Albert Dietrich

Symphonie d-Moll op. 20

Sätze

  • Allegro

  • Andante con molto di moto, quasi Allegretto

  • Scherzo. Allegro energico - Trio I - Trio II. Un poco tranquillo

  • Finale. Allegro

Dauer

45 Min.

Entstehung

1853-54 (rev. 1868-69)

Die drei Buchstaben «FAE» («frei, aber einsam»), das Lebensmotto des damals gerade einmal 22-jährigen Geigers und Komponisten Joseph Joachim, sorgten dafür, dass Albert Dietrich zumindest ein kleines bisschen bekannt blieb. 1853 komponierten die drei Freunde Dietrich, Robert Schumann und Johannes Brahms in Erwartung des Eintreffens Joachims in Düsseldorf eine Violinsonate – Dietrich den Kopfsatz, Schumann den zweiten und vierten sowie Brahms das Scherzo. Mit den drei Anfangsbuchstaben des Mottos hatten sie eine dankbare, in Töne umsetz- und vielfältig abwandelbare Notenfolge, die sämtliche Sätze durchzieht.

Was ein höchst bemerkenswertes Geschenk unter Kollegen darstellte, bildete für Dietrich, wie sich während der vergangenen 170 Jahre herausstellen sollte, die Festschreibung in der Musikgeschichte. Derart neben zwei der größten Namen der deutschen Romantik eingebettet, war ihm weitaus mehr die Unsterblichkeit garantiert als durch jedes andere seiner Werke.

Am 28. August 1829 in der Nähe des sächsischen Meißen geboren, erhielt Dietrich seine Ausbildung zunächst an der renommierten Kreuzschule in Dresden und anschließend bei Ignaz Moscheles und Julius Rietz in Leipzig. In Düsseldorf hatte er von 1851 bis 1854 einen freundschaftlichen Austausch über seine Arbeiten mit Robert Schumann. Nach längerer Dirigententätigkeit in Bonn wurde schließlich Oldenburg gewissermaßen zu Dietrichs «Schicksalsstadt». Von 1861 bis 1890 war er in der Hauptstadt des gleichnamigen damaligen Großherzogtums Hofkapellmeister, wurde vom Adel und einem musikliebenden Bürgertum geschätzt und ist bis heute ebendort als historische Größe anerkannt; freilich fast nur dort. Zu klein waren Wirkungskreis und Ausstrahlung, als dass es zu einer breiteren Wahrnehmung seiner Arbeit gekommen wäre. Immerhin wurden ihm rund um seine krankheitsbedingt relativ frühe Pensionierung in Oldenburg und Übersiedlung nach Berlin 1890 die Ehren der Ernennung zum Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Künste und zum Königlichen Professor zuteil; neue Aufmerksamkeit für seine Musik brachte dies freilich nicht wirklich. Albert Dietrich starb am 20. November 1908 in Berlin.

Abgesehen vom genannten Sonatensatz blieb Dietrich mit seinen Kompositionen eine regionale Größe. Daran konnte auch nichts ändern, dass er etwa den Engländern mit «Robin Hood» 1876 geradezu eine Nationaloper vorkomponierte, die freilich dort bis heute nicht gespielt worden sein dürfte, immerhin aber in Frankfurt am Main zur Uraufführung gelangte. Mit wenigen Ausnahmen blieben seine größeren Werke außerhalb Deutschlands unbekannt. Erwähnt sei, dass sein virtuoses Violinkonzert nach der Oldenburger Premiere 1874 auf Betreiben von Brahms noch im selben Jahr auch in Wien gespielt wurde. Und auch die heute gespielte Symphonie erklang mehrmals öffentlich, darunter in Breslau und Rotterdam. Mehr Erfolg als das symphonische OEuvre und das Bühnenschaffen hatten die Chorsätze und vor allem eine Reihe von Sololiedern, die auch heute gelegentlich in Rezitalprogrammen zu finden sind.

Bei der Symphonie d-Moll op. 20 handelt es sich um Dietrichs bereits zweites Werk dieser Gattung, obwohl sie in der Regel ohne Nummerierung als einziges genannt wird. Schon rund 15 Jahre vor deren Entstehung hatte er 1854 offenbar beachtlichen Erfolg mit der Uraufführung einer Symphonie im Leipziger Gewandhaus, die dennoch keine Verbreitung fand und als verschollen gilt. Im Vergleich dazu war dem d-Moll-Schwesterwerk mehr Glück beschieden, da sie im zeitlichen Umfeld nach ihrer Oldenburger Uraufführung 1869 doch mehrfach nachgespielt wurde, erst in den folgenden Jahrzehnten in Vergessenheit geriet und heute gelegentlich wieder als interessantes Zeugnis ihrer Entstehungszeit aufgegriffen wird.

Wollte man anhand dieser Symphonie verorten, ob Dietrich stilistisch eher bei Schumann oder bei Brahms anzusiedeln ist, wird man wohl über weite Strecken zu Ersterem tendieren. Ganz im groß ausholenden Schumann-Stil hebt der Kopfsatz, Allegro, an. Typisch ist die Gegenüberstellung des prägnanten, kraftvollen «männlichen» Sturm- und Drang-Themas mit dem sanfteren «weiblichen» Thema, wie sie Schumann als Symbole für sich und seine Frau Clara prägte und vielen seiner Werke zugrunde legte. Mehr noch als die sorgfältige thematische Arbeit überzeugt hier Dietrichs Instrumentationstechnik, die zwar keine allzu überraschenden Momente aufweist, mit der er aber gekonnt Wirkung und Kontraste setzt.

Allen Ansprüchen eines langsamen Satzes der Hochromantik entspricht das Andante con molto di moto. Gesanglichkeit, lyrische Verläufe, spontane Wechsel zwischen Licht und Dunkel – ein in Töne gegossenes Gemälde, das sich jeder individuell vor dem geistigen Auge formen mag. Von Beginn an fällt die exponierte Rolle des Horns auf, die auch in den anderen Sätzen noch zu hören sein wird, was über der Symphonie bei außermusikalischer Deutung die Schattierungen eines Jagdbildes erstehen lassen mag.

Einen nächtlichen Ritt oder eben auch eine Jagdszene scheint das Scherzo, Allegro energico, darzustellen. Gewicht erhält dieser Satz nicht zuletzt durch die Einbettung von gleich zwei Trios, deren erstes von einem kurzen markanten Hornruf eingeleitet wird. Es lädt kaum zum Ausruhen ein, sondern ermöglicht eher eine kurze Sammlung der Energien vor dem Weitereilen. Das Dramatische von Schumann vermengt sich mit dem Geisterhaften von Mendelssohn, was Dietrich sozusagen als Musterschüler dieser beiden Vorgänger ausweist. Nach kurzem Anklingen des Scherzo-Teils setzt das thematisch dem ersten Trio verwandte zweite Trio in all seiner Lieblichkeit ein und führt doch zugleich sanft drängend den Fluss in die abschließende Scherzo-Wiederholung.

Die nächtliche Jagd scheint damit zu Ende: Über sanftem Paukenwirbel setzt das Finale, Allegro, mit den aus der Ferne erklingenden Hörnern ein – sie geben das Signal für den Einsatz des nunmehr nach Dur gewendeten Eröffnungsthemas des ersten Satzes, das fröhlich fugiert Festtagsstimmung verbreitet. Erneut kommt Dietrich vielleicht Schumann besonders nahe und wird ihm sowohl in der Erfindung als auch in der technischen Kunstfertigkeit am ebenbürtigsten. Mit einer fulminant jubelnden Coda schließt das Werk.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H.| Christian Heindl

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