Johannes Brahms

Serenade Nr. 1 D-Dur op. 11

Sätze

  • Allegro molto

  • Scherzo. Allegro non troppo - Trio. Poco più moto

  • Adagio non troppo

  • Menuetto I - Menuetto II

  • Scherzo. Allegro - Trio

  • Rondo. Allegro

Dauer

45 Min.

Entstehung

1857/58

Johannes Brahms war erst 20 Jahre alt, als ihn Robert Schumann mit geradezu enthusiastischer Fürsprache der Musikwelt vorstellte: «Ich dachte», schrieb Schumann in seinem berühmten Aufsatz «Neue Bahnen» in der Neuen Zeitschrift für Musik vom 28. Oktober 1853, «[…] es würde und müsse […] einmal plötzlich einer erscheinen, der den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre, einer, der uns die Meisterschaft nicht in stufenweiser Entfaltung brächte, sondern, wie Minerva, gleich vollkommen gepanzert aus dem Haupte des Kronion entspränge. Und er ist gekommen, ein junges Blut, an dessen Wiege Grazie und Helden Wache hielten.» – Diese enormen Vorschusslorbeeren waren freilich auch problematisch: Brahms stand gleichsam über Nacht im Rampenlicht und fühlte enormen Druck auf sich lasten. Von Versagensängsten geplagt, vernichtete er in der Folge etliche Werke und blieb sein Leben lang extrem selbstkritisch. Gerade die Symphonie nach Beethoven empfand Brahms als eine der denkbar größten Herausforderungen, die seine Kräfte von 1862 bis 1876 in Anspruch nehmen sollte, also bis hinein in sein 44. Lebensjahr.

Auf diesem Wege lagen allerdings einige ursprünglich kammermusikalisch konzipierte Werke, die aber dann ins Orchestrale drängten – wenn auch in anderen, mit nicht ganz so hohen Erwartungen belasteten Gattungen: das (freilich völlig eigenständige) d-moll-Klavierkonzert sowie die beiden Serenaden opp. 11 und 16. Die an leichte Unterhaltungsmusik gemahnende Bezeichnung «Serenade» (oder «Sinfonie-Serenade», wie das Werk bei der Uraufführung noch überschrieben war) ist hier zwar ein gravierendes Understatement, aber es erlaubte Brahms, gleichsam noch außer Konkurrenz, Spielarten des Symphonischen für sich zu erproben. Bei diesen nahm er sich nun bewusst nicht den späten Beethoven zum Vorbild, sondern suchte, wie so oft, Anregungen in älterer Musik, die «noch nicht durch den enormen Bannstrahl Beethovens beschädigt war» (Bernhard Rzehulka). Joseph Haydns Kompositionsstrategien einer gleichsam überpersönlichen, auf innermusikalischer Logik aufgebauten, aufklärerischen Symphonik hatte Brahms sich anzuverwandeln und zu erweitern vorgenommen.

Die Serenade D-Dur op. 11 entstand in den Jahren 1857-59, als Brahms in Detmold Chorleiter war, und wurde schrittweise vom viersätzigen Nonett (Flöte, zwei Klarinetten, Horn, Fagott und Streichquartett) bis zum sechssätzigen Orchesterwerk erweitert, da Brahms das Ungleichgewicht merkte, das in der ersten Version für Nonett zwischen Gehalt und Besetzung herrschte. Der Geiger Joseph Joachim, ein enger Freund des Komponisten, berichtete Clara Schumann, die Kammermusik-Serenade sei «ein köstliches, frisches, graziöses und dann doch wieder tiefes Stück», um dann nach der Uraufführung der Orchesterfassung im März 1860 in Hannover hinzuzufügen: «Das Werk hat entschieden durch sein neues Kleid, aus Metall und Tierfellen, gewonnen. So frisch und warm jubeln die Trompeten und Pauken, dass man mit einjauchzen möchte im ersten und letzten Satz. Und das Adagio voll schöner Melodik und tiefer Harmonie gemahnt oft auch im Klang an die Orgel.»

Äußerlich zeigen die sechs Sätze klassische, an Mozart gemahnende Anordnung: Zu einer fünfteiligen Bogenform mit einem zentralen Adagio, das von zwei Scherzi flankiert wird, welche wiederum durch die Ecksätze umrahmt sind, tritt nach dem Adagio ein weiterer Tanzsatz, ein Menuett. Doch erfüllt Brahms die Satztypen mit neuem Leben, indem er Haydns Entwicklungslogik mit staunenswerter Konsequenz in seine eigene Klangsprache integriert und zentrale Motive in allen Sätzen verarbeitet, ohne dass dies die vermeintlich bloß heitere Musizierlust beeinträchtigen würde, die das ganze Werk durchzieht.

Die Serenade D-Dur op. 11 hebt in geradezu pastoraler Stimmung an, wenn im Stirnsatz (Allegro molto) über den Dudelsack-Quinten der tiefen Streicher das Horn eine fröhliche Melodie vorstellt, die sogleich von der Klarinette übernommen wird. Leuchtende Harmoniefortschreitungen und ein mächtiges Crescendo führen zur imposant im Blech schmetternden, festlichen Wiederholung des Hauptthemas, dessen nun erreichten Prunk Brahms durch ein romantisch getöntes, vielfach in Halbetriolen gleichsam schwerelos schwebendes Seitenthema der Violinen und Holzbläser ausbalanciert. In für Brahms typischer Weise vereint die Schlussgruppe dann Elemente beider Themen, die straffe Festlichkeit des ersten und die Triole (jetzt in Vierteln) des zweiten. Die reichhaltige Durchführung, in deren Verlauf die Verwandtschaft des Hauptthemas mit jenem des Finales von Joseph Haydns Symphonie Nr. 104 (in der gleichen Tonart) durch manch ähnliche Verarbeitungen noch betont wird, scheut sich auch nicht, das Geschehen vorübergehend nach Moll zu wenden, doch werden die Schatten bald wieder vertrieben.

Den intimeren Charakter der Serenade gegenüber dem offiziellen Anspruch einer Symphonie betont Brahms dann in der Coda, in der er das Hauptthema als Flötensolo immer weiter in seine Bestandteile zerlegt und der Satz nachdenklich leise verklingt. Das folgende Scherzo (Allegro non troppo) in d-moll wirkt wie eine Vorwegnahme des zweiten Satzes aus Brahms’ erst zwanzig Jahre später komponierten Klavierkonzert Nr. 2. Doch was dort harsche Düsternis verbreitet, klingt hier in den Unisono beginnenden Streichern und Fagotten zunächst wie ein nächtlicher, aber keinesfalls bedrohlicher Spuk, wobei sogar immer wieder heitere Walzermotive aus dem Schatten hervortreten. Das Trio wird gleichfalls von einem Unisono der Streicher eröffnet, doch geben die Oktavensprünge vollführenden Bläser gemeinsam mit der Tonart B-Dur festen Grund. Das Adagio non troppo, gleichfalls in B-Dur, stellt nach den im Zwielicht huschenden Tanzgestalten einen innigen Ruhepunkt dar und verströmt gar eine quasi-religiöse Aura, die sich in ausdrucksvoll-schönen Bläserkantilenen und zärtlichen Streicherumspielungen äußert.

Zwei miteinander verschränkte Menuette, bilden den fünften Satz: Vornehmlich von Klarinetten, Flöte und dem in geschäftigen Achteln begleitenden Fagott vorgetragen, umschließt deren erstes das als Mittelteil folgende zweite Menuett in g-moll, bei welchem wiederum die Streicher dominieren. Das Scherzo aus Beethovens Symphonie Nr. 2 D-Dur mag Pate gestanden haben beim zweiten Scherzo der Serenade, doch sind Brahmsens Anleihen doch, wie schon festgestellt, mehr unter als an der Oberfläche zu verfolgen und bilden erst die Grundlage für eigene Ideen. Jedenfalls fungiert in Scherzo wie Trio erneut das Solohorn als klangvoller Wortführer, wobei überraschenderweise beide Satzteile in D-Dur stehen.

Das geistreiche Spiel vor allem des Stirnsatzes, aber doch auch der ganzen Serenade findet schließlich im marschartigen, straff rhythmisierten Finale seine Fortsetzung und Erfüllung, in dem Brahms viele thematische Elemente wieder aufgreift und neu kombiniert, ohne bekannte Gestalten mit theatralischer Wirkung wieder auftreten zu lassen: Die große Aufgeräumtheit der Musik scheint durch die ausgeprägte motivische Arbeit nirgends beeinträchtigt, eine Dreiviertelstunde, mehr Zeit als bei allen Symphonien Mozarts und Haydns sowie bei den meisten Symphonien Beethovens, vergeht wie im Flug – ein Meisterwerk, das Brahms die eigene symphonische Zukunft erst so recht ermöglicht hat.

© Grafenegg Kulturbetriebsgesellschaft m.b.H. | Walter Weidringer

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