Igor Strawinski

Suite aus dem Ballett «Der Feuervogel» (Fassung 1945)

Sätze

  • Introduktion. Molto moderato -

  • Vorspiel und Tanz des Feuervogels -

  • Variationen (Feuervogel) -

  • Pantomime I. L'istesso tempo - Più mosso -

  • Pas de deux (Feuervogel und Ivan Zarewitsch). Adagio - Allegretto - Adagio

  • Pantomime II. Vivo - Moderato -

  • Scherzo. Tanz der Prinzessinnen. Allegretto -

  • Pantomime III. Lento -

  • Rondo (Khorovod). Moderato - Più mosso - Moderato - Poco più mosso - Lento - Lento

  • Höllentanz des Kaschtschei. Vivo - Andante -

  • Wiegenlied (Feuervogel). Andante -

  • Finale (Hymne). Lento maestoso - Allegro non troppo - Maestoso - Molto pesante

Dauer

28 Min.

Entstehung

1945

Igor Strawinski, damals 27 Jahre alt, verdankte seinen kompositorischen Durchbruch genau genommen seinem damals doppelt so alten, arrivierten Kollegen Anatoli Ljadow. War dieser einst als junger Mann wegen notorischer Abwesenheit aus der Studienklasse von Nikolai Rimski-Korsakow geworfen und erst nach zwei Jahren wieder zugelassen worden, blieb er auch später noch, als er längst ein hoch geschätzter und präziser Kompositionslehrer war, dafür berüchtigt, Aufträge zu verschleppen - aus Idolenz ebenso wie aus rigoroser Selbstkritik. Der Legende nach soll Ljadow 1909 wieder einmal nur sehr langsam in die Gänge gekommen sein und nach längerer Zeit gerade erst das erforderliche Notenpapier erstanden haben. Doch aus heutiger Sicht fehlt jeder Nachweis, dass er den Auftrag überhaupt formal angenommen hatte - einen Auftrag von keinem Geringeren Sergei Diaghilew. Der Impresario der berühmten «Ballets russes» hatte wegen der finanziellen Schwierigkeiten nach seiner ersten Pariser Spielzeit die Idee gefasst, statt teurer Opern lieber Ballette zu inszenieren, wobei ihm und seinen Mitstreitern, dem Maler und Bühnenbildner Alexandre Benois und dem Choreographen Michail Fokin, das besondere Publikumsinteresse für «exotische» russische Sujets aufgefallen war. Fokin war es auch, der zwei russische Volksmärchen sowie eigene Ideen zur Handlung eines neuen Balletts unter dem Titel «L'Oiseau de feu» («Der Feuervogel») verwob: Der Zarewitsch Ivan gerät auf der Jagd in den Garten des bösen Zauberers Kaschtschei und fängt den dort lebenden Feuervogel. Weil er diesen jedoch auf dessen Flehen wieder freilässt, bekommt Ivan eine seiner magischen Federn als Dank. Da erscheinen dreizehn verwunschene Prinzessinnen, die der unsterbliche Kaschtschei gefangen hält - und Ivan verliebt sich in eine von ihnen. Als er ihr folgen will, rufen die erwachten Dämonen ihren Herrn Kaschtschei herbei. Ivan sieht dem Tod ins Auge, doch im letzten Moment kann er die Wunderfeder schwingen: Der Feuervogel erscheint, zwingt die Dämonen mit seiner magischen Musik zu einem infernalischen Tanz und schläfert die bösen Mächte schließlich mit einem Wiegenlied ein. Mehr noch: Er führt Ivan zu dem Versteck, in dem Kaschtschei ein Ei verwahrt, das seine Seele enthält. Ivan zerschlägt es - und der Zauberer stirbt, sein Reich vergeht und die Prinzessinnen sind frei. Zunächst ging der Auftrag an Nikolai Tscherepnin, der für die «Ballets russes» bereits «Le Pavillon d'Armide» geschrieben und dirigiert hatte, doch Meinungsverschiedenheiten mit Fokin ließen ihn die Komposition abbrechen. Und dann noch das Problem mit Ljadow ... Da erinnerte sich Diaghilew an Igor Strawinski: Dessen «Scherzo fantastique» hatte er im Januar 1909 noch in St. Petersburg gehört und den rasch arbeitenden jungen Komponisten dann erfolgreich bei den Arrangements von «Les Sylphides» eingesetzt. Diaghilew erkor ihn als «letzte Rettung» - und wurde nicht enttäuscht: Im November 1909 begann Strawinski mit der Komposition; am 25. Juni 1910 fand an der Pariser Opéra die glanzvolle Uraufführung von «L'Oiseau de feu» statt. Das Werk machte seinen Schöpfer nicht nur über Nacht berühmt, sondern zählt bis heute zu seinen beliebtesten Werken - gerade durch die drei Suiten für den konzertanten Gebrauch, die Strawinski zusammengestellt und bearbeitet hat. Deren dritte aus dem Jahr 1945, die heute Abend auf dem Programm steht, ist mittlerweile die populärste. Wie schon in der Suite von 1919 ist hier die enorme Orchesterbesetzung des Originals auf mittlere Stärke reduziert, ohne dass dabei die instrumentationstechnischen Finessen verflachen würden: Statt dessen gelingt es Strawinski in eindrucksvoller Weise, den Farbenreichtum mit bescheideneren Mitteln neu zu schaffen. Zudem umfasst die 1945er-Suite mehr Nummern als jene von 1919 und gibt dadurch einen größeren Zusammenhang des Balletts wieder, während die ebenfalls knappe erste Suite von 1911, in der die Originalbesetzung verlangt wird, heute kaum mehr gespielt wird. Die relativ große Anzahl von Bearbeitungen in Strawinskis Schaffen, mit denen er älteren Werken oft nach Jahrzehnten eine neue Facon gab, erklärt sich freilich nicht nur aus der Tradition, Bühnenwerke in Suitenform und gegenbenenfalls kleinerer Besetzung auch für den Konzertsaal zugänglich zu machen, sondern auch aus pekuniären Erwägungen: Denn seit der Oktoberrevolution 1917 waren die Tantiemenströme aus Strawinskis noch in Russland verlegten Werken versiegt; durch die Bearbeitungen, selbst wenn es sich nur um die Beseitigung von Druckfehlern wie im Falle der «Psalmen-Symphonie» handelte, konnte der Komponist, ab 1945 Bürger der USA, wieder an seinem älteren Schaffen verdienen. Für die drei Sphären der Handlung entwarf Strawinski eindeutige Klangwelten, wobei er sich an Rimski-Korsakows Märchenoper «Der goldene Hahn» orientierte und die dort verwirklichte Dualität weiter zuspitzte: Das irdische Dasein Ivans und der Prinzessinnen wird mit folkloristisch-diatonischen Mitteln geschildert, denen die chromatisch gefärbten Zauberwesen gegenüberstehen: Hier der gute Feuervogel, in orientalisch anmutende Farben gekleidet, geprägt durch kleine Sekunden, Ganztonfolgen, flirrende hohe Klänge von Streichern, Celesta und Xylophon, dort der böse Kaschtschei mit verminderten Akkorden, kreischendem Holz und bedrohlichen Invektiven des tiefen Blechs. Die grandiose Schlußapotheose feiert den Triumph der guten Mächte.

© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Walter Weidringer

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