Igor Strawinski

«Der Feuervogel» Ballett in zwei Bildern (Fassung 1910)

Dauer

40 Min.

Ein für den jungen Igor Strawinski bedeutsames Ereignis, das Einfluss auf sein gesamtes Schaffen nehmen sollte, war die Begegnung mit dem Kunstmanager und späteren Chef der «Ballets russes» Sergej Diaghilew im Jahr 1908. Diaghilew, der sich einen Namen damit gemacht hatte, Werke russischer Komponisten in Paris auf die Bühne zu bringen, hatte Strawinski in einem Konzert, zu dem dieser zwei Orchesterstücke beigetragen hatte, erstmals gehört und sogleich sein Talent erkannt: er wollte ihm mit Auftragskompositionen die Möglichkeit geben, sich kompositorisch zu entwickeln und auf diese Weise der russischen Isolation zu entfliehen, um in der blühenden europäischen Kunstszene Fuß fassen zu können. Stets auf der Suche nach neuen russischen Werken, die er in Paris aufführen konnte, trug er sich schon länger mit dem Gedanken, ein Ballett «Feuervogel» schreiben zu lassen. Mehrere Komponisten schwebten ihm dabei vor; doch schließlich wählte er ausgerechnet Strawinski, den jungen, noch wenig erfahrenen Komponisten, der bisher noch gar kein abendfüllendes Bühnenwerk verfasst hatte. Es war wohl Weitblick, der ihn dazu veranlasste, Strawinski ein solch schwierig zu realisierendes Libretto wie den «Feuervogel» zu überlassen: Denn einerseits war es nicht einfach, den von Michail Fokin verfassten Text in Musik zu setzen, bestand er doch aus verschiedensten Elementen, zusammengetragen aus drei Volksmärchen über den «bösen unsterblichen Kastschei». Und andererseits war Strawinski wenig begeistert davon, Musik zu einem vorgegebenen Sujet zu komponieren, denn die musikalische Deskription eines Textes lag ihm nicht. Dass er die sich ihm bietende Chance dennoch nutzte, lag nicht zuletzt an der steten Ermutigung durch Diaghilew und Fokin.

Kurz zusammengefasst, geht es im Libretto um Gut und Böse, verkörpert im Prinzen Iwan Zarewitsch und der aus Kastscheis Fängen geretteten Zarewna auf der einen und dem Menschenfresser Kastschei mit seinem magischen Höllenvolk auf der anderen Seite. Als Befreier steht der Feuervogel, den der Prinz einst selbst gefangen, dann aber freigelassen hat, in der Mitte: Als der Prinz in die Fänge Kastscheis gerät, eilt er ihm zu Hilfe, und es gelingt ihm, zuerst das Höllenvolk mit einem «Danse infernale» in den Tod tanzen zu lassen und dann den Bösewicht Kastschei in den Schlaf zu singen; er zeigt dem Prinzen ein Kästchen, in dem sich das Ei befindet, das Kastscheis unsterbliche Seele enthält. Der Prinz zerschlägt das Ei mit seinem Schwert, Kastscheis Seele entweicht, und der Unhold verschwindet mitsamt seiner ganzen Zauberwelt in der Hölle – das Volk erwacht wie aus einer Starre und jubelt dem neuen Zaren und seiner Zarewna zu.

Nur knapp ein Jahr Zeit blieb Strawinski für die Ausarbeitung des Balletts, das er in Introduktion und 18 Tanznummern gliederte – und bis zum Schluss sollte ihn die Frage bewegen, ob und wie das Werk wohl von der Öffentlichkeit angenommen werden würde. Seine Sorge war unbegründet: Die Uraufführung am 15. Juni 1910 in Paris wurde zu einem großen Erfolg für den Komponisten, der schließlich ausschlaggebend dafür war, dass er Russland endgültig verließ und sich in Paris niederließ. Um dem Ballett größere Verbreitung zu ermöglichen, fasste Strawinski später die erfolgreichsten Stücke daraus, ohne Überleitungsmusiken, in insgesamt drei jeweils unterschiedliche Konzertsuiten zusammen: die erste bereits 1911, bestehend aus fünf Musiknummern in originaler Orchesterbesetzung – sie gelangt heute zur Aufführung – , zwei weitere folgten 1919 und 1945.

Stilistisch orientiert Strawinski sich hier noch an seinem Lehrer Rimski-Korsakow und dem Regelwerk des russischen Musikdramas: alles, was das Böse charakterisiert, wird in spannungsreichen übermäßigen (Tritonus) oder verminderten Akkorden dargestellt,  «schwirrende» Töne in den Bläsern weisen auf den Feuervogel hin, und das Gute rund um das Zarenprinzenpaar wird mit gesanglichen diatonischen Melodien charakterisiert. So ergibt sich ein vielfarbiges und spannungsreiches Klangbild, das sich jedoch bereits zeitweise zu jenem harten direkten Ausdruck intensiviert, den wir später in «Petruschka» und «Sacre du Printemps» wiederfinden.

© NÖ Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Astrid Schramek

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