern gemachte Erfahrungen mit dem «italienischen Stil» gekonnt umsetzte. Immerhin war mit Antonio Salieri ein Italiener Schuberts Lehrer, befand sich des Weiteren sicher auch Kammermusik von Luigi Boccherini auf den Pulten der Schubert’schen Hausmusik und kam der junge Musiker dann im Hatwig’schen Privatorchester mit Werken verschiedener italienischer Komponisten in Berührung – also schon einige Zeit vor der Wiener «Rossini-Welle».

Bereits in seiner dritten Symphonie kann man «italienische» Passagen finden, und der in unmittelbarer Nachbarschaft zu den «Italienischen Ouvertüren» entstandenen sechsten Symphonie wurden auch und vor allem im zweiten und vierten Satz Einflüsse italienischer Melodik und Rhythmik attestiert. Von einer Übertragung des Rossini-Stils, wie er damals beim Wiener Musikpublikum en vogue war, auf seine Orchestermusik war Schubert aber weit entfernt. Er machte sich seinen eigenen musikalischen Reim auf den «italienischen Gusto». Und Rossini lauschte er weniger dessen musikalischen Stil als vielmehr so manches instrumentierungstechnische Detail ab. 

Andere mögliche Beeinflussungen und Vorbildwirkungen sind auffälliger in der sechsten Symphonie. Die Gestaltung und Ausformung des Allegro-Hauptthemas des ersten Satzes hat die Musiker des Hatwig’schen Liebhaberorchesters sicherlich an Joseph Haydns «Militär-Symphonie» erinnert. Und im Scherzo treibt Schubert das gleiche Spiel mit metrischen Verschiebungen und unerwarteten Betonungen des vorwärts schnellenden Grundmotivs wie Beethoven im – noch Menuett genannten – dritten Satz seiner ersten Symphonie. Aber Schubert kopierte die Vorbilder nicht etwa, sondern dachte die gemeinsamen musikalischen Ideen dann ganz anders und selbständig weiter. Das Allegro-Hauptthema des ersten Satzes ist mit seiner aparten Holzbläserführung von Flöte und Oboe eine Fortsetzung des in der fünften Symphonie gefundenen und entwickelten individuellen Bläserstils Schuberts. Insofern verdient eine Feststellung in einer Rezension über die erste öffentliche Aufführung der sechsten Symphonie wenige Wochen nach Schuberts Tod in einem Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde (deren Mitglied Schubert war) im Wiener Redoutensaal Beachtung. Der Chronist tadelte an der von ihm an sich als «schönes, fleissig gearbeitetes Werk» gelobten Symphonie, «dass das blasende Orchester allzureichlich bedacht ist, wogegen die Streichinstrumente fast im Durchschnitte nur subordinirt erscheinen.»

Für den damals vorherrschenden Zeitgeschmack war das offensichtlich also etwas zu viel des guten Gebläses, aber in der Proportion der Komposition hat hier Schubert vollendete Arbeit geleistet. Die Emanzipation der Bläser geht nie zu Lasten der Gesamtbalance der Instrumentierung, wird vielmehr mit viel Feingespür vollzogen. Nie fällt eine Bläserstimme gar konzertant aus dem Rahmen. Dafür erzielt Schubert wunderbare Klangfarbenmischungen.

Bereits in der langsamen, auf symphonische «Größe» abzielenden Einleitung der Symphonie schlägt Schubert nach vier imposanten Eröffnungstakten des vollen Orchesters Bläserwege ein und lässt Flöte und Klarinette melodisches Material finden. Diese beiden Instrumente gestalten dann auch maßgeblich das Seitenthema des Allegros: Sie spielen zum Tanz auf und setzen somit die schwungvolle Beweglichkeit des Hauptthemas fort. Der symphonischen «Größe» Schuberts ist Heroik oder Pathos ganz fremd. Seine Symphonik entwickelt lust- und liebevoll die Melodik in verschiedenen harmonischen Umfeldern, sie spielt phantasievoll mit den Melodien und Rhythmen, sie umspielt die Themen mit Verzierungen und Figurationen, und sie singt Liedmelodien ohne Worte.

Bei dieser leichtfüßigen, unbeschwerten Art der Komposition fällt es im wahrsten Sinne des Wortes schwer, von Durchführungsarbeit oder Materialverarbeitung, wie sie für Beethoven so signifikant sind, zu sprechen. Auch wenn es manche dramatische Zuspitzung gibt, etwa durch Steigerungen mit Tremolos oder mächtigen, im Unisono geführten Themengestalten, so ist Schubert doch immer auch in der Symphonie ein Epiker. Er erzählt vom Leben in der geselligen Gemeinsamkeit – und in der Einsamkeit. Denn auch in die frohgemute, heitere, helle sechste Symphonie mischen sich manche wehmütige Wendungen und Weisen. Doch in diesem Werk findet die symphonische Hauptfigur immer sehr bald wieder Trost in der kollektiven Unterhaltung.

So wird der erste Satz von einer regelrecht opernhaften Stretta beschlossen. Im Finale deutet Schubert die Tradition vom «Kehraus» vollkommen neu und komponiert ein gemächliches Tänzchen – «Allegro moderato» steht ausdrücklich als Tempoangabe über dem Satz. Wird sie verwirklicht, so ist ein gemütliches Beisammensein zu hören. Dann entsteht eine zauberhafte musikalische Gelassenheit. Nur gelegentlich fahren Fanfaren der Trompeten und wuchtige rhythmische Figuren des vollen Orchesters in diese beschauliche symphonische Zusammenkunft drein. Solche gelegentlichen Kontrastwirkungen hat Schubert auch schon in den zweiten Satz einkomponiert, dessen Romanzenmelodik dann und wann von recht massiven Orchestereinwürfen unterbrochen wird. Aber selbst, wie im Scherzo, wenn das ganze Orchester längere motorische Passagen zu spielen bekommt, verlässt Schubert nie die Schwerelosigkeit eines tagträumerischen Lebens. Er ist oft auf zarten Sohlen unterwegs zur «großen» Symphonik, etwa mit dem empfindsamen «Schreittanz» der Holzbläser im Seitenthema des Finales. Da sind in dieser «kleinen» C-Dur-Symphonie schon musikalische Bewegungen der späteren «großen» C-Dur-Symphonie vorauszuhören. Das war Schuberts Verständnis von «großer Symphonie». Und deshalb hat er das auch so als Titel über dieses Werk gesetzt.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz