Archiv: Festival-Eröffnung

Grafenegg Wolkenturm Wolkenturm

Interpreten

  • Nikola Hillebrand, Sopran
  • Patricia Nolz, Mezzosopran
  • Cornelius Obonya, Sprecher
  • Wiener Singverein, Chor
  • Yutaka Sado, Dirigent

Programm

- Pause -
Felix Mendelssohn Bartholdy
«Ein Sommernachtstraum» Schauspielmusik für Sprecher, Soli, Chor und Orchester op. 61, Textfassung von Carolin Pienkos

Das Versprechen einer berauschenden Sommernacht – wie oft ist es im Grafenegger Schlosspark schon eingelöst worden! Bei der Eröffnung des Grafenegg Festival 2023 wird die magische Stimmung noch potenziert, wenn die Tonkünstler und ihr Chefdirigent Yutaka Sado den bunten Reigen von Felix Mendelssohn Bartholdys Schauspielmusik zum «Sommernachtstraum» von William Shakespeare anstimmen, in der natürlich auch der berühmte Hochzeitsmarsch nicht fehlen wird. Als Solistinnen stehen die Shooting-Stars Nikola Hillebrand und Patricia Nolz bereit, Cornelius Obonya übernimmt die Sprecherrolle. Neben Oberon und Puck treibt beim Eröffnungskonzert noch ein weiterer Schalk seine Späße: «Till Eulenspiegels lustige Streiche» von Richard Strauss sorgen am Wolkenturm für beste musikalische Unterhaltung.

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Richard Strauss

«Till Eulenspiegels lustige Streiche» Tondichtung op. 28

Dauer

18 Min.

«Till Eulenspiegels lustige Streiche» ist wahrscheinlich die einzige selbsterklärende symphonische Dichtung der ganzen Orchesterliteratur. Ein frecher, respektloser Geniestreich, der sich kompromisslos der lebensechten Erzählung von Tills Taten widmet. Franz Wüllner, der das Stück am 5. November 1895 in Köln uraufführte, bat Strauss schriftlich um ein Programm und erhielt via Telegramm die Antwort: «analyse mir unmöglich, aller witz in toenen ausgegeben.» So einfach war das. Und Strauss – wiewohl er sich später dann doch schriftlich zum Inhalt seiner Komposition äußerte – setzte tatsächlich ganz allein auf die Erzählkunst des Orchesters. Der Klangapparat ist beträchtlich aufgestockt und von leisestem Kichern bis hin zu zornigem Gebrüll fähig. Mit dieser instrumentalen Riesenpalette ausgestattet, macht sich Strauss an die bildhafte, mitunter handgreifliche Darstellung seines Antihelden. Selten hat ein Komponist seinen Protagonisten so liebenswürdig vorgestellt, wie es hier mit dem weltberühmten «Es war einmal...»-Thema der Fall ist. Noch während der ersten Töne der bekannten Melodie sieht man vor dem geistigen Auge, wie das Märchenbuch aufgeschlagen wird und sich der Geschichtenerzähler Strauss die Lesebrille zurechtrückt. Aber wie komponiert man einen Schelm? Indem man das Till-Thema so anlegt, dass die Hörer das Metrum und damit den rhythmischen Boden unter den Füßen verlieren: die ausgehaltene Note am Ende der ansteigenden Hornmelodie verschiebt bei jeder Wiederholung des Themas den Schwerpunkt des Taktes. So einfach, so genial. In dieser Weise verfährt Strauss mit dem Thema weiter, das uns immer wieder in gestraffter Form als Tills Gelächter (häufig von der Klarinette gespielt) begegnet und gleichzeitig auch den Formansprüchen des Rondos (oder Rondeau, wie Strauss es etwas gestelzt wohl bewusst genannt hat) genügt. Und es gibt noch viele weitere einprägsame Themen in «Till Eulenspiegel»: darunter das hohle Gerede der Philister (nüchterne Harmonien und ein Kanon als Zeichen für die endlose Diskussion), die peinliche Befragung seitens der Richter (leere, wuchtige Quinten der Holz- und Blechbläser) und die abstürzende Septime, die das Todesurteil verkündet. Gelächter, Geschrei und sprachlicher Wirrwarr sind ebenso vertont wie das letzte Röcheln des Verurteilten am Strick, das die Klarinette in höchster Lage herausfiept.

Richard Strauss erklärte seine Absichten hinter der Komposition so: «Es ist mir unmöglich, ein Programm zu Eulenspiegel zu geben: in Worte gekleidet, was ich mir bei den einzelnen Teilen gedacht habe, würde sich oft verflucht komisch ausnehmen und viel Anstoß erregen. – Wollen wir diesmal die Leutchen selber die Nüsse aufknacken lassen, die der Schalk ihnen verabreicht. Um überhaupt ein Verständniß zu ermöglichen, genügt es vielleicht, auf das Programm die beiden Eulenspiegelthemen zu notieren: [Anm.: Hier fügt Strauss Notenbeispiele ein] die das Ganze in den verschiedensten Verkleidungen und Stimmungen, wie Situationen durchziehen bis zur Katastrophe, wo er aufgeknüpft wird, nach dem das Urteil: [Anm.: Notenbeispiel der abstürzenden Septime] über ihn gesprochen wurde. Die Amollepisode ist seine Promotion bei den philiströsen Professoren, ich glaube in Prag, wo Till durch seine monströsen Thesen eine förmliche babylonische Sprachenverwirrung (das sog. Fugato) anrichtet und sich, nachdem er sich weidlich darüber verlustiert hat, [...] entfernt [...]. Das aber bitte als Privatmitteilung zu betrachten: Bemerkungen in der Partitur wie ‚liebeglühend’ etc. werden sicher das unmittelbare Verständniß für die inhaltliche Bedeutung der einzelnen Episoden vervollständigen, dto. ‚kläglich’: sein Geständniß etc. etc.»

Und einige Jahre später notierte Richard Strauss dann schließlich doch in einer Studienpartitur «sein» Programm, anhand dessen man sich mühelos durch das Stück hören kann:

1.    Es war einmal ein Schalksnarr.2.    Namens «Till Eulenspiegel».3.    Das war ein arger Kobold.4.    Auf zu neuen Streichen.5.    Wartet nur ihr Duckmäuser. 6.    Hop! Zu Pferde mitten durch die Marktweiber.7.    Mit Siebenmeilenstiefeln kneift er aus.8.    In einem Mauseloch versteckt.9.    Als Pastor verkleidet trieft er von Salbung und Moral.10.    Doch aus der großen Zehe guckt der Schelm hervor.11.    Faßt ihn ob des Spottes mit der Religion doch ein heimliches Grauen vor dem Ende.12.    Till als Kavalier, zarte Höflichkeiten mit schönen Mädchen austauschend.13.    Er wirbt um sie.14.    Ein feiner Korb ist auch ein Korb.15.    Schwört Rache zu nehmen an der ganzen Menschheit.16.    Philistermotiv17.    Nachdem er den Philistern ein paar ungeheuerliche Thesen aufgestellt, überläßt er die Verblüfften ihrem Schicksal.18.    Große Grimasse von weitem.19.    Tills Gassenhauer.20.    Das Gericht.21.    Er pfeift noch gleichgültig vor sich hin!22.    Hinauf die Leiter! Da baumelt er, die Luft geht ihm aus, eine letzte Zuckung. Tills Sterbliches hat geendet.Merkwürdigerweise fehlt ein Hinweis auf den Epilog, der für die Unsterblichkeit Tills steht. «Till Eulenspiegels lustige Streiche» war ein spontaner Erfolg und wurde mehrfach wiederholt. Die Nüsse, die Strauss den «Leutchen» zu knacken aufgegeben hatte, verfehlten auch bei einer Aufführung in Paris nicht ihre Wirkung. So schrieb Claude Debussy, der eine Aufführung als Kritiker für die «Revue blanche» gehört hatte: «Dieses Stück gleicht ‚einer Stunde neuer Musik bei den Verrückten’: Die Klarinetten vollführen wahnsinnige Sturzflüge, die Trompeten sind immer verstopft, und die Hörner, ihrem ständigen Niesreiz zuvorkommend, beeilen sich, ihnen artig ‚Wohl bekomm’s!’ zuzurufen; eine große Trommel scheint mit ihrem Bum-Bum den Auftritt von Clowns zu unterstreichen. Man hat gute Lust, lauthals rauszulachen oder todtraurig loszuheulen, und man wundert sich, dass noch alles an seinem gewohnten Platz ist, denn es wäre gar nicht so verwunderlich, wenn die Kontrabässe auf ihren Bögen bliesen, die Posaunen ihre Schalltrichter mit imaginären Bögenstrichen und Herr Nikisch [Anm.: der Dirigent der Aufführung] sich auf den Knien der Platzanweiserin niederließe. Das alles sagt nichts dagegen, dass das Stück geniale Züge besitzt, vor allem eine außerordentliche Sicherheit in der Orchesterbehandlung und eine unbändige Bewegung, die uns von Anfang bis Ende mitreißt und zwingt, alle Streiche des Helden mitzuerleben. Nikisch hat ihre tumultöse Abfolge mit bewundernswerter Kaltblütigkeit dirigiert, und der Beifall, der ihm und seinem Orchester entgegenbrandete, war in höchstem Maße berechtigt.» Selten ließ sich ein Kritiker zu so plastischen Schilderungen hinreißen. Aber das scheint eben ein unzerstörbares Merkmal des «Till Eulenspiegel» zu sein – er berührt jeden.

© NÖ Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Alexander Moore