Richard Wagner

Vorspiel zur Oper «Die Meistersinger von Nürnberg»

Dauer

9 Min.

C-Dur sei die Tonart des Heraufkommens, des Strebens nach oben; sie entspreche dem Frühlingspunkt im Jahreskreis und dem Sonnenaufgang im Tagesrhythmus, also dem Durchbruch des Lichtes: So beschreibt sie der Anthroposoph Hermann Beckh (1875 - 1937) in seinem Buch «Die Sprache der Tonart in der Musik». Richard Wagner wählte C-Dur als harmonisches Zentrum seiner «Meistersinger von Nürnberg». Ursprünglich war das Werk als Satyrspiel, als heitere Antwort auf den ernsten «Tannhäuser» gedacht und wurde schon 1845 konzipiert. Es sollte jedoch weitere 23 Jahre dauern, bis die «Meistersinger» 1868 in München endlich erstmals über die Bühne gehen konnten - nach einem langwierigen Schaffensprozess mit vielen Unterbrechungen zugunsten anderer, großer Pläne: «Lohengrin», «Rheingold» und «Die Walküre» sowie «Tristan und Isolde». Die «Meistersinger» sind das einzige nichtmythologische Werk des reifen Wagner, Hans Sachs ist der historische Anker. Trotz beachtlicher Länge - allein der dritte Aufzug dauert zwei Stunden - hat das Werk rasch den Status einer vergleichsweise leicht zugänglichen Volksoper erlangt, weil sich ihr komplexes Thema ganz fasslich in den handelnden Personen und ihrer Beziehungskonstellation abbildet: Es geht um «Konflikt und Synthese von normativer Kunsttradition und frei schöpferischer Künstler­genialität, von Volksgeist und individueller Inspiration» (Gerhard Dietel).

Nürnberg, Mitte des 16. Jahrhunderts: Der ritterliche Minnesang ist längst bürgerlich geworden, die Handwerker der Stadt pflegen in ihrer Freizeit als Meistersinger Dichtung und Musik - doch droht diese alt­ehrwürdige Gemeinschaft an jenem Staub zu ersticken, der sich auf ihre Gesetze gelegt hat. Veit Pogner ruft einen Wettbewerb aus und will dem siegreichen Meistersinger seine Tochter Eva zur Frau geben. Der ledige Stadtschreiber Beckmesser, für die Einhaltung der Regeln zuständig, ist höchst interessiert, vielleicht auch der Schuster Hans Sachs, ein weiser Witwer. Der wäre Eva wohl recht, gäbe es da nicht den jungen Ritter Walther von Stolzing - Prototyp des genialisch begabten, aber noch nicht voll ausgebildeten Künstlers. Mit Witz und List gelingt es Hans Sachs, Beckmesser aus dem Rennen zu werfen und Walther zum Sieg zu ver­helfen - auch wenn der Schuster selbst dadurch auf sie verzichten muss: Stolzing wird vom versammeltem Volk für sein neuartig kühnes, aber in sich logisches Lied bejubelt und darf Eva glücklich in die Arme fallen. Das zuerst komponierte und bereits 1862 separat aufgeführte Vorspiel nimmt nicht nur die Leitmotive der Oper vorweg, sondern zeigt auch in seiner Verbindung von komplexer Kontrapunktik, orchestralem Pomp und feinsinniger Delikatesse eine spezielle Durchdringung von Tradition und Innovation.

© Grafenegg Kulturbetriebsgesellschaft m.b.H. | Walter Weidringer

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