Anton Webern

Sechs Stücke für Orchester op. 6

Sätze

  • Etwas bewegt

  • Bewegt

  • Zart bewegt

  • Langsam, Marcia funebre

  • Sehr langsam

Dauer

10 Min.

Einen Höhepunkt im Schaffen Weberns stellen die Sechs Stücke für Orchester op. 6 dar, deren Uraufführung 1913 zusammen mit anderen Werken von Schönberg-Schülern unter der Leitung des Lehrers stattfand. Die Veranstaltung ging als Skandalkonzert in die Geschichte ein: Im Zuge der Aufführung kam es zu einem Aufruhr im Publikum zwischen konservativen Anhängern der spätromantischen Musik und den progressiven Neuerern auf Seiten Schönbergs. Dieser Streit eskalierte – nur durch einen Einsatz der Polizei konnte Schlimmeres verhindert werden.

Inhaltlich steht das Werk in engem Zusammenhang mit dem Tod von Weberns Mutter 1906. Wie er seinem Lehrer Arnold Schönberg in einem Brief mitteilte, beschreibt er im ersten Orches-terstück seine Stimmung, als er sich in Wien befand und noch nichts vom nahen Tod seiner Mutter ahnte. In diesem ersten Orches-­terstück agiert Webern im leisesten Lautstärkebereich, wobei er hier äußerst differenziert mit den dynamischen Anweisungen um­geht: So findet sich in beinahe jedem Takt eine andere Bezeichnung; Dennoch bewegen sich alle Veränderungen im Bereich von zweifachem Pianissimo bis Piano.

Das zweite Stück steht ganz im Zeichen der Fahrt Weberns nach Kärnten, auf der er vom Tod seiner Mutter erfährt. Dementsprech-end verlässt der Komponist gegen Ende das piano hin zu einem fortissimo, das seine Gefühle beim Erfahren der Todesnachricht widerspiegelt: wie aus dem Nichts durchbricht unbeschreibliches Entsetzen und Ungläubigkeit die vorher friedliche Szenerie. 

Im dritten Orchesterstück, so schrieb er in seinem Brief an Schönberg, steht der Duft der Erika im Mittelpunkt, die er seiner Mutter auf die Bahre legte: Unverrückbar hatte sich diese Erinnerung in Weberns Gedächtnis eingebrannt – mit höchst differenzierten Artikulationsanweisungen versucht er diesen Duft einzufangen und stellt somit die Intimität dieses Augenblicks wieder her.

Das vierte Stück trägt die Bezeichnung «Marcia funèbre» und beschreibt ein Leichenbegängnis. Dieser elegische Trauermarsch ist vor allem durch seine ausgefallene Instrumentierung charakterisiert; Webern schreibt hier explizit tiefe Glocken und eine große Trommel vor. Noch dazu intonieren die Glocken einen langsam getragenen Marschrhythmus – Resignation macht sich breit. Insgesamt ist das vierte Orchesterstück abermals von dynamischen Kontrasten geprägt, die Webern zufolge seine widersprüchlichen Gefühle während der Begräbnisprozession darstellen sollen: Einerseits empfindet er unendliche Trauer über den großen Verlust, andererseits sieht er seine Mutter nun in einer anderen Welt, fern von allem Leid.

Im fünften Stück beschreibt Webern seine Empfindungen beim Niederlegen der Kränze am Grabhügel und im sechsten und letzten Orchesterstück erinnert er sich an die körperliche Nähe seiner Mutter, die er zu spüren meinte, als er an ihrem Grab stand. Die beiden letzten Stücke sind wiederum in dem für Webern typischen, leisen Dynamikbereich konzipiert, wobei auch hier wieder Lautstärkeveränderungen vom dreifachen bis zum einfachen piano unterschieden werden: Resignation und Melancholie schwingen in den letzten beiden Stücken mit. Allerdings lässt Webern in der vordergründig pechschwarzen Stimmung einen kleinen Funken Hoffnung an ein besseres Leben nach dem Tod aufkeimen.

Unter den kompositorischen Neuerungen in Weberns Schaffen ist einerseits die kammermusikalische Behandlung der Instrumente, andererseits die Komposition einer so genannten Klangfarbenmelodie zu nennen, wie sie Arnold Schönberg schon 1909 in seinen fünf Orchesterstücken op. 16 andeutete. Darunter versteht man das Gestalten einer Melodie durch den Einsatz unterschied-licher Instrumente, was besonders deutlich in der Eröffnungsphase der Stücke op. 6 zu hören ist: Die Melodielinie wird abwechselnd von der ersten Flöte, dem ersten Horn, wiederum von der ersten Flöte und schließlich dem dritten Horn intoniert, wodurch eine Melodie entsteht die in dieser Art und Weise nicht sichtbar notiert ist.

© Grafenegg Kulturbetriebsgesellschaft m.b.H. | Ingeborg Zechner

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