Robert Schumann

Konzert für Violine und Orchester d-Moll WoO 1

Sätze

  • In kräftigem, nicht zu schnellem Tempo

  • Langsam -

  • Lebhaft, doch nicht schnell

Dauer

30 Min.

Entstehung

1853

Robert Schumanns gewiss außergewöhnliche Begabung für das Klavier ist nicht ganz unschuldig daran, dass große Teile seines Schaffens erst mit merklicher Verspätung Eingang in den Kanon finden konnten. Schumann, einer der bedeutendsten Komponisten des 19. Jahrhunderts, habe, so musste Egon Voss noch 1987 feststellen, «ein umfangreiches Œuvre für Orchester hinterlassen, ohne doch als Orchesterkomponist entsprechend bekannt und anerkannt zu sein. Er schrieb mehr Symphonien, Ouvertüren und Konzerte als Johannes Brahms, ist im Musikrepertoire jedoch mit weniger Werken präsent als jener.» Zwei hartnäckige Vorurteile machte Voss damals für diesen Mißstand verantwortlich: «Zum einen möchte man in Schumann nichts als den genialen Klavierkomponisten sehen, den versponnenen Träumer, dem die mehr extrovertierte Orchestermusik angeblich wesensfremd ist (die Schumann-Literatur hat diesem Bild lange Zeit das Wort geredet.)» Diese Voreingenommenheit mag auch damit zusammenhängen, dass Schumann ursprünglich Pianist werden wollte, womit sich die Kompositionen jenseits seines gleichsam angestammten Instruments leicht als zu hoch gegriffen abtun ließen. «Zum anderen», so Voss weiter, «– und dieses Vorurteil hängt mit dem ersten unmittelbar zusammen – hat man Schumann von jeher vorgeworfen, schlecht instrumentiert zu haben.» Seither haben sich die Zeiten doch gewandelt: Waren einst unbekümmert Eingriffe in Schumanns Orchestrierung gang und gäbe, durch welche die Probleme auf andere Weise eher verschärft denn gelöst wurden, hat sich mittlerweile, befördert durch Erkenntnisse aus der historischen Aufführungspraxis, herausgestellt, dass für viele einst als zu dick und massiv erachtete Stellen der veränderte Klangcharakter des modernen Instrumentariums verantwortlich ist. Mit schlanker Tongebung und klarer Artikulation kann freilich auch mit Instrumenten der Gegenwart die von Schumann intendierte Transparenz erreicht werden.

Die wechselvolle Geschichte von Schumanns Violinkonzert, einem wertvollen, lange mißverstandenen Beitrag zur romantischen Konzertliteratur, wirkt stellenweise wie ein Groschenroman und gehört zweifellos «zum Bizarrsten, was die Musikhistorie aufzuweisen hat» (Bernhard R. Appel). Die Begegnung mit dem großen Geiger Joseph Joachim, der später auch das Violinkonzert von Brahms anregen sollte, hatte 1853 in Schumann ältere Pläne reifen lassen; nach einer Phantasie für Violine und Orchester op. 131 entstand das Violinkonzert d-moll in der kurzen Zeit zwischen 21. September und 3. Oktober. Das Düsseldorfer Konzertkomitee wünschte sich jedoch zuerst die Phantasie, nicht das Konzert als Uraufführung, wie Joseph Joachim und Schumann eigentlich beabsichtigt hatten. Es kam nur noch zu einer nicht öffentlichen Probeaufführung im Jänner 1854 in Hannover, bevor Schumann im Februar seinen Selbstmordversuch unternahm und in die Anstalt eingeliefert wurde – eine auch für das Violinkonzert fatale Wendung. Denn nun wurden Joachim und Clara Schumann unsicher, ob ihre zunächst hohe Wertschätzung des Werks gerechtfertigt sei und glaubten zunehmend, in ihm Zeichen des geistigen Verfalls entdecken zu können. Das Werk blieb unter Verschluß – bis 1933 zwei Nichten Joachims behaupteten, in spiritistischen Sitzungen von ihrem verstorbenen Onkel und dem toten Schumann selbst um Veröffentlichung des Violinkonzerts gebeten worden zu sein. Die Preußische Staatsbibliothek, nach Joachims Tod im Besitz des Autographs, setzte sich über den Willen der noch lebenden jüngsten Schumann-Tochter hinweg und gab das Werk zum Druck frei. Die nationalsozialistische Kulturpolitik aber wusste eine Uraufführung durch den besonders begeisterten Yehudi Menuhin zu verhindern: 1937 hoben Georg Kulenkampff und die Berliner Philharmoniker unter Karl Böhm das Konzert aus der Taufe. Menuhin zog 1938 in den USA nach – mit dem Unterschied, dass er sich an das Original hielt, während Kulenkampff stillschweigend eine virtuose, Schumanns Partitur verfälschende Bearbeitung spielte, die von Paul Hindemith stammte (weshalb diese wesentliche In-formation in Nazideutschland einfach unterdrückt wurde, da Hindemith kulturpolitisch verfemt war). Erst in jüngerer Zeit findet das Werk in seiner originalen Gestalt breitere Beachtung.

Thematisch-motivische Reminiszenzen und eine Überleitung vom langsamen Satz ins Finale betonen die innere Ge-schlossenheit des Konzerts. Das Hauptthema des Stirnsatzes (In kräftigem, nicht zu schnellem Tempo) «klingt wie der Beginn einer ungeschriebenen Symphonie Bruckners» (Dietmar Holland), scheint aber auch barockisierende Strenge à la Brahms vorwegzunehmen und wird von einem liedhaft-lyrischen Seitenthema ausbalanciert. Pathos und Reflexion dominieren hier, beides freilich auf kammermusikalischer Basis, die den Solisten hervortreten läßt, ohne bei allen technischen Herausforderungen ihm je äußere Virtuosität abzuverlangen. Vom Ausdruck her überaus intensive, in der Faktur aber zarte Sanglichkeit prägt den zweiten Satz (Langsam), «Soloinstrument, Streichersatz und solistisch eingesetzte Bläser sind kontrapunktisch und durch rhythmische Verschiebungen aufs feinste miteinander verwoben» (Appel). Überraschend leutselig gibt sich daraufhin das nach nur vier Überleitungstakten ausbrechende Finale (Lebhaft, doch nicht schnell), ein Sonatenrondo, das mit seinem rustikal-schmissigen Polonaisen-Thema, reizvollen Couplets und kapriziösen Girlanden der Solovioline den heiteren Kehraus bildet.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer

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