Edouard Lalo

«Symphonie espagnole» für Violine und Orchester op. 21

Sätze

  • Allegro non troppo

  • Scherzando. Allegro molto

  • Intermezzo. Allegretto non troppo

  • Andante

  • Rondo. Allegro

Dauer

37 Min.

Entstehung

1874

Édouard Lalo teilt das Schicksal vieler Komponisten nicht nur des 19. Jahrhunderts: Zu ihrer Zeit viel gespielt und hoch geschätzt, gerieten ihre Werke später an den Rand des bekannten Repertoires – vor allem im deutschen Sprachraum, wo die Spielpläne der Konzerthäuser ohnehin lange Zeit kaum französische Musik aufwiesen und sich das Publikum im Wesentlichen mit den Antipoden Brahms und Bruckner zufrieden geben musste, ergänzt durch slawische Klänge etwa von Dvoˇrák und Tschaikowski. Umgekehrt war die Situation allerdings ganz anders, deutsche Musik, insbesondere Wagner, genoss in Frankreich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts höchste Popularität und nahm tiefen Einfluss auf eine ganze Komponistengeneration, zu der neben César Franck, Emmanuel Chabrier und Gabriel Fauré etwa auch Édouard Lalo zählte.

Lalo stammte aus der flandrischen Hauptstadt Lille im Norden Frankreichs, nahe der Grenze zu Belgien, wobei die Tatsache, dass seine Vorfahren im 16. Jahrhundert aus Spanien dorthin eingewandert waren, die Geschichte Flanderns unter spanisch-habsburgischer Herrschaft widerspiegelt. Wenn auch die Familientradition für Édouard die Offizierslaufbahn vorgesehen hatte, unterstützten Lalos Eltern dessen musikalische Neigungen und ließen ihn in Lille Violine und Violoncello studieren – freilich nur bis zu dem Zeitpunkt, da der Sechzehnjährige erklärte, die Musik um jeden Preis zum Beruf machen zu wollen. Sein Vater, der in Napoleons Armee als hoch dekorierter Offizier gekämpft hatte, setzte ihn daraufhin vor die Tür. In Paris schlug er sich mit Unterrichtsstunden durch und finanzierte sich seine Studien der Violine und der Komposition selbst. In der Folge konnte er als Bratscher und später 2. Geiger im Armingaud-Quartett der Kammermusik in Frankreich entscheidende Impulse verleihen. Ließen seine kompositorischen Erfolge zunächst noch auf sich warten und erlitten mit der glücklosen Oper «Fiesque» nach Friedrich Schiller sogar einen schmerzlichen Rückschlag, konnte Lalo ab den 1870er-Jahren Furore machen – mit zwei Konzerten für die Violine: Nach einem F-Dur-Werk für den belgischen Geiger Pierre Joseph Marsick war es vor allem das am 7. Februar 1875 uraufgeführte zweite Violinkonzert unter dem Titel «Symphonie espagnole», welches Lalos Ruhm begründete – auch dank der Interpretation durch Pablo de Sarasate.

Es heißt, Sarasates Violinklang sei von unübertrefflicher Süße und Reinheit gewesen, mit perfekter Intonation bis in höchste Lagen, einem ausgeprägten Vibrato und erzeugt mit der meisterlich «reibungslosen» Bogenführung eines technisch unfehlbaren Musikers, der noch die aberwitzigsten Virtuosenkunststücke mit vollendeter Nonchalance zu absolvieren wusste – und nur Beckmesser mochten bekritteln, dass sein Ton vergleichsweise wenig dynamische und emotionale Schattierung kannte. Zwischen Lalo und Sarasate lassen sich sogar biografische Berührungspunkte feststellen, denn der 1844 im spanischen Pamplona geborene Meistergeiger war gleichfalls Sohn eines Offiziers, freilich eines Militärkapellmeisters, und liebte zeitlebens die Kammermusik. Mit acht Jahren gab er die ersten Konzerte, kam durch Vermittlung eines Mäzens zum Studium nach Madrid, von wo aus ihn die begeisterte Königin Isabella 1856 nach Paris ans Conservatoire weiterreichte. Mit Preisen überhäuft, trat er auf ausgedehnten Tourneen bald in allen Ländern Europas sowie Nord- und Südamerikas auf (1867–71 und 1889–90) und war überhaupt den größten Teil seines Lebens als überall frenetisch bejubelter Virtuose auf Reisen. Neben Lalo widmeten ihm etwa auch Bruch, Saint-Saëns, Wieniawski und Dvorák meist gleich mehrere Werke, die Sarasate mit triumphalem Erfolg aufführte und auch im Repertoire behielt.

In seiner «Symphonie espagnole» für Violine und Orchester op. 21 erweitert Lalo die herkömmlichen Formtypen, indem er von der Dreisätzigkeit des Solokonzerts und der Viersätzigkeit der Symphonie zu einer fünfsätzigen Anlage voranschreitet, welche den alten Satzmodellen durch ein Scherzando und ein Intermezzo vor dem Andante zusätzliche folkloristische Facetten hinzufügt, die den Titel begründen. Zitate spanischer Originalmelodien fehlen jedoch, Lalo baut die suggestive Atmosphäre ganz mit eigenen Mitteln auf. Der Kopfsatz (Allegro non troppo) wird durch ein streng anmutendes Motiv eröffnet, dessen Quintsprung nach oben zum charakteristischen Ausgangspunkt der folgenden Entwicklung wird: Betont das Orchester jeweils herbe Entschlossenheit, setzt die Solovioline virtuose Gesten, aber vor allem auch lyrische Abwandlungen dagegen. Das bereits hier spürbare Nationalkolorit verstärkt sich noch in den folgenden drei kürzeren Charakterstücken: Das schmissige Scherzando im schnellen 3/8-Takt stellt eine reiche, rhythmisch pikante Orchestertextur vor, über die sich dann die Solovioline mit einer eigenen Melodie erhebt, während sich im Mittelteil immer wieder langsamere Phrasen dazwischen schieben. An dritter Stelle folgt eine waschechte Habanera in a-moll, in der das schon im ersten Satz präsente rhythmische Modell (drei plus zwei) voll zu seinem schwerblütigen tänzerischen Recht kommt. Bloß als «Intermezzo» bezeichnet, ist der Satz dennoch, vor allem im Mittelteil (6/8-Takt), mit geigerischen Herausforderungen geradezu gespickt. Mit einem dunklen Bläserchoral hebt überraschend das Andante an, dessen melancholisches Thema sich immer weiter in Richtung konzertanter Umspielungen entwickelt. Dieser Nacht-szene folgt das sonnig glänzende Finale, in dem zunächst ein heiteres Ostinato aus weiter Ferne herzukommen und sich wieder zu verabschieden scheint, bevor die Solovioline sich mit einer lächelnden Melodie ins Geschehen wirft, die Anlass für allerlei virtuose, immer noch sich steigernde Abwandlungen bietet, während sich das Orchester im Mittelteil kurz einem Tango hingibt. «Bei aller Schwierigkeit und Virtuosität des Soloparts, aller Originalität der Einfälle, allem technischen Vermögen, über das der Komponist in so reichem Maße gebot», stellte Hartmut Becker über die «Symphonie espagnole» fest, «wird nirgends die Dominanz eines tiefernsten Ausdrucks und dessen innere Wahrhaftigkeit gefährdet; der Schärfe und Plastizität der Formulierung musikalischer Gedanken entspricht ein meisterhafter Umgang mit den Klangfarben des Orchesters, die stets im Dienste der Deutlichkeit der Aussage stehen.»

© Grafenegg Kulturbetriebsges.m.b.H. | Walter Weidringer

Mein Besuch

0 Einträge Eintrag

Voraussichtliche Besuchszeit

Liste senden