Olivier Messiaen

«Les Offrandes oubliées» Méditation symphonique

Sätze

  • La croix

  • La péché

  • L'Eucharistie

Dauer

12 Min.

Entstehung

1930

Olivier Messiaen ist eine der außergewöhnlichsten Erscheinungen in dem an Vielfalt nicht gerade armen 20. Jahrhundert. Er fügte sich mit seiner höchst individuellen Tonsprache in kein gängiges Schema – gleichzeitig widerstrebt es einem, ihn angesichts seiner spirituellen Prägung und einer gewissen Unaufgeregtheit einen Querdenker oder Revolutionär zu nennen. 1908 in einer von Literatur geprägten Familie geboren, zeigte sich seine außerordentliche musikalische Begabung schon früh. Die Eltern ermöglichten ihm Klavierunterricht, der nahtlos in ein Studium am Conservatoire in Paris überging. Insgesamt war Messiaens Kindheit geprägt von Märchen, fantastischen Geschichten aller Art und der Ernsthaftigkeit, mit der in seiner Familie damit umgegangen wurde. Hinzu kam die Religiosität, die für ihn zeit seines Lebens von größter Bedeutung war: «Es ist unbestreitbar, dass ich in den Wahrheiten des katholischen Glaubens diese Verführung durch das Wunderbare hundertfach, tausendfach multipliziert wieder gefunden habe, und es handelte sich nicht mehr um eine theatralische Fiktion, sondern um etwas Wahres.», sagte er später. Hierin liegt ein wesentliches Merkmal von Messiaens Kunstauffassung begründet, die sich von den prominenten Denkrichtungen und Schulen des 20. Jahrhunderts nie wirklich beeindrucken ließ. Messiaen entwickelte schon während seiner Studienjahre, die er ohne nennenswerte Krisen und Brüche absolvierte, die Grundlagen seiner persönlichen Musiktheorie. Er veröffentlichte seine Thesen 1944 und blieb ihnen ein Komponistenleben lang im Wesentlichen treu – lediglich Verfeinerungen kamen später hinzu.

Neben der Pflege des «Messiaen»-Stils finden sich in den Kompositionen ab etwa Mitte der 1950er Jahre direkte Verweise auf die Vogelwelt, genauer gesagt: auf den Vogelgesang. Als autodidakter Ornithologe war Olivier Messiaen in der Lage, mehr als 700 Vogelarten hörend voneinander zu unterscheiden – eine Fähigkeit, die er in seine musikalische Arbeit einfließen ließ. Sowohl den Einsatz von Vogelstimmen (beispielsweise prominent zu hören in der 1992 in Salzburg aufgeführten Oper «Saint François d’Assise») als auch seinen mühelosen und angstfreien Umgang mit komplexen Rhythmen, Gregorianik, Zahlenmystik oder den Klängen indonesischer Gamelan-Ensembles begründete Messiaen folgendermaßen: «Angesichts so vieler entgegengesetzter Schulen, überlebter Stile und sich widersprechender Schreibweisen gibt es keine humane Musik, die dem Verzweifelten Vertrauen einflößen könnte. Da greifen die Stimmen der unendlichen Natur ein.» Ebendiese Natur und seine absolute Sicherheit im Umgang mit jedem musikalischem Stilmittel, das ihm nach sorgfältiger Prüfung geeignet erschien, machen den unverwechselbaren Stil dieses genialen und eigentümlichen Komponisten aus. Und zuletzt sei noch erwähnt, dass Messiaen als Synästhetiker gilt, was so viel bedeutet, dass er Klänge mit Farben assoziierte und umgekehrt. Es ist nach heutigen Maßstäben strittig, ob diese Fähigkeit bei Messiaen tatsächlich im engeren Sinn so stark ausgeprägt war; Tatsache ist jedoch, dass er in zahlreichen Einführungen und seinen Werken vorangestellten Texten Töne immer wieder mit Farben umschrieb.

Musikalisch legte Messiaen mit «Les Offrandes Oubliées» im Jahr 1930 sein erstes großes Orchesterwerk vor. Alle Merkmale seines persönlichen Stils sind bereits enthalten: Ungleiche Taktlängen erzeugen das Gefühl, als würde die Musik schweben, unglaubliche atmosphärische Dichte und freie Tonalität setzen sich zu einem frühen Zeugnis von Messiaens beeindruckender Kunstfertigkeit im Umgang mit dem Orchester zusammen. Später kamen freilich noch komplexere Rhythmen und die gewonnenen Eindrücke aus Messsiaens Tätigkeit als Vogel(gesang)kundler hinzu.

«Les Offrandes Oubliées» ist – ähnlich einem Altarbild – als religiöses Triptychon angelegt. Zwei sanfte Außenflügel umrahmen ein dominantes Bild in der Mitte. Die drei Sektionen repräsentieren das Kruzifix, den Abstieg in das Reich der Sünde und die Erlösung durch die Eucharistie. Das Werk ist das erste von vielen Orchesterstücken aus Messiaens Feder, in denen der Komponist seine tiefe Religiosität zum Ausdruck brachte. Seinem ersten Orchesterwerk stellt er ein Prosagedicht voran:

«Die Arme ausgebreitet, zu Tode betrübt, vergießest du auf dem Kreuzesstamm dein Blut. Du liebst uns, süßer Jesus, wir haben es vergessen. Vom Wahnsinn und von der Schlange Zunge getrieben, sind wir in einem hemmungslosen, unaufhaltsamen Lauf in die Sünde hinabgestiegen wie in ein Grab. Hier ist der reine Tisch, der Quell der Mildtätigkeit, das Festmahl der Armen, hier das anbetungswürdige Mitleid, das uns das Brot des Lebens und der Liebe darbietet. Du liebst uns, süßer Jesus, wir haben es vergessen.»

Der erste Satz («Das Kreuz») hebt als Klagelied der Streicher an, deren verzweifelte Tonketten die melodische Linie in unterschiedlich lange Sektionen aufspalten. Diese werden immer wieder von Seufzerfiguren unterbrochen, die Messiaen in seiner synästhetischen Wahrnehmung als «dunkelgrau» und «violett» bezeichnete.

Die Sünde ist das zentrale Thema des erregten Mittelsatzes («Die Sünde»), in dem das nicht aufzuhaltende Rasen der menschlichen Sünden geschildert wird. Blind vor Habgier, Eitelkeit und Übermaß bewegt sich der Mensch auf einen Abgrund zu – deutlich zu vernehmen in den fast mechanisch zu nennenden Begleitfiguren. Durchsetzt ist das unerbittliche Vorwärtstreiben mit scheinbar unkontrollierten Regungen menschlicher Gefühle: Äußerungen des zu spät erkennenden Individuums, die sich in glisando-Figuren und schrillen Blechbläsertönen äußern.

Im Schlussatz («Die Eucharistie») erfolgt die Erkenntnis und die Läuterung. Langsam getragene Streicherfiguren heben sich sanft über einen pianissimo-Teppich, den Messiaen mit den Farben «rot, gold und blau (wie ein Kirchenfenster)» umschreibt. Und weiter: «Die Sünde ist, auf Gott zu vergessen. Das Kreuz und die Eucharistie sind Opfer für Gott, der seinen Leib gab und sein Blut vergoss.»

© Grafenegg Kulturbetriebsges.m.b.H. | Alexander Moore

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