Prokofjew & Rachmaninow

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Interpreten

  • Andreï Korobeinikov, Klavier
  • Hugh Wolff, Dirigent

Programm

Gabriela Lena Frank
«Escaramuza» für Streicher, Schlagwerk, Harfe und Klavier
- Pause -
Sergej Rachmaninow

Kaum jemals gönnt Sergej Prokofjew dem Solisten eine Pause in seinem zweiten Klavierkonzert, beinah ständig muss er sich mit geradezu akrobatischer Brillanz beweisen – und die Durchführung des Kopfsatzes ist überhaupt eine einzige, riesenhafte Kadenz: ein klarer Fall für den international gefeierten Pianisten Andreï Korobeinikov. Noch ein russisches Werk bringt Hugh Wolff diesmal mit, nämlich Sergej Rachmaninows großartige symphonische Tänze: eine verkappte letzte Symphonie, in der er mit Geistern der Vergangenheit Frieden schließt. Dazu noch Gabriela Lena Franks «Escaramuza»*, außergewöhnlich besetzt und inspiriert von den energetischen Tanzrhythmen der traditionellen südamerikanischen Kachampa-Musik: ein atemberaubendes Programm.

 

* Österreichische Erstaufführung am 25. Mai 2024 in Grafenegg

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Sergej Prokofjew

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 16

Sätze

  • Andantino - Allegretto

  • Scherzo. Vivace

  • Intermezzo. Allegro moderato

  • Finale. Allegro tempestoso

Dauer

30 Min.

Entstehung

1913/1923

Sergej Prokofjew war ein verwöhntes Kind. Seine Eltern widmeten ihm, dem hochbegabten Sprössling, alle Aufmerksamkeit und hielten den Knaben recht abgeschieden von den Nachbarn auf dem ukrainischen Landsitz, den sein Vater leitete. Schon im zarten Alter von knapp sechs Jahren komponierte der kleine Serjoscha sein erstes Stück. Früh lernte er die Oper kennen, wurde in jeglicher finanziell möglichen Art musikalisch gefördert und entwickelte sich dank seines überragenden Talentes auch entsprechend. Von 1904 bis 1914 schließlich studierte Prokofjew am St. Petersburger Konservatorium unter anderem bei Rimski-Korsakow und Ljadow, trat bald mit eigenen Kompositionen an die Öffentlichkeit und machte sich vor allem auch als hervorragender Pianist einen Namen. Es waren demnach, neben fünf Opernversuchen und etwas Symphonischem, vor allem Klavierwerke, die er bis zum Austritt aus dem Konservatorium geschrieben hatte, darunter seine ersten beiden Klavierkonzerte. Prokofjew war zu der Zeit für die fortschrittlichen Musiker und Kritiker Russlands dank seiner starken musikalischen Ausdrucksweise ein Hoffnungsschimmer: «Mit welchem Genuss und gleichzeitig welcher Bewunderung registriert man diese markante und urgesunde Erscheinung in der jetzigen Flut verzärtelter, schwächlicher und blutarmer Kompositionen» schrieb etwa der Komponist Nikolai Mjaskowski damals über seinen Kommilitonen Prokofjew. Worum es Mjaskowski allerdings eigentlich geht, ist nicht zuletzt das Nationalbewusstsein, das er aus der Musik seines lebenslangen Freundes Prokofjew heraushörte: «Der ganze Lärm, der bei uns gewöhnlich um alles, was aus dem Ausland kommt, gemacht wird, verdeckt letztlich nur jenes Krähwinkel-Vandalentum, mit dem bei uns das Eigene negiert wird. Lasst uns damit Schluss machen», forderte Mjaskowski in einem Brief.

Prokofjew blieb seiner Musiksprache zeitlebens treu, wurde später in der Sowjetunion genau so wegen Modernismen traktiert. «Es ist einfach unmöglich, Prokofjews Musik nicht sogleich als solche zu erkennen und von der anderer Komponisten zu unterscheiden … Sie ist scharf zupackend, herb, ausgesprochen zügig und stürmisch vorwärtsdrängend … Das ist eine Musik der Bewegung, eine Musik, die keine Ermüdung kennt…» konstatierte der Musikkritiker Boris Assafjew im Jahr 1927. Und damit traf er exakt den Nerv der Prokofjewschen, auch zutiefst romantischen Tonsprache, und zwar unabhängig davon, ob es die späteren großen Ballette «Romeo und Julia» oder «Aschenbrödel» sind, seine großen Symphonien, die großen Opern – oder die Klavierkonzerte. Das erste der beiden, in Des-Dur, sein op. 10, brachte er selbst am Klavier im Juli 1912 heraus – eine höchst erfolgreiche Uraufführung, die ihm nicht zuletzt Einladungen zu Konzerten einbrachte. Gewiss, die Kritik war gespalten – die Konservativen beschimpften das Werk als «musikalischen Dreck» und erklärten Prokofjew für verrückt. Die Befürworter lobten ihn in den Himmel. Dennoch war auch konstruktive Kritik darin, die er schließlich bei der Komposition seines zweiten Klavierkonzertes berücksichtigen sollte, dessen Komposition er, durch den Erfolg des Ersten ermutigt, schon Ende 1912 in Angriff nahm: «Was manche meinem Ersten Klavierkonzert vorgeworfen hatten: Jagd nach äußerem Glanz und ein gewisser Fußballcharakter, gaben mir die Veranlassung, im Zweiten nach größerer inhaltlicher Tiefe zu streben.» Aber nicht nur die dichte Struktur des neuen Klavierkonzertes, auch dessen pianistische Anforderungen gehen über die des Ersten deutlich hinaus: «Die intensive Arbeit an der Vervollkommnung der pianistischen Technik in der Klasse von Frau [Anna Nikolajewna] Jessipowa zeitigte im neuen Konzert ihre Früchte: Das Klavier nimmt ständig eine dominierende Stellung ein, der Solopart strotzt förmlich von verschiedenartigen spieltechnischen Raffinessen, die Faktur ist kompliziert und trägt stellenweise sogar dekorativen Charakter.» (Natalja Pawlowna Sawkina, in: Sergej Sergejewitsch Prokofjew) Wie nicht anders zu erwarten, war das Publikum schockiert von der Elementarkraft und Unerbittlichkeit des Werkes und rannte in Scharen davon. Eine Kritik der St. Petersburger Zeitung schildert den Verlauf so: «… Ein Teil des Publikums ist entrüstet, ein Pärchen versucht sich zum Ausgang durchzudrängeln: Von einer solchen Musik muss man ja verrückt werden! – Der will sich wohl über uns lustig machen? Aus den verschiedenen Ecken des Saales laufen jetzt Hörer dem ersten Pärchen hinterher. Prokofjew ist inzwischen beim zweiten Satz angelangt: wiederum ein rhythmischer Haufen von Tönen! Der beherzte Teil des Publikums beginnt jetzt zu zischen. Der Saal leert sich. … Der Skandal im Publikum ist perfekt. …» Nun, heutzutage ist Prokofjews Zweites Klavierkonzert längst selbstverständlicher Teil der Musikwelt geworden; seine Kraft, die einprägsamen Themen und vor allem die rein pianistische Wucht allein wirken jedes Mal wieder erstaunlich. Während des zweiten Weltkrieges ging die Partitur verloren, Prokofjew musste das Konzert 1923 neu instrumentieren; er selbst führte es 1929 zum letzten Mal auf, erst der kubanische Pianist Jorge Bolet brachte es 1949 zurück in den Konzertsaal. Langsam und getragen eröffnet nach knappen Pizzicati das Klavier die Tour de force des ersten Satzes. Das Hauptthema wird sogleich variiert und einige Male wiederholt, bevor sich, im Tempo eine Spur angezogen, ein zweites Thema etabliert, das seinerseits auch sogleich stark vorwärts drängt. Dann kehrt das Hauptthema wieder, diesmal ohne Orchester, und das Klavier verstrickt sich immer weiter in eine der größten Kadenzen der Klavierkonzertgeschichte. Das Besondere dabei: Es ist darin auch gleich die komplette Durchführung enthalten! Diese stellt nicht nur den Pianisten vor eine Riesen-Aufgabe, sondern auch die Musik selbst droht Gefahr zu laufen, unter dem Gewicht begraben zu werden. Doch vier Hörner, Trompeten, Posaunen und Tuba setzen dann doch entsprechende orchestrale Autorität entgegen, und der Spuk findet ein Ende: So ruhig, wie er begonnen hatte, klingt dieser erste, wahrhaft monumentale Satz aus. Im zweiten, einem drängend dahinrasenden Scherzo, hat der Pianist tatsächlich nicht eine einzige Sechzehntel-Note Pause und erledigt so ganz nebenbei die Aufgabe, eine Unmenge an harmonischen Wendungen abzuliefern und witzige Motive anzubringen. Sprungkraft benötigt der so harmlos mit Intermezzo überschriebene dritte Satz, dessen urwüchsige Kraft als zweiten Themenschwerpunkt eine lyrischere Farbe erhält, jedoch auch sofort wieder in die variierte Verarbeitung des Hauptthemas zurückkehrt. In bester Lisztscher Manier durchwandert Prokofjew eine klaviertechnische Finesse nach der anderen, von großen Akkorden, über Glissandi, weite Sprünge, um sich immer weiter in die Themen zu vergraben – bevor der Satz in lakonischer Knappheit am Höhepunkt abebbt und im Pianissimo versackt. Das Finale hebt unerbittlich vorwärts drängend an, kommt allerdings bald beinahe völlig zum Stillstand: Ein zweites, ruhigeres, kontrastierendes, folkloristisch angehauchtes Thema wird vorgestellt, das an ein Arbeitslied der Wolgaschlepper gemahnt. Es gewinnt ebenso stetig an Bewegung – und bricht schließlich ab. Die Überleitungstakte zum Mittelteil blitzen wieder auf und scheinen zurück zum Hauptthema des Finales zu leiten – doch erwächst daraus eine mächtig aufrauschende Kadenz, die an Tempo und Dichte zulegt und schließlich im Verein mit dem Orchester, nach einer knappen Reminiszenz an das Folklore-Thema, in der Coda explodiert.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Markus Hennerfeind

Sergej Rachmaninow

Symphonische Tänze op. 45

Sätze

  • Non allegro

  • Andante con moto (Tempo di valse)

  • Lento assai - Allegro vivace

Dauer

35 Min.

Entstehung

1940

Sergej Rachmaninow, der gefeierte Pianist und populäre Komponist von Klaviermusik, beschloss sein kompositorisches Schaffen mit zwei reinen Orchesterstücken: der Symphonie Nr. 3 a-moll op. 44 und den Symphonischen Tänzen op. 45. In beiden Werken fällt in der Klanggebung eine Neuorientierung hin zu schärferen Kontrasten und in der thematischen Gestaltung hin zu knapperen Formulierungen auf. Das Klavier kommt nur noch als Orchesterinstrument im Kopfsatz der Tänze vor, in deren Instrumentierung besondere Farbtupfer wie das Glockenspiel und ein Saxophon eingesprenkelt sind.

Die ungewöhnliche Verbindung von symphonischer und tänzerischer Musik hat ihren Grund in der Motivation zu der Komposition. Die «Paganini-Rhapsodie», vor den beiden letzten symphonischen Werken als Konzertstück für Klavier und Orchester entstanden, fand einen ungewöhnlichen Interpreten. Michail Fokin, der große russische Choreograf, der schon Strawinskis frühe Meisterwerke «Der Feuervogel» und «Petruschka» auf die Bühne gebracht hatte, sah sich von Rachmaninows Rhapsodie zu einer Choreografie angeregt, die 1939 am Londoner Covent Garden gezeigt wurde.

Die fruchtbare Zusammenarbeit mit Fokin löste einen Schaffensschub bei Rachmaninow aus, und er konzipierte in Hinblick auf eine weitere Tanzproduktion drei «Fantastische Tänze» mit den Titeln «Mittag – Dämmerung – Mitternacht», die aber dann keine Umsetzung durch Fokin fanden. Rachmaninow veröffentlichte das Werk als Symphonische Tänze und widmete sie seinem Dirigentenfreund Eugene Ormandy und dessen Philadelphia Orchestra, die das Werk am 3. Jänner 1941 zur Uraufführung brachten.  Zwar ist der Mittelsatz (Andante con moto) im Tempo eines Walzers gehalten, aber Rachmaninow komponierte nicht explizit eine Abfolge von Tänzen, sondern er charakterisierte das Moment des Tänzerischen an und für sich und betonte rhythmisch-tänzerische Impulse. Das erbrachte eine gestenreiche und ausdrucksstarke Orchestermusik mit Marschanklängen im 1. Satz, dem walzerhaften Mittelsatz im 6/8-Takt und einem Finale in derselben Taktart, das sich zu einer Art Danse macabre steigert.

Intuitiv ließ Rachmaninow, der Ende März 1943 einem kurz zuvor diagnostizierten Krebsleiden erlag, in die Symphonischen Tänze, die sein Schwanengesang werden sollten, Motive des Abschieds und der Reminiszenz einfließen. Am Ende des dreiteiligen Kopfsatzes (A-B-A, Non allegro) spielen die Streicher als zarten Hymnus das Hauptthema aus der 1. Symphonie des Komponisten, gebettet auf glitzernde Arpeggien von Glockenspiel, Klavier und Harfe. Eine sentimentale Erinnerung an die symphonischen Anfänge vier Jahrzehnte zuvor.

Im dritten Satz (Lento assai – Allegro vivace) taucht die gregorianische «Dies irae»-Sequenz, also das Thema des Jüngsten Tages, auf. Allerdings sind Tonschritte aus diesem Motiv in vielen der sequenzhaften Themen Rachmaninows enthalten, so auch im zitierten Hauptthema der 1. Symphonie und im dynamischen Allegro des Finales der Symphonischen Tänze. Daraus wächst dann das «Dies irae» glanzvoll in den Blechbläsern heraus und geht am Ende in das von Glocken eingeläutete «Allelujah» aus der russisch-orthodoxen Kirchenmusik über. Auch dies ist ein Nachklang: Das «Allelujah» hat Rachmaninow 1915 in seine Choralvesper «Nacht-Vigilie» einkomponiert.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Rainer Lepuschitz