Archiv: Verdi: Requiem

Wien Musikverein Großer Saal Musikverein | Großer Saal

Interpreten

  • Emily Magee, Sopran
  • Elena Zhidkova, Mezzosopran
  • Wookyung Kim, Tenor
  • Yasushi Hirano, Bass
  • Wiener Singverein, Chor
  • Johannes Prinz, Choreinstudierung
  • Yutaka Sado, Dirigent

Programm

«Verdis beste Oper»? Vielleicht ist diese Bezeichnung des Requiems gar nicht so falsch: Selten hört man so eindrucksvoll, wie sich der Schlund zur Hölle mit Pauken, Posaunen und Trompeten öffnet, selten vernimmt man auf Erden, wie zart der Himmel tönen könnte. Mit seinem Requiem für den Freiheitskämpfer Alessandro Manzoni ist Giuseppe Verdi ein musikalisches Spektakel gelungen, das ein Kopfkino über Leben, Tod und Erlösung entfacht. Das gewaltige, abendfüllende sakrale Meisterwerk wird vom Tonkünstler-Orchester unter der Leitung seines Chefdirigenten Yutaka Sado mit dem Wiener Singverein und einer außerordentlichen Solisten-Riege in Szene gesetzt.

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Giuseppe Verdi

Messa da Requiem für Soli, Chor und Orchester

Sätze

  • Introitus (Requiem aeternam - Te decet hymnus - Kyrie)

  • Dies irae

  • Offertorium (Domine Jesu - Hostias - Quam olim Abrahae)

  • Sanctus

  • Agnus Dei

  • Communio (Lux aeterna)

  • Responsorium (Libera me - Dies irae - Libera me)

Dauer

97 Min.

Entstehung

1873/74

Verdi nähert sich dem Text der lateinischen Totenmesse als trauernder Mensch und mit dem geschulten Blick des Musikdramatikers, der sich in keinem Takt verleugnet. Ohne Hilfe eines Librettisten, der ihm sonst beigestanden wäre, erkennt er – womöglich als Erster – instinktiv das szenische Potenzial dieser festgeschriebenen Worte. Es geht um nichts weniger als das große Geheimnis des menschlichen Lebens: den Tod. Anlassfall ist nicht irgendjemandes Tod, sondern der des hoch verehrten Dichters Alessandro Manzoni – eines geliebten Menschen. Verdi inszeniert das liturgische Geschehen auf einer imaginären Bühne und verwandelt das Werk dadurch in eine weltliche Auseinandersetzung mit fundamentalen Glaubensfragen. Er verteilt den Text auf den Chor, das Solistenensemble und die Solopartien – allein dadurch entsteht ein dramatisches Gefüge, in dem das menschliche Drama zum Menschheitsdrama erwächst.

Verdi stellt durchwegs sicher, dass jedes gesungene Wort problemlos verstanden werden kann und betont damit subtil die Bedeutung der Beziehung zwischen Wort und Ton: In gesungener Form wird das Wort «erhoben» und gewinnt an Bedeutung.Auch innerhalb der Textstruktur legt Verdi Hand an: Der Aufschrei des Dies irae erfolgt beispielsweise insgesamt an drei unterschiedlichen Stellen des Werks. Und dieselben Worte «Dies irae» lässt der Komponist den Chor inmitten der Liber scriptus-Arie des Soprans flüstern. Einen scharfen Kontrast erzeugt Verdi durch die gegeneinander gerichtete Verwendung der Textzeilen «Rex tremendae majestatis» und «Salva me», die er einmal donnernd in die Tiefe schleudert, um sie danach mit friedvoller Seligkeit in sphärische Höhen zu heben.

Das Orchester steht der dramatischen Ausgestaltung des Texts um nichts nach. Verdis Instrumentierungskunst ist verblüffend, weil sie einerseits Klangmassen erzeugt, die den Rahmen der damals bekannten Kirchenmusik sprengten; Andererseits versteht Verdi Instrumentierung auch als die Kunst der Weglassung und der Verfremdung. So erzeugen beispielsweise Flöten in tiefster Lage den Eindruck von Atemlosigkeit, die Fagottüberleitung im Libera me ist in den finstersten Klangfarben gemalt. Der stärkste orchestrale Effekt ist zweifellos der Bläsersatz, der am Tag des jüngsten Gerichts die Toten vor Gottes Thron ruft.

Die musikalische Sprache unterscheidet sich nur wenig von den vorausgegangenen Opern «Don Carlos» und «Aida», sie nimmt auch einige Charakteristika der späteren Opern «Otello» und sogar «Falstaff» hinweg. Der orchestrale Klangapparat ist entsprechend erweitert, Verdi greift – wie aus seinen Opern bekannt – zu Ensemblegruppen, die hinter den Kulissen räumliche Effekte erzielen.

Das Werk gliedert sich in sieben Teile. Allein schon wegen des Umfangs ragen die Sequenz Dies irae und das Totengebet Libera me heraus; sie gehören nicht zufällig zu jenen Sätzen, die einer Totenmesse im Vergleich zur sonst üblichen Abfolge der musikalischen Messe ihre Charakteristik verleihen.

Die Messa da Requiem beginnt mit einem Streichersatz (Requiem aeternam und das angefügte Kyrie), zu dem der Chor mit verhaltener Stimme (sotto voce) die Fürbitte um die ewige Ruhe des Toten erfleht. Man fühlt sofort die Furcht und die Traurigkeit angesichts des großen Mysteriums. Das Kyrie ist als große Ensembleszene angelegt und weitet den Raum, bevor es zur Ruhe kommt.

Mit aller Wucht bricht das Dies irae los, in dem Verdi sämtliche musikalischen Kräfte des erweiterten Orchesters und der Sänger seinem Ausdruckswillen unterwirft. Vor den Ohren der Zuhörer erhebt sich das jüngste Gericht in all seiner Strenge, um zu richten über die Lebenden und die Toten. So wie mancher Prediger die Frohbotschaft des Evangeliums als Drohbotschaft benützte, fegt die Musik über jeglichen irdischen Leichtsinn hinweg. Dass das Wort durch den Ton verstärkt wird, ist eindrucksvoll spürbar – Verdis Musik ist die Abkanzelung jeder trockenen Predigt.

Quantus tremor wird stockend geflüstert, um bald darauf in die hochexpressive Klangexplosion des Tuba mirum zu münden. Blechfanfaren wecken die Toten auf und zitieren sie vor den Thron Gottes. Ein Streicher-Ostinato wird von der Großen Trommel immer am leichten Taktteil konturiert und bringt hier im «offbeat» die Ordnung der Natur durcheinander.

Mit dem Liber scriptus des Mezzosoprans folgt die erste Arie des Requiems. An ihrer Stelle stand ursprünglich noch eine Chorfuge, Verdi ersetzte sie im Jahr nach der Uraufführung durch den Sologesang, der dem Engel des jüngsten Gerichts mehr entspricht. Es wird verkündet, dass alle Taten des Verstorbenen im Buch der Sünden festgehalten wurden. Die Melodie gerät ins Stocken, wird schließlich zu einem Sprechgesang. Das Wort «nil» («nichts») wird von bewegungsunfähiger Leere umkreist, bevor eine energiegeladene Kadenz wieder zur ersten, verkürzten Wiederholung des «Dies irae»-Chors überleitet.

Das Quid sum miser ist als Vokalterzett angelegt und behandelt die zaghafte Frage um Beistand und Hilfe. Ein groß angelegtes Ensemble ist das Rex tremendae majestatis, in dem der furchterregende Gott vom Chorbass und den Kontrabässen dargestellt wird. Im krassen Gegensatz dazu stehen alle übrigen Stimmen, die um Gnade bitten. Der Satz hat eine frappante Ähnlichkeit mit der Autodafé-Szene aus «Don Carlos».

Eine kurze Aufhellung in der düsteren Grundstimmung des Werks ist das Recordare in Form eines Duetts für Mezzosopran und Sopran. In seiner Arie Ingemisco, tamquam reus fleht der Tenor um Vergebung, bevor der zerknirschte Bass sein Confutatis maledictis anstimmt. Die vorangegangenen Solopartien werden abermals von einer ausladenden Reprise des Dies irae-Chors beantwortet. Das abschließende Lacrimosa der Sequenz legt einen schweren und schwermütigen Stein über das Grab des armen Sünders. Das Drama des jüngsten Gerichts ist vorüber.

Das Offertorium ist der hellste Satz des gesamten Werks. Holzbläser und Violinen verströmen beinahe Zuversicht, über die der Tenor abermals um Vergebung bittet. Nur der Chor erinnert bei den Worten «Quam olim Abrahae» an den Schrecken des Vorausgegangenen.

Die Chor-Doppelfuge des Sanctus weitet diesen Eindruck noch weiter aus und lässt entfernt auf ein besseres Leben im Jenseits hoffen.

Der schroffe Gegensatz dazu ist das Agnus Dei, das Verdi als Kirchenprozession im alten Stil inszeniert. Die beiden Frauenstimmen bewegen sich streng im Oktavabstand, ganz archaisch im Gestus und klangleer. Die Begleitung des Chors und des sparsam eingesetzten Orchesters umhüllt die langsam dahinschreitende Prozession der Trauer.Lux aeterna könnte direkt aus einer jener Opern Verdis entnommen worden sein, in denen Szenen mit Verurteilungen und dem ritualisierten Tod vorkommen. Die drei Solostimmen werden zwar weich von Streichern und Flöten getragen, doch der eigentliche Hauptakteur dieses Satzes ist der Chor, der im priesterlichen Ge­wand die Unabwendbarkeit des Schicksals beschwört.

Es bleibt das Libera me als letzter Satz. Verdi schrieb ihn schon Jahre vor den übrigen Teilen, als Beitrag zur erwähnten Messa per Rossini. Das einleitende Rezitativ des Soprans wird bald vom Chor unterstützt, bevor ein letztes Mal der Dies irae-Chor über die Szene hereinbricht. Dieser ausladenden, wiederholten Vergegenwärtigung des Todes folgt ein unbegleiteter Satz für die vier Solostimmen. An der Schwelle zur Hörbarkeit bitten sie abermals um «Requiem aeternam» – die ewige Ruhe für die Seele des Verstorbenen. Die Wiederholung des Rezitativs vom Beginn führt zu einer ausgedehnten Chorfuge, die vom Orchester mehr und mehr aufgebaut wird und in einer Stretta gipfelt. Das Finale ist gleichzeitig aber kein Ende. Ein letztes Mal löst sich der Sopran aus dem Geschehen, der quasi tonlos den Wunsch nach Erlösung murmelt. Die Messa da Requiem mündet nicht in einem Heilsversprechen, sondern hinterlässt Ungewissheit, entkräftete Verzweiflung und Dunkelheit. Kein verklärendes Amen breitet sich über das trostlose Bild des Todes. Gott schweigt am Ende.

© Grafenegg Kulturbetriebsgesellschaft m.b.H. | Alexander Moore