Maurice Ravel

Rapsodie espagnole

Sätze

  • Prélude à la nuit

  • Malagueña

  • Habañéra

  • Feria

Dauer

16 Min.

Entstehung

1893

Maurice Ravel hatte eine besondere Beziehung zu Spanien: Seine Mutter Marie Delouart war Baskin; sein Vater Joseph Ravel, ein Ingenieur aus der französischen Schweiz, hatte sie in Spanien kennengelernt und nach der Hochzeit mit ihr auch einige Zeit in der Nähe von Biarritz gelebt, also im französischen Teil des Baskenlandes, bis die Familie nach der Geburt des ersten Sohnes Maurice 1875 nach Paris übersiedelte. Das machte Ravel zu einem eigenen Fall, als gegen Ende des 19. Jahrhunderts Spanien ganz allgemein ins Interesse der Kunst nicht nur seiner Heimat rückte: Beginnend mit der Initialzündung durch Emanuel Chabriers «España» im Jahre 1883 setzten allerdings in erster Linie französische Komponisten die Musik ihrer iberischen Nachbarn mit ihren eigenen Mitteln im Konzertsaal effektvoll in Szene. Die um sich greifende Begeisterung, die bis nach Russland ausstrahlte (das «Capriccio espagnol» von Nikolai Rimski-Korsakow entstand 1888), hat neben qualitätvollen Werken gewiß auch allerlei «andalusischen Tingeltangel» (Konrad Boehmer) hervorgebracht. Aus den hochwertigen Beispielen französischer Beschwörung der geheimnisvollen, sinnlichen Klangwelten Spaniens ragen aber zweifellos die Beiträge von Claude Debussy und Maurice Ravel hervor, welche dabei allerdings ganz unterschiedliche Strategien eingeschlagen und damit auch divergierende ästhetische Positionen verwirklicht haben.

Unter dem Titel «Ibéria» widmete Debussy sich Spanien im dreisätzigen Mittelteil seiner 1906 bis 1908 komponierten «Images», während Ravel 1907 in Gestalt der viel knapper dimensionierten «Rapsodie espagnole» sein erstes großes Orchesterwerk schuf. Für das ohnehin eher distanzierte Verhältnis zwischen den beiden Komponisten, diesen bei aller Affinität ihrer Musiksprache unter dem Schlagwort des Impressionismus doch so unterschiedlichen, individuell geprägten Protagonisten der französischen Moderne ihrer Zeit, bedeutete die zeitliche und thematische Übereinstimmung selbstverständlich alles andere als eine Entspannung: Seit der einflussreiche Pariser Musikkritiker Pierre Lalo (der Sohn des Komponisten Édouard Lalo) in polemisch gefärbten Kommentaren so oft wiederholt indirekt angedeutet hatte, der zwölf Jahre jüngere Ravel sei bloß ein Epigone Debussys, bis Ravel sich in einem offenen Brief zu einer Entgegnung genötigt sah, worauf Lalo erst recht über ihn spottete, war die Gesprächsbasis zwischen den beiden Komponisten völlig verschwunden – ein trauriger Umstand, den beide Komponisten in der Folge bedauern sollten, ohne dass es je zu einer Aussprache kam.

Während Debussy, der nur wenige Stunden in Spanien zugebracht hat, in «Ibéria» Stimmungen und Zustände gleichsam abstrakter Landschaftsbilder zum Klingen bringt, schlägt Ravel einen anderen Weg ein, wobei zu beachten ist, dass seine «Rapsodie espagnole» im Umkreis einer ganzen Reihe von Stücken entstand, in denen der Komponist spanisches Kolorit erprobt hat – allen voran die musikalische Komödie «L’Heure espagnole». Der völlige Verzicht auf äußerlich-folkloristische Elemente, den Ravel in der «Rapsodie espagnole» übt, stieß allerdings bei der Uraufführung 1908 in Paris prompt auf Unverständnis bei einem Publikum, das wohl vor allem Kastagnetten-Temperament und lärmende Schmissigkeit erwartet hatte. Auf den kaleidoskopischen, oft abrupt scheinenden Wechsel der von Ravel freilich mit größter Subtilität geformten Gesten und Stimmungen reagierte es mit wachsender Unruhe, doch als nach dem zweiten der vier Sätze gar Pfiffe ertönten, erwirkte Ravels Komponistenkollege Florent Schmitt von seinem Balkonplatz aus mit dem Zwischenruf: «Noch einmal für die da unten, die nichts kapiert haben!», die Wiederholung des Satzes, worauf die Akzeptanz stieg. «Mit einem Orchester, das in seiner Gewalt einmal die elektrische Geschmeidigkeit einer Katze, bald die Wildheit einer Naturkraft hat, einem rasenden, hüpfenden, elastischen Orchester, das grausam zu stechen, aber auch sanft zu streicheln vermag» (Vladimir Jankélévitch), zeichnet Ravel von Beginn an ein ambivalent-geheimnisvolles Spanien-Bild, das so gar nichts gemein hat mit den bereits gängigen touristischen Klischees.

Die «Rapsodie espagnole» hebt mit einem mysteriös tönenden «Prélude à la nuit» an: Gleich zu Beginn wird dabei jenes absteigende Viertonmotiv in den Streichern vorgestellt, welches schleichende Unruhe verbreitet, das ganze Vorspiel bestimmt und in drei der vier Sätze bedeutsam wiederkehrt – eine bald aufrauschende Beschwörung, in die sich die arabeskenartigen Soli zweier Klarinetten und Fagotte mischen. Es folgt eine zwischen Feuer und Grübeln wechselnde Malagueña, eine musikalische Form, die aus Fandangos in Málaga enstanden ist und dem Flamenco zugerechnet wird, sich aber eigentlich von jeder tänzerischen Ausführung emanzipiert hat. Tritt gegen deren Ende nach einem Englischhornsolo das Viertonmotiv erneut in Erscheinung, fehlt es in der lasziven Habañera (ein ursprünglich aus Kuba stammender und über Spanien in Europa populär gewordener Tanz), weil diese als Klavierwerk zu vier Händen schon 1895 entstanden ist, sich aber dennoch in den neuen Zusammenhang ohne Stilbruch einfügt. Den längsten Satz bildet die abschließende Feria, in der turbulent-ausgelassene und getragene Abschnitte wechseln. Von geheimnisvollen Glissandi umrauscht, kehrt das Viertonmotiv wieder, bis am orgiastischen Schluss alle Kräfte zu explodieren scheinen.

© NÖ Tonkünstler Betriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer

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