Carl Nielsen

Konzert für Violine und Orchester op. 33

Dauer

34 Min.

Carl Nielsen dachte in Tönen zwiespältig: «Wir müssten sehen, dass wir von den Tonarten wegkommen und dennoch diatonisch überzeugend wirken. Darum geht es, und da spüre ich in mir ein Streben nach Freiheit», schrieb er 1913 in einem Brief. Er wollte von der traditionellen spätromantischen Dur-Moll-Musik weg, aber nicht hinaus in ein tonales Niemandsland, sondern – ausgehend von der Volksmusik – hin zum verstärkten Erlebnis der Melodie als der eigentlichen musikalischen Energiequelle.

Um jeden Preis wollte er an der Verständlichkeit und Klarheit des Themas festhalten; und er gelangte in die Nähe der alten Kirchentonarten, ohne dass er sie jemals als einen neuen stilistischen Ausgangspunkt in Betracht zog. In einigen Werken näherte sich Nielsen der Bitonalität oder der Atonalität, aber gleichzeitig komponierte er weiterhin volkstümliche Lieder. Nichts deutet darauf hin, dass er jemals der Meinung gewesen wäre, es bestünde zwischen der einfachen Liedstrophe und den scharfen Ausdrucksmitteln der neuen Musik ein Widerspruch. Im Mozart-Jahr 1906 äußerte sich Nielsen begeistert über Mozart, später verband er sich ebenso stark mit Bach, und immer deutlicher wurde bei ihmdie Auffassung, dass die ganz große und provozierende Musik jene des 18. Jahrhunderts sei. SeineOper nach der Holberg-Komödie «Maskerade» verwendet das Maskeradenfest als Symbol für das Jahrhundert des Lichts, der Klarheit, der Aufklärung. In seiner Einstellung mag Nielsen an Ferruccio Busoni, den er früh persönlich kennen lernte, und an dessen Ideen von der «jungen Klassizität» erinnern. Er wollte aber unter keinen Umständen im alten Stil schreiben und seine Musik lässt sich schwer in einem einzigen Begriff zusammenfassen; es ist, als habe er eine kompositorische Herausforderung darin empfunden, höchst unterschiedliche Impulse und Eingebungen in ein- und demselben Werk zusammenzubringen.

Das Violinkonzert op. 33 komponierte Nielsen unmittelbar in Anschluss an seine dritte Symphonie, die «Sinfonia espansiva». Teile des Konzerts entstanden während eines Sommeraufenthalts 1911 in Norwegen. Nina Grieg hatte Nielsen zu einem Besuch bei ihr in Trollhaugen eingeladen. Und so kames, dass der dänische Komponist in jener Hütte, in der seinerzeit auch Edvard Grieg gearbeitet hatte, an seinem Violinkonzert schrieb. Auf diese Weise ist die Genesis dieses dänischen Violinkonzertes mit Norwegen verbunden, so wie umgekehrt ein norwegisches Solokonzert mit Dänemark: Grieg hatte einst sein Klavierkonzert größtenteils in Kopenhagen komponiert. «Es geht vorwärts mit meinem Violinkonzert, aber die Aufgabe ist durchaus nicht einfach: Auf der einen Seite sollte es ja ordentliche Musik sein, und auf der anderen wäre es sinnlos, ausgerechnet ein Konzert zu schreiben, wenn man dies ohne Rücksicht auf die Instrumente tun würde. Eben diese Sache ist so schwierig; denn allzu ausgetretene Passagen usw. kann ich nicht ausstehen.» Dieser Schilderung in einem Brief Nielsens an einen Musikerfreund kann man entnehmen, dass der Komponist um die Form des Werkes gerungen hat: Wie ließ sich ein virtuosen Ansprüchen genügendes Solokonzert mit einer avancierten kompositorischen Gestaltung in Einklang bringen? Diese Problematik wird in dem Werk deutlich hörbar. So teilte Nielsen dem Soloinstrument auffällig viele Gelegenheiten zu exponierter solistischer Entfaltung zu: Das Konzert enthält gleich drei Kadenzen und darüber hinaus mehrere rhapsodische Episoden brillanten Zuschnitts. Aber ebenso verlieh er dem Werk einen besonders ausgeklügelten Aufbau, der dem üblichen Konzertschema zuwiderläuft. Die Solostimme wird zudem immer wieder abrupt aus ihrer autonomen Welt geholt und in die Gesamtstruktur der thematischen Verarbeitung und formalen Entwicklung verstrickt. So wirken auch die Kadenzen keineswegs als eigentliche Höhepunkte oder Ziele, sondern haben eher aufbereitenden Charakter.

Das Werk läuft in seiner Form aufeinander zu. So könnte der Anfang auch das Ende sein, und den Ausklang des Werkes könnte man sich auch als Einstieg vorstellen. Ist das Konzert auch in vier Sätze aufgeteilt, so stellt es zwei große Teile einander gegenüber, denn sowohl der erste und zweite, als auch der dritte und vierte Satz sind jeweils miteinander verknüpft, gehen ineinander über beziehungsweise auseinander hervor.

Teil I: Einem Akkord des ganzen Orchesters folgt sogleich eine harmonisch quer gestellte Kadenz der Violine. Fast im Stil einer Chaconne erobert das Soloinstrument Terrain, doch nach und nach – zunächst im Fagott und Horn – kommt auch das Orchester ins Spiel, während die Solovioline von der Virtuosität langsam in eine lyrische Spielweise übergeht. Die Melodik mündet in einem Motiv, das beinahe ein wörtliches Zitat des «Nimrod»-Satzes aus Edward Elgars «Enigma-Variationen» darstellt. Unvermittelt beginnt nun der zweite Satz, der eigentliche Allegro-Hauptsatz. Die energische und kompakte Thematik des Orchesters wird von der Violine aufgegriffen, in der Folge kommt es zu vielen Verschränkungen. Dazwischen trumpft die Violine mit einer zweiten, nunmehr ausführlicheren Kadenz auf. Im Übergang auf das Orchestertutti erinnert die spieltechnische Variante des Soloinstruments an die entsprechende Stelle im Kopfsatz von Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert.

Teil II: Die Holzbläser schlagen ein musikalisches Poesiealbum auf, in dem sich zarte melodische Zeichnungen der Solovioline, sehnsüchtige Seufzermotive, aber auch eine ausdrucksvolle Darstellung des B-A-C-H-Motivs finden. Beim Weiterblättern gelangt man direkt in das Finale, dessen munter hüpfendes Rondothema volkstümlichen Einschlag hat. Die Solovioline bringt aber – als Couplets – auch elegante Melodien ein. Nach einer weiteren virtuosen Kadenz setzt das Rondo heiter und vergnügt fort. Allmählich zieht sich das Orchester in einen ruhigen Winkel zurück, während die Solovioline in hohenLagen entfleucht. Ein Forte-Akkord des Orchesters markiert den Schluss. Oder den Anfang.

© NÖ Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Rainer Lepuschitz

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